kleinen Familie. Sie passte wie die Faust aufs Auge zu mir, genauso balla in der Birne, genauso so lebensfroh. Genauso viel Erwachsen wie nötig und soviel Kind, wie nur möglich. Wir waren absolut auf einer Wellenlänge. Sie hieß Anita, war 31 Jahre alt, Polin, mit reichlich Temperament gesegnet, verheiratet und schon Mama. Wir verstanden uns sofort. Meine kleine polnische Bulldogge wurde schnell zu einer meiner engsten Freunde und zu einer Komplizin in dieser Männerdomäne. Jeden Scheiß machte sie mit, hatte immer ein offenes Ohr für mich und oftmals gute Ratschläge. Seitdem sie bei uns war, vergingen die Tage wie im Flug. Sie hörte sich alle meine Leiden und Sorgen an, kannte und merkte sich jeden Namen meiner Freunde und versuchte immer zu helfen, wo sie nur konnte.
So sollten Freunde sein und ich hatte die perfekten drei gefunden, wie sie allerdings unterschiedlicher nicht sein konnten. Bettina, Maria und Anita. Zu Ihnen hatte ich Vertrauen, auf sie konnte man zählen.
Bevor Anita bei uns eingestellt wurde, verbrachte ich die meiste Zeit mit meinem Vorarbeiter Frank. Wir verstanden uns ebenfalls viele Jahre lang erschreckend gut, machten Blödsinn, hatten Spaß. Wenn ich Hilfe brauchte, war er da und half. Hatte ich Sorgen, hörte er zu. Hatte ich Fragen, gab er die Antwort. Er war mit einer der cleversten der Mitarbeiter und handwerklich sehr geschickt. Er brachte mir vieles bei. Denn ich muss sagen, nicht von allen Kollegen konnte man etwas lernen.
Auch einige der Hilfsarbeiter, Leiharbeiter oder 1 Euro Jobber konnte man teilweise echt vergessen. Einer hirnloser, als der andere, ganz wie Homer Simpson. Man hatte den Eindruck, bei so gewissen Dingen, hätte man es ihnen hundertmal erklären oder auch aufmalen können und sie hätten es nicht begriffen. Es kam mir manchmal so vor, als würden normale Informationen von diesen Leuten zwar über ihre Gehörgänge aufgenommen und sich dann auch erst einmal ihren üblichen Weg zum Rückenmark suchen. Doch anstatt zurück zum Kopf zu wandern, gingen diese wohl erst einmal in Richtung Magengegend. Dort wurden sie dann wahrscheinlich als unbrauchbar deklariert, machten möglicherweise auf den Weg zum Gehirn noch ein paar Umwege über die Fingerkuppen, bis sie schließlich endlich im Kopf ankamen und eine laut tönende, rot aufblinkende Warnleuchte das Signal gab: Objekt nicht erkannt! Objekt nicht erkannt! Anders konnte ich mir die extrem lange Leitung derer nicht erklären. Oftmals lächelten die betroffenen Dusselsköppe dann nur und taten so, als wäre nichts passiert.
Im Großen und Ganzen kam man aber miteinander aus und wenn nicht, konnte man sich auch gut auf dem großen Gelände aus dem Weg gehen oder sich gegenseitig einfach veräppeln.
Ich hatte es schon sehr gut dort. Dieser Arbeitsplatz war in meinen Augen fast wie ein Sechser im Lotto. Und auch obwohl ich mich anfangs dagegen wehrte, wurde ich teilweise richtig verwöhnt. Meine Kollegen sorgten immer für reichlich Leckereien wie Puddings, belegte Brötchen und warme Mahlzeiten für mich. Vor allem Andreas und Frank mästeten mich fast täglich. Andreas saß mit mir und Anita am Tisch, musste sich regelmäßig Ferkelsgeschichten und Matumbogespräche reinziehen und mit ansehen, wie wir uns fast jede Pause völlig daneben benahmen. Doch ich denke an seinem Lächeln konnte man gut erkennen, dass er das ziemlich gelassen sah. Mit ihm, Anita und meinem Vorarbeiter verstand ich mich am besten.
Frank war 49 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei Kinder. Auf seinem Kopf wuchsen kaum noch Haare und ein Zahn fehlte ihm ziemlich sichtbar. Aber wen interessiert das Äußere, wenn das Innere stimmt. Und bis dato stimmte es bei ihm. Fast neun lange Jahre war er mein Arbeitsersatzpapa und für mich unbezahlbar. Wir trafen uns mindestens dreimal pro Tag zum Pause machen, es gab immer etwas zu erzählen. Musste ich irgendetwas dringend loswerden, fuhr ich morgens als erstes zu Frank und Streit war ein Fremdwort für uns.
Vor ein paar Jahren bekam er einen Herzinfarkt. Ich wusste anfangs nicht was er hatte, nur, dass er auf einmal krank geschrieben war. Keiner der Kollegen wusste etwas genaues. Als Frank dann wieder aus dem Krankenhaus kam, erzählte er mir was passiert war. Ich brach in Tränen aus. So erschüttert darüber, wie schnell er hätte auf einmal nicht mehr da sein können.
Doch nun bemerkte ich seit einiger Zeit Veränderungen an ihm. Anstatt gute Laune, hatte er nun vermehrt schlechte und fing an dies deutlich zu zeigen. Auch mir gegenüber war er plötzlich mehr trübselig, als fröhlich gestimmt. Dennoch häuften sich die Leckereien, die Geschenke und kleinen Überraschungen von ihm, die ich fast täglich auf meiner Maschine fand. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Meine Laune schwand leicht und die Gedanken kreisten. Er wurde verschwiegener und immer negativer in seiner Einstellung. Verschwiegener wurde ich dadurch auch. Ich konnte nur Vermutungen aufstellen, über das was ihn bedrücken könnte. Es tat mir leid, diese ganze Situation war merkwürdig, auffallend und ziemlich beschissen. Irgendwie schien es ihm verdammt dreckig zu gehen.
Auch auf seine Arbeit wirkte sich das aus. Seine sonst so ordentliche Vorgehensweise verschwand von Tag zu Tag. “Ich hab nichts, was soll ich denn haben”, mehr sagte er nie, wenn ich ihn fragte was mit ihm los sei.
Einige Monate hielt ich seine negativen Launen noch aus, dann beschloss ich, ihm erst einmal mein Desinteresse zu zeigen. Zum eigenen Schutz versteht sich, denn in gewisser Weise können solche Launen auch irgendwie ansteckend sein und da konnte ich getrost drauf verzichten. Von da an machte ich weniger Pause mit ihm und nahm sein Essen gar nicht oder nur noch selten an. Ich hoffte, er würde sich fangen und wieder der Alte werden, doch es wurde immer auffälliger und auch offensichtlich für die anderen, dass irgendetwas im Busch war. Schleichend sonderte er sich ab von mir und seinen Kollegen, machte einen auf Alleingang. Sogar vom Chef hielt er deutlich Abstand.
Eigentlich hätte ich ihn in solch einer schwierigen Zeit, wie ich sie gerade hatte gut brauchen können, doch ich brauchte einen Freund und kein neues Problem. Ich versuchte mir gute Laune zu machen und alles irgendwie positiv zu sehen und er machte genau das Gegenteil. Von solchen Miesmuffeln versuchte ich doch gerade eben Abstand zu halten. Obwohl er so schwierig wurde versuchte ich immer wieder zwischendurch mit ihm zu reden, ihn wieder zum lachen zu bringen. Doch es war sinnlos, er schien sich mit allen Mitteln dagegen wehren zu wollen und reagierte nur mit patzigen Antworten, wenn ich ihn fragte, warum er so schlecht drauf sei.
Dann kam eine Situation auf, wo mir der Arsch platzte. Auf der Arbeit ging es mittlerweile etwas ruhiger zu, denn die Hauptsaison um Totensonntag und Allerheiligen herum lag hinter uns. Anita und ich waren mit den anderen Kollegen gerade dabei, das Laub von den Gräbern zu entfernen.
Wie ich diese Arbeiten hasste. Laub blasen, kratzen, Häufchen machen, weg fahren und das acht Stunden am Tag, kotz, brech, wie ätzend.
Chef hatte Urlaub und sein Vertreter war logischerweise Frank. Bei einer allgemein angesetzten Zigarettenpause, fuhren Anita und ich kurz mit dem Minikipper zum Kiosk, welcher direkt am Friedhofsgelände lag, um ihr neue Kippen zu holen. Eine Sache von höchstens fünf Minuten, wenn überhaupt. Wir standen also an der Theke, kauften Zigaretten und wer fuhr in dem Moment mit dem Radlader vorbei? Frank! War klar. Er blieb stehen, guckte zu uns mit ernsten Blick und fuhr weiter. Na toll. Fast jeder, möchte ich mal behaupten, war schon des Öfteren oben im Kiosk um sich mal eben kurz Zigaretten zu holen oder zur Pause hin etwas zu Essen. Nie hatte das jemanden gestört, solange es nicht übertrieben wurde.
Als wir wieder bei den anderen waren, dauerte es keine fünf Minuten da kam Frank schon angefahren. Meine Laune war dementsprechend gereizt, denn ich konnte förmlich riechen, was jetzt passieren sollte. Dann legte er los. “Wenn ihr schon zum Kiosk fahren müsst, dann nicht zu zweit, sondern alleine. Und sagt vorher im Büro Bescheid oder fragt mich, ob ich euch das überhaupt erlaube”, meckerte er ziemlich arrogant. “Einen Scheißdreck werde ich tun”, habe ich gedacht und besser nicht gesagt. Stattdessen fielen andere, auch nicht gerade freundlich gewählte Worte aus meinem Mund: “Seit wann ist das denn ein Problem? Das machen doch alle so. Das waren zwei Minuten, wenn überhaupt.” Anita gab dasselbe ungefähr noch einmal zur Erklärung von sich, jedoch in einem etwas höflicheren Ton. “Wer macht das noch? Ich nicht”, meinte Frank. “Dafür machst du andere Dinge, die auch nicht besser sind. Das ist immer alles kein Problem, du darfst das ja. Du gehst immer früher in die Pause um dein Essen warm zu machen und dir Kaffee zu kochen. Das dürfen andere auch erst um halb eins. Und jetzt kackst du uns an wegen zwei Minuten.” Zack hatte ich ihn verpfiffen. Nicht gerade nett, aber gerecht und gefallen lassen wollte ich mir