Irene Dorfner

DIE LEICHE MUSS WEG


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Und wie sollte sie sich die Miete einer modernen Wohnung leisten? Nein, sie blieb so lange es ging.

      „Es gibt wirklich niemanden, der euch beide gesehen hat?“, hakte Christian nach.

      „Nein, wenn ich es doch sage! Er ging immer ohne mich aus!“ Angela war erleichtert, dass sie die einzige Zeugin aus dem Weg geräumt hatte. Jetzt gab es wirklich niemanden mehr, der Eduardo mit ihr in Verbindung bringen konnte.

      Christian war zufrieden und erleichtert. Warum Eduardo nicht mit ihr rausgehen und etwas unternehmen wollte, war ihm völlig egal. Für ihn war nur wichtig, dass die beiden nicht gemeinsam gesehen wurden.

      „Gib mir deinen Laptop.“

      „Was willst du damit?“

      „Spuren beseitigen, was sonst.“ Er löschte den ganzen Chatverlauf zwischen ihr und Eduardo. Was darin stand, las er nicht, das ging ihn nichts an. „Es ist besser, wenn ich dein Profil komplett lösche.“

      „Mach, was du für richtig hältst.“ Angela war überrascht, wie routiniert Christian mit dem Laptop umging. Man merkte gleich, dass der Umgang mit einem Computer für ihn nicht fremd war. Sie war damit noch nicht ganz so vertraut. Viele Zusammenhänge waren ihr nicht klar. Und wenn es Probleme gab, drückte sie so lange auf den Tasten herum, bis alles wieder funktionierte.

      Angela saß einfach nur da und sah Christian zu. Die Beruhigungstabletten, die sie genommen hatte, wirkten jetzt endlich.

      „Erledigt!“ Christian klappte den Laptop zu und legte ihn zur Seite. „Du musst den Mann vergessen, hörst du? Es hat ihn nie gegeben!“

      Angela nickte und sah ihren Cousin an.

      „Du brauchst keine Angst zu haben, der Alptraum ist bald vorbei. Niemand wird auf dich oder gar auf mich kommen. Eduardo hat nie existiert! Hast du mich verstanden?“

      Wieder nickte sie und sah in den alten Kamin ihrer schäbigen Wohnung. Das Feuer, mit dem sie vorhin Eduards wenige Hinterlassenschaften verbrannte, loderte immer noch.

      „Kann ich dich allein lassen? Versprichst du mir, dass du keinen Unsinn machst?“

      „Geh nur, Christian, mach dir um mich keine Sorgen. Ich danke dir. Ich werde ewig in deiner Schuld stehen.“ Mehr konnte sie nicht sagen, die Tränen kullerten über ihr Gesicht.

      „Braves Mädchen!“ Er gab ihr einen Kuss und verschwand. Draußen atmete er tief durch. Was war das nur für ein schrecklicher Alptraum? Was hatte er nur getan? Ob er an alles gedacht hatte?

      6.

      Die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei waren völlig überfüllt. Es dauerte nicht lange, und die erste Toilette war verstopft. Ein unerträglicher Gestank machte sich breit, der durch die Gänge zog. Die Stimmung unter den Festgenommenen war denkbar schlecht. Einheimische, einfache Partybesucher und Mitglieder der Blauen Armee waren bunt gemischt. Mittendrin saß Diana Nußbaumer. Sie war gespannt, wie die Kollegen darauf reagierten, wenn sie ihren Fehler erkannten. Aber noch war es nicht so weit. Wie lange sie hier noch sitzen und warten musste, stand in den Sternen. Als Kampfsportlerin hatte sie gelernt, ruhig zu bleiben, was ihr jetzt entgegenkam. Es gab Pöbeleien und es kam nicht selten vor, dass Fäuste flogen. Diana war darauf gefasst, dass man ihr zu nahe kam, was aber zum Glück nicht geschah. Die Uniformierten brachten keine Ruhe in die Arrestzellen. Das Geschrei und die Übergriffe wurden von Stunde zu Stunde schlimmer.

      Tatjana Struck, die Leiterin der Mühldorfer Mordkommission, hatte genug. Sie war hundemüde, außerdem fror sie immer noch. Anstatt gemütlich auf ihrer Couch zu liegen, musste sie sich die Nacht um die Ohren schlagen, was ihr aufs Gemüt schlug. Da ihr neuer Freund Erich Perzlmeier es vorzog, die Weihnachtsfeiertage und auch Silvester mit seiner Familie zu verbringen, hatte sie trotzig sämtliche Sonderschichten übernommen, die man ihr anbot. Erich hatte sie gebeten, ihn zu begleiten, aber das war ihr zu viel Familie auf einmal. Nähe und Höflichkeiten waren ihr zuwider, weshalb sie verzichtete. Erich reagierte enttäuscht, aber das war ihr egal. Sie kannten sich noch nicht lange und sie empfand es als viel zu früh, seine Familie kennenzulernen.

      Wütend ging Tatjana in den Keller der Polizeiinspektion. Vor der ersten Arrestzelle nahm sie den Schlauch und pfiff laut durch die Zähne.

      „Wenn nicht augenblicklich Ruhe ist, werde ich für Ruhe sorgen!“, schrie sie laut.

      „Das dürfen Sie nicht“, lachte einer und stellte sich provozierend an die Gitterstäbe.

      „Wollen Sie es darauf ankommen lassen?“, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie griff mit der rechten Hand zum Wasserhahn und drehte ganz langsam. Alle konnten sehen, dass tatsächlich etwas Wasser aus dem Schlauch rann. Tatjana drehte unbeirrt weiter, woraufhin auch der letzte verstummte.

      „Hören Sie auf!“, schrie einer laut, der keine Lust hatte, zu allem Übel auch noch nass zu werden.

      „Sie haben gewonnen!“, sagte derjenige, der sich mit ihr anlegen wollte und kurz davor war, nasse Füße zu bekommen. „Das sind echte Stasi-Methoden!“, schob er hinterher.

      „Nazi-Methoden“, schrie ein Angetrunkener von ganz hinten.

      „Es ist mir egal, wie Sie das betiteln. Entweder es ist sofort Ruhe und Sie lassen uns unsere Arbeit machen, oder Sie werden klatschnass. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Ich finde das sehr demokratisch. – Das gilt übrigens auch für alle anderen!“, rief sie laut zu den anderen Arrestzellen. „Bei demjenigen, der die Toilette verstopft hat, dürfen Sie sich bedanken. Es werden Eimer bereitgestellt, die Sie gerne benutzen dürfen.“

      „Pfui Teufel!“, rief einer und rümpfte die Nase. „Sie glauben doch nicht, dass wir die vor allen anderen benutzen? Es ist unser gutes Recht, eine Toilette benutzen zu dürfen! Ich werde meinen Anwalt anrufen, der wird Ihnen Ihren dicken Hintern aufreißen, Lady!“

      „Machen Sie das.“ Die Eimer wurden gebracht und in die Zelle gestellt. Der Polizist war darauf bedacht, die Zellentür sofort wieder zu schließen. Es hagelte Proteste, die lauter und lauter wurden.

      „Ich warne Sie noch ein letztes Mal“, rief Tatjana laut. „Entweder verhalten Sie sich ruhig oder Sie werden nass.“

      Es war augenblicklich wieder ruhig.

      „Vielen Dank“, sagte ein Uniformierter, der sich das niemals getraut hätte. Die Kollegin Struck hatte zwar Haare auf den Zähnen, traute sich aber mehr als mancher Mann.

      Diana musste Schmunzeln. Offenbar nahm man es hier mit den Vorschriften nicht so genau, was ihr sehr entgegen kam. Es hatte zwar nicht ihre Arrestzelle betroffen, aber sie hatte jedes Wort gehört. Sie war gespannt darauf, welche ihrer Kolleginnen sich so etwas getraute.

      Severin Torka und Wolf Perlinger saßen nicht in derselben Arrestzelle. Wolf hatte versucht, in Severins Nähe zu bleiben, aber sie wurden getrennt.

      Wolf war ganz ruhig. Dass er verhaftet wurde, war keine große Sache. Sein Kontaktmann vom BND würde dafür sorgen, dass er schnell wieder auf freien Fuß kommen würden. Aber was geschah dann? Es lag auf der Hand, dass die Polizei gewarnt worden war und es war auch klar, dass Charly alles daransetzen würde, den Verräter zu finden. Hatte er sich irgendwie verraten? Würde Charly auf ihn kommen? Wenn ja, würde man sich an ihm rächen. Ob er das überleben würde, war fraglich. Wolf dachte für einen kurzen Moment darüber nach, alles hinzuschmeißen und aufzugeben, entschied sich dann aber dagegen. Er war sehr weit gekommen und wollte noch mehr herausfinden. Aus seinen Unterlagen, die er von Dinzinger bekommen hatte, wusste er, dass die Blaue Armee nur ein bunt zusammengewürfelter Haufen von gescheiterten Existenzen gewesen war – bis Charly Eckmann auftauchte und die Leitung übernommen hatte. Die Aktionen wurden von mal zu mal drastischer und brutaler. Heute Nacht hatten die Kameraden Frauen angegrabscht und wild zugeschlagen, was ihn sehr schockiert hatte. Durch einen gezielten Schlag konnte er einen Kameraden gerade noch davon abhalten, sein Messer zu benutzen, was der zum Glück nicht mitbekommen hatte. Ob ihn ein anderer dabei beobachtet hatte? Das riesige Banner am Stadttor war sehr beeindruckend.