Irene Dorfner

DIE LEICHE MUSS WEG


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eine Eigentumswohnung besaß, hatte man es geschafft. Dass hier niemand bezüglich der Brände etwas gesehen oder gehört hatte, war für Leo und Hans kaum vorstellbar.

      „Brandmeister Zwirglmaier“, stellte sich der korpulente Mann vor, der völlig außer Atem war. „Das letzte Fahrzeug ist gelöscht. Kommen Sie bitte mit, das müssen Sie sich ansehen!“

      Leo und Hans standen vor dem ausgebrannten Kombi. Sie sahen sofort, dass hier etwas nicht stimmte.

      „Hier sitzt einer drin“, sagte Zwirglmaier, der mit der Situation völlig überfordert schien. Zwei seiner Kameraden standen vor dem Fahrzeug und starrten auf die verkohlte Leiche, drei andere mussten sich übergeben.

      Hans Hiebler ging ums Fahrzeug und versuchte, das Kennzeichen zu entziffern.

      „Da sind keine Kennzeichen dran“, rief Zwirglmaier, der dies selbst schon überprüft hatte.

      Leo besah sich indes das Opfer genauer. Hier stimmte etwas nicht. Es kräuselten sich Leos kaum mehr vorhandenen Nackenhaare.

      „Wir brauchen die Spurensicherung“, sagte er zu Hans.

      Hans sah seinen Freund und Kollegen an. Was hatte Leo gesehen, was ihm nicht aufgefallen war? Während Leo telefonierte, versuchte er, das herauszufinden. Die Scheiben des Fahrzeugs waren durch den Brand zerborsten. Die Leiche saß auf dem Fahrersitz. Die Hände lagen auf dem Schoß, was an sich noch nicht viel aussagte, obwohl das schon etwas merkwürdig war. Dann sah er das, was Leo gesehen haben musste: Eine Gürtelschnalle hing an der Rücklehne des Fahrersitzes. Waren das Reste eines Gürtels? Wenn ja, dann wurde das Opfer damit fixiert – und dann hatten sie es mit Mord zu tun.

      „Du hast den Gürtel auch gesehen?“, wandte sich Leo an Hans, der daraufhin nickte.

      „Gürtel? Wovon sprechen Sie?“ Zwirglmaier verstand kein Wort, auch die Kollegen hingen an den Lippen der Kriminalkommissare.

      „Die Hände des Opfers liegen im Schoß. Hätte nicht jeder normale Mensch versucht, irgendwie aus dem Auto zu kommen?“ Hans versuchte zu erklären, auch wenn er das nicht musste. Was sollte er machen? Er hatte nun mal eine Schwäche für Feuerwehrleute.

      „Vielleicht hat der Mann eingesehen, dass er keine Chance hatte, aus dem Wagen zu kommen?“, sagte Zwirglmaier und einige seiner Leute nickten zustimmend. „Warum ist er nicht einfach ausgestiegen?“

      „Weil das Opfer das nicht konnte. Sehen Sie die Gürtelschnalle, die sich auf der Rückenlehne eingebrannt hat?“

      Zwirglmaier nickte. Langsam verstand er, was der Kriminalkommissar sagen wollte.

      „Der Mann wurde auf dem Fahrersitz festgeschnallt?“

      „Danach sieht es für uns vorerst aus. Allerdings ist das nur eine Vermutung, die die Spurensicherung bestätigen muss.“

      „Warum sind Sie sich sicher, dass das Opfer ein Mann ist?“, mischte sich Leo ein.

      „Das ist eine Frau?“

      „Das wissen wir noch nicht. Auch das muss geklärt werden. Ich darf Sie alle bitten, nichts anzufassen.“

      „Selbstverständlich nicht!“

      Niemand bemerkte die Männer, die sich unweit des Geschehens versammelt hatten.

      Charly Eckmann war zuerst eingetroffen. Er brauchte lange, bis er begriff, was hier geschehen war. Ein Kamerad nach dem anderen trudelte ein. Eckmann zählte vierzehn Kameraden, der Rest fehlte. Verdammt! Die Polizei hatte viele erwischt, zu viele! Auch Wolf Perlinger und vor allem Severin Torka fehlten.

      „Die Polizei hat uns erwartet“, maulte einer, der eine klaffende Wunde am Auge hatte. Er hatte eine Schlägerei angezettelt, bei der er ordentlich einstecken musste.

      „Wir wurden verpfiffen! Wenn ich die Ratte in die Finger kriege, dann kann er was erleben!“

      „Unser Bus ist völlig ausgebrannt. Was jetzt, Boss?“

      „Ohne die Kameraden wären wir sowieso nicht abgefahren, wir lassen niemanden zurück! Vorerst bleiben wir hier.“ Charly Eckmann war neugierig geworden. Die Aufmerksamkeit der Feuerwehrleute galt seit geraumer Zeit nur einem einzigen Fahrzeug.

      „Hier stimmt doch etwas nicht“, sagte einer der Kameraden. Klaus war nicht der Hellste und sogar ihm fiel auf, dass da was faul war.

      „Ich werde versuchen, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Ihr bleibt hier und wartet auf mich. Verhaltet euch ruhig und macht keinen Ärger. Polizei können wir jetzt nicht brauchen. Es reicht, dass die anderen verhaftet wurden. Ihr habt mich verstanden?“

      „Keine Sorge, Boss.“

      Charly Eckmann fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und setzte seine unschuldigste Miene auf. Niemand sollte ihn mit der Blauen Armee in Verbindung bringen.

      Charly Eckmann war nicht die einzige Person, die versuchte, sich den Polizisten zu nähern und an Informationen zu kommen. Dort stand auch ein Mann mittleren Alters, der nichts mit der Siedlung zu tun hatte: Christian Pölz. Geschickt hatte er sich den Befragungen entziehen können. Niemandem war er aufgefallen. Was wusste die Kriminalpolizei? Und warum war sie so schnell hier? Als er die wenigen Sätze der beiden Kommissare, die er gut kannte, aufschnappte, wurde ihm schlecht. Jetzt begann eine Mordermittlung, die er gerne vermieden hätte. Wie hätte er auch trotz der hohen Benzinmenge wissen können, dass die Leiche und der Gürtel nicht komplett verbrannten? Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Leiche Eduardos zu fixieren, da sie immer wieder zur Seite kippte. Wie hätte er ihm sonst in den Mund schießen sollen? Verdammter Mist! Es war Pech, dass die besten Mühldorfer Kommissare vor Ort waren und die Sache in die Hand nahmen. Christian Pölz blieb noch ein paar Minuten stehen und ging dann langsam davon. Er müsste sich eigentlich sicher fühlen. Niemand kannte die Identität des Toten. Und niemand wusste, was ihn mit der Leiche verband. Auch wenn ihm klar war, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass man auf ihn stoßen würde, bekam er es mit der Angst zu tun. Warum hatte er sich auf die ganze Sache überhaupt eingelassen? Er hätte sich nicht von Angela überreden lassen dürfen!

      Noch während Leo telefonierte, bemerkte er den Mann. Da er sich nicht mit ihm unterhalten hatte, nahm er an, dass Hans das erledigt hatte und daher kümmerte er sich nicht länger um ihn.

      „Wo kommst du her?“, wurde Christian Pölz von seiner Cousine Angela empfangen. Sie war längst zurück und hatte den Mord an Lisbeth bereits verdrängt. Sie hatte sich überlegt, ihren Cousin doch ins Vertrauen zu ziehen, entschied sich dann aber letztendlich doch dagegen. Sie nahm sich vor, die dicke Lisbeth nie mehr zu erwähnen.

      „Von der Lohberg-Siedlung.“ Christian Pölz war völlig erschöpft. Das, was er in den letzten beiden Stunden gemacht hatte, war fast unmenschlich.

      „Warum? Was wolltest du dort?“

      „Ich habe mich darum gekümmert, dass die Leiche verschwindet. Sie ist verbrannt. Die Polizei war vor Ort, sie ermittelt wegen Mordes“, sagte er und setzte sich.

      „Wegen Mord? Warum? Wie kommt die Polizei darauf?“

      „Sie haben die Gürtelschnalle gesehen, mit der ich Eduardo fixieren musste.“

      Angela verstand nicht, was es damit auf sich hatte und es interessierte sie auch nicht. Sie hatte nur verstanden, dass die Polizei wegen Mordes ermittelte und wurde panisch.

      „Das war es! Jetzt dauert es nicht mehr lange, und die Polizei verhaftet mich.“ Angela setzte sich und sah ihren Cousin ängstlich an.

      „Mach dir keine Sorgen, hörst du? Niemand wird Eduardo identifizieren können, dafür habe ich gesorgt. In den nächsten Tagen verhältst du dich ruhig und gehst nicht raus. Niemand weiß, dass Eduardo hier war. Das stimmt doch, oder?“ Diese Frage brannte ihm auf der Seele. Das war noch ein Unsicherheitsfaktor, den er nicht ausräumen konnte.

      „Stimmt. Eduardo ging nicht mit mir aus. Wenn er draußen war, dann nur allein ohne mich.“

      „Was ist mit deinen Nachbarn?“