Irene Dorfner

DIE LEICHE MUSS WEG


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beschönigten. Schonungslos zeigte sie Eduardo, wie sie aussah und mit wem er sich abgab. Sie erwartete, dass er den Kontakt abbrach, aber nichts dergleichen geschah. Die Komplimente hörten nicht auf, wurden sogar noch sehr viel schmeichelhafter und intimer. Nach vier Monaten telefonierten sie zum ersten Mal miteinander, was wegen der Sprachbarriere nicht einfach war. Trotzdem schweißten sie die wenigen Worte mehr und mehr zusammen. Angela schwebte wie auf Wolken und begann portugiesisch zu lernen. Ihr stand eine rosige Zukunft und die Erfüllung all ihrer Träume bevor. Jetzt war Eduardo tot und alles war kaputt. Was war nur geschehen? Wie hatte er sich so sehr verändern können? Sie hatte doch gespürt, dass es Eduardo ehrlich mit ihr meinte. Ja, sie wusste von den vielen Betrügern im Netz, die es nur auf das Geld ihrer Kontakte abgesehen hatten. Aber Eduardo war anders. Er bat sie kein einziges Mal um Geld. Auch deshalb sparte sie sich jeden Cent vom Mund ab und überwies alles, was sie entbehren konnte, auch wenn es sich dabei nur um Kleinbeträge handelte. Warum hätte sie ihm das Geld nicht überweisen sollen? Eduardo war ehrlich gewesen und hatte ihr gebeichtet, dass er arm war, viel ärmer als sie selbst. War es nicht so, dass sich Liebende unterstützten, wo sie nur konnten?

      Von Monat zu Monat wuchs in ihr das Verlangen, ihren Eduardo endlich anfassen und spüren zu können. Sie selbst schlug ihm vor, zu ihr nach Deutschland zu kommen. Dass sie nach Brasilien reisen würde, kam überhaupt nicht in Frage, denn sie hatte Flugangst und würde sich niemals freiwillig in ein Flugzeug setzen. Außerdem war der Gedanke, sich in einem fremden Land aufzuhalten, in dem sie sich nicht auskannte und die Sprache nicht sprach, unerträglich. Eduardo sollte zu ihr nach Deutschland kommen und mit ihr zusammen leben. Sie konnte sich noch sehr gut an seine Reaktion erinnern, als er fast weinte. Ja, er sagte zu, auch wenn er das Geld für ein Flugticket nicht hatte. Von da an übernahm Angela jede Überstunde, die sie ergattern konnte. Dazu ließ sie sich die Urlaubstage auszahlen, was dem Chef aufgrund des Personalmangels sehr entgegenkam. Sie verkaufte auch den Schmuck ihrer verstorbenen Mutter, der nicht viel einbrachte, da es sich nur um Silberschmuck handelte und die Steine von minderer Qualität waren. Aber auch diese siebzig Euro legte sie zur Seite. Ob sie es schaffen würde, ihren Geliebten noch vor Weihnachten nach Deutschland einfliegen zu lassen? Wie schön wäre es, dieses Jahr nicht wie in den vorherigen allein zu sein? Ende November fehlten trotzdem immer noch zweihundert Euro für das Ticket. Sie nahm ihren Mut zusammen und bat ihren Cousin Christian um ein Darlehen, das er ihr sofort gewährte. Zwar hatte er selbst nicht viel, aber hätte er seiner Cousine diese Freude verwehren sollen? Durch die Pleite seines Vaters wurde auch die Familie Lickleder hineingezogen, da der Onkel, Angelas Vater, viel Geld in die wackligen Geschäfte investiert hatte. Christians Vater war sehr geschickt darin gewesen, andere für seine Ideen zu begeistern und sie zu überreden. Auch deshalb hatte Christian immer ein schlechtes Gewissen Angela gegenüber, obwohl er selbst nichts für den Ruin konnte. Es war mehr als ein schlechtes Gewissen. Er hatte auch schon immer Mitleid mit Angela gehabt und wusste, dass sie es nicht leicht hatte. Viele Male hatte er die hämischen Beleidigungen, denen sie ausgesetzt war, mitbekommen. Zwei Mal hatte er sich sogar wegen ihr geprügelt, was ihm nicht gut bekommen war. Davon wusste Angela nichts, die ein sehr einfaches Gemüt hatte und immer sehr in sich gekehrt war. Natürlich wusste Christian von Eduardo, Angela hatte ihm alles erzählt. Anfangs war auch er skeptisch, denn warum sollte sich ein solch gutaussehender, viel zu junger Mann für seine Cousine interessieren, wenn es nicht um Geld ging? Angela hatte ihm hoch und heilig versprechen müssen, ihm kein Geld zu geben und er glaubte ihr, auch wenn sie ihn in diesem Punkt anlog.

      Im Laufe der Zeit schwand Christians Misstrauen und er freute sich mit Angela, die ein privates Glück echt verdient hatte.

      Angela war überglücklich gewesen, als das Ticket bezahlt war. Am 23.12. sollte Eduardo in München landen, was gerade noch rechtzeitig war, um das Weihnachtsfest gemeinsam zu feiern. Fast täglich telefonierten sie und Eduardo miteinander. Sie malten sich die Zukunft in den rosigsten Farben aus. Sobald ihr Geliebter hier war, würde sie endlich leben dürfen wie alle anderen auch. In diesem Jahr sollte Weihnachten etwas ganz Besonderes sein. Sie dekorierte die kleine Wohnung mit all dem Weihnachtsschmuck, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Sie leistete sich sogar einen kleinen Weihnachtsbaum, den sie mit Liebe schmückte. In diesem Jahr sollte es auch eine Gans geben, wie sie es aus Kindertagen kannte. Dazu gab es Kartoffelbrei und Rotkohl. Ob Eduardo die deutsche Küche mochte? Sie hoffe es inständig.

      Angela ließ es sich nicht nehmen, Eduardo mit ihrem alten Kleinwagen vom Flughafen abzuholen. Die Vorfreude war kaum auszuhalten. Sie hatte sich ihr schönstes Kleid angezogen, das für diese Jahreszeit viel zu dünn war. Darüber trug sie einen Mantel, den sie schonte und nur zu Beerdigungen trug. Eigentlich hätte sie zum Friseur gehen sollen, aber dafür war kein Geld mehr übrig. Sie kämmte die kurzen Haare und benutzte sogar einen Lippenstift, der schon viele Jahre alt war und nicht mehr ganz so schön glänzte.

      Nervös wartete sie in der Ankunftshalle. Sie hatte eine gelbe Rose gekauft und hielt sich daran fest. Als Eduardo endlich auf sie zukam, stockte ihr Atem: Er sah noch viel besser aus, als auf den Bildern. Sie umarmten sich und am liebsten hätte sie ihn nie mehr losgelassen. Dass die beiden ein ungleiches Paar abgaben, störte sie nicht. Er, der junge, gutaussehende Schwarze, und sie, die hässliche Frau, die sehr viel älter aussah, als sie war. Viele rümpften die Nase, aber das war vor allem Angela egal.

      Die ersten beiden Tage waren phantastisch gewesen. Eduardo schlief zwar viel, aber wenn er wach war, war er sehr zuvorkommend. Die Sprachbarriere war ein Problem, denn die wenigen Worte, die Angela gelernt hatte, reichten bei weitem nicht aus. Irgendwie verständigten sie sich. Jetzt von Angesicht zu Angesicht war das sehr viel einfacher als am Telefon. Angela ergriff die Initiative und versuchte, sich ihm auch körperlich zu nähern, aber er wich ihr aus. Er erklärte ihr, dass er wegen des langen Fluges müde war und sie verstand ihn. Trotzdem sehnte sie sich danach, ihn anzufassen und ihm nah zu sein. Aber sie musste geduldig sein. Am liebsten hätte sie ihren Eduardo sofort der ganzen Welt gezeigt. Den Neidern und Mobbern. All denen, die sich schon immer über sie lustig gemacht hatten. Sie hatte sich sehr oft ausgemalt, wie bewundernd und auch schockiert andere reagieren würden, wenn plötzlich dieser Mann an ihrer Seite auftauchte. Wann war es endlich so weit? Wann konnte sie ihren Freund präsentieren? Sie bettelte und bettelte, schließlich ließ sich Eduardo für einen kurzen Spaziergang erweichen. Es war schon dunkel an diesem ersten Weihnachtsfeiertag, deshalb wählte Angela den Stadtplatz. Aber gerade heute war alles wie leergefegt. Niemand war hier, dem sie ihren Eduardo hätte präsentieren und mit ihm angeben können. Auf dem Weg zum Auto begegneten sie aber Lisbeth, der dicken Verkäuferin bei Metzger Strömer. Endlich ein bekanntes Gesicht! Lisbeth war etwa in ihrem Alter und sie war die Pest! Lisbeth war der fieseste Mensch, den Angela je kennengelernt hatte. Sie gab ihr immer die erste Scheibe Wurst, auch wenn die schon übel aussah. Außerdem grabschte sie immer mit ihren dicken Fingern auf ihrem Aufschnitt herum und drückte manchmal sogar Löcher hinein, was Angela sehr wohl bemerkte, aber nie ein Wort darüber verlor. Sie traute sich nicht, denn sie fürchtete sich vor der dicken Frau, deren Waffe ihr loses Mundwerk war. Es machte Lisbeth Spaß, ihr dumme Fragen zu stellen und sie damit vor allen anderen bloßzustellen. Das machte diese schreckliche Frau alles mit Absicht! Jetzt stand die verhasste Lisbeth mit offenem Mund vor ihr. Sie sagte keinen Ton. Sie blieb einfach nur stehen und schien nicht zu glauben, was sie sah. Angela klammerte sich an Eduardo und er schien zu verstehen, denn er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Beide lachten und kicherten wir Teenager. Lisbeth fiel fast um vor Schreck. Schon allein wegen ihr hatte sich der Spaziergang gelohnt.

      Nach Weihnachten war Eduardo nicht mehr so nett und begann, ohne sie auszugehen. Er verzog sich immer öfter ins Bad, wo er heimlich telefonierte. Wenn sie ihn darauf ansprach, wich er aus. Als er am 31.12. seine Jacke nahm und gehen wollte, war sie gerade dabei, das Abendessen zu kochen. Sie wollte sich sein Verhalten diesmal nicht wieder gefallen lassen und stellte ihn zur Rede. Sie machte ihm Vorwürfe und schrie ihn an, als er keine Anstalten machte, seine Jacke wegzulegen und bei ihr zu bleiben. Eduardo verstand kein Wort, spürte aber, dass sie wütend war und dass es ihr nicht gefiel, wie er sich benahm. Es war ihm egal. Er war endlich in Deutschland und nur das war es, was er von ihr wollte. Außer mit Angela hatte er noch mit zig anderen Frauen Kontakt gehabt, die alle darauf abzielten, ihn nach Deutschland zu bringen. Hier hatte er Freunde, die ihm den Einstieg in ein neues Leben ermöglichten. Sie hatten ihn heute zu einer Silvesterfeier eingeladen, auf die er sich sehr freute. Warum sollte er