Irene Dorfner

DIE LEICHE MUSS WEG


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fröhliches Leben war ihm bisher nicht vergönnt gewesen, dafür hatte er in seiner Heimat in zu bitterer Armut gelebt. Vor über zwei Jahren bekam er von einem Freund den Tipp, eine deutsche Frau zu suchen und sie so lange zu umgarnen, bis er sie heiraten konnte und ein unbekümmertes Leben in Deutschland führen könnte, oder zumindest das Flugticket bezahlt bekäme, das ihm den Weg in die Freiheit und in eine gute Zukunft ermöglichte. Er hatte damals zunächst gezweifelt, ob das möglich wäre. Dass es so einfach werden würde, mit fremden Frauen, die nicht einmal seine Sprache sprachen, in Kontakt zu kommen, hätte er nie für möglich gehalten. Die Liebesschwüre hatte er aus dem Internet und die brauchte er nur in die jeweiligen Profile zu kopieren. Die Frauen merkten nichts. Und wenn, dann gab es eben andere. Von da an konnte er ein besseres Leben führen, denn einige Frauen überwiesen ihm Geld, ohne dass er darum bitten musste. Wie leichtgläubig deutsche Frauen doch waren! Dass er die Frauen nur ausnutzte, war ihm gleichgültig. Er musste an sich denken und an niemand anderen. Eine Heirat mit Angela kam nicht in Frage, dafür hatte sie nicht genug Geld. Schon am Flughafen hatte er sofort ihre schäbige Kleidung bemerkt, vor allem der Mantel roch übel. Als er ihren Wagen sah, war ihm bewusst, dass er eine finanziell sorglose Zukunft mit Angela vergessen konnte. Er brauchte einen neuen Plan, den er mit Hilfe von Freunden gefasst hatte. In zwei Tagen kam ein Freund aus Landshut. Er wollte mit ihm gemeinsam versuchen, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ob das alles gutging, stand in den Sternen. Wenn nicht, hielt er sich illegal in diesem Land auf und musste sich etwas anderes überlegen. Er erwog eine Scheinehe, die er aber nicht gedachte, mit Angela einzugehen. Ja, sie hatte ihm das Ticket besorgt und in den letzten zwei Jahren immer wieder Kleinbeträge überwiesen, wofür er ihr dankbar war. Aber für eine Scheinehe wollte er sich doch etwas Hübscheres und vor allem etwas Reicheres suchen. Er hatte gesehen, wie schön deutsche Frauen sind, von denen ihn viele angelächelt hatten. Ein eindeutiges Zeichen für ihn, dass er viele Deutsche haben konnte, wenn er wollte. Warum sollte er sich dann mit Angela abgeben? Nein, sie kam für ihn nicht in Frage.

      Angela schrie immer lauter, ihre Stimme überschlug sich. Eduardo hatte genug von ihren Vorhaltungen, denn die Fratze der hässlichen Frau wurde für ihn unerträglich. Noch während sie ihn anschrie ging er ins Schlafzimmer und packte seine Tasche. Als Angela begriff, was hier gerade passierte, verwandelte sich ihre Enttäuschung in blanken Hass. Sie schlug wie von Sinnen auf ihn ein. Eduardo wehrte sich nicht, denn er schlug keine Frauen. Die Schläge schmerzten. Als er trotzdem seine Tasche nahm und an ihr vorbeiging, drehte sie völlig durch. Sie griff nach der schweren Engelsfigur auf der Anrichte im Flur und folgte ihm – sie holte aus und schlug zu. Eduardo fiel einfach um. Als sie begriff, was sie getan hatte, weinte sie. Sie setzte sich zu Eduardo auf den Boden und nahm seinen Kopf auf ihren Schoß. Dass er blutete, merke sie nicht. Sie streichelte ihn und weinte, zu mehr war sie nicht fähig. Sie hatte ihn umgebracht.

      Es war dunkel geworden, als sie begriff, dass sie etwas tun musste. Eduardo durfte nicht hierbleiben. Wenn man ihn hier finden würde, würde man sie verurteilen und für den Rest ihres Lebens einsperren. Das wollte sie unter keinen Umständen! Sie hatte Filme mit Gefängnissen gesehen. Das waren dunkle, dreckige Löcher, in denen die schwersten Verbrecher eingesperrt waren, zu denen sie nicht gehörte. Nein, sie wollte mit dem Toten nichts mehr zu tun haben, die Leiche musste weg. Aber wie sollte sie das anstellen? Allein schaffte sie das niemals, dafür war sie nicht kräftig genug. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wohin sie die Leiche bringen sollte. In ihrer Panik rief sie ihren Cousin an. Er war Polizist und er wusste, was zu tun war.

      Christian Pölz wurde schlecht, als er ihre zitternde Stimme hörte.

      „Was ist passiert?“

      „Er ist tot. Es war ein Unfall, du musst mir glauben!“

      „Beruhige dich, Angela! Was ist passiert?“

      „Eduardo ist tot. Er wollte weg und wir haben uns gestritten. Ich wollte das nicht, das war ein Unfall!“, schrie sie hysterisch. „Ich will nicht ins Gefängnis, Christian!“

      „Du musst die Polizei rufen, Angela! Erklär den Kollegen, was passiert ist. Wenn es ein Unfall war, hast du nichts zu befürchten.“ Christian Pölz versuchte, der aufgebrachten Frau ganz ruhig zu erklären, was sie zu tun hatte, auch wenn er nicht verstand, was eigentlich passiert war. „Reiß dich zusammen und ruf die Polizei“, wiederholte er.

      „Man wird mich einsperren! Ich werde ins Gefängnis kommen und nie wieder rauskommen! Du musst mir helfen, Christian, das bist du mir schuldig!“

      „Was meinst du damit?“

      „Dein Vater hat meine Eltern mit in den Ruin gerissen. Ohne deinen Vater wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Du bist mir das schuldig, hörst du? Du musst mir helfen!“

      Angela spielte die Trumpfkarte aus, die ihn direkt traf. Ja, er war ihr das schuldig, auch wenn es ihm widerstrebte, vor allem als Polizist. Trotzdem fühlte er sich verpflichtet, ihr zu helfen.

      „Unternimm nichts und warte auf mich.“

      „Du willst mir wirklich helfen? Ohne Polizei?“

      „Ja. Ich bin gleich bei dir.“

      Christian war leichenblass geworden. Für einen kurzen Moment dachte er darüber nach, doch die Kollegen zu rufen, verwarf das dann wieder. Angela war Familie und hatte absolut Recht mit dem, was sie sagte. Sie hatte es nicht leicht gehabt, woran vor allem sein Vater Schuld hatte, dessen waghalsigen Geschäfte er ihm auch über den Tod hinaus nicht verzieh. Hätte er sich nicht verspekuliert, wäre Angelas Familie nicht in den Ruin getrieben worden. Wenn es seinen Vater und diese riskanten Geschäfte nicht gegeben hätte, wäre vieles anders gelaufen, aber so war es nun mal, daran konnte er nichts mehr ändern. Christian schämte sich auch heute noch für seinen Vater und fühlte sich jetzt dazu verpflichtet, seiner Cousine zu helfen. Der fremde Mann aus Brasilien war jetzt tot. Dass das ein Unfall war, glaubte er seiner Cousine. Sie war kein gewalttätiger Mensch, sondern eher sanft und gutmütig, vielleicht sogar naiv. Eine Mörderin war sie auf keinen Fall, daran wollte er nicht glauben. Was sollte er jetzt tun? Christian atmete tief durch und versuchte, sich zu konzentrieren. Wer wusste von Eduardo? Wer würde ihn vermissen? Fragen, die er mit Angela später klären musste. Die Leiche musste weg, und zwar für immer. Aber wie sollte er das anstellen?

      Christian begann zu zittern und mahnte sich zur Ruhe. Er durfte kein Risiko eingehen und keinen Fehler machten. Eine Identifizierung der Leiche musste er verhindern. Aber wie? Er trank einen Schnaps. Ganz langsam begann er, die Situation nüchtern zu betrachten. Der Brasilianer war tot – wie und warum war jetzt nicht wichtig. Die Leiche musste aus Angelas Wohnung verschwinden und durfte nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden. Er erinnerte sich an einen Fall vor einigen Jahren, als es eine Leiche in einem ausgebrannten Wagen gab, die bis heute noch nicht identifiziert worden war. Das war es! Es gab noch den alten Wagen seiner verstorbenen Mutter, den er dafür verwenden konnte. Er verließ die Wohnung, rannte zur Garage und schloss sofort die Tür, denn auf die neugierigen Blicke seiner Nachbarn konnte er gerne verzichten. Zuerst musste er sich vergewissern, dass der Wagen nach der langen Standzeit ansprang. Nach einigen Versuchen hatte er Glück. Sofort schaltete er den Motor wieder aus, schließlich wollte er hier in der geschlossenen Garage nicht draufgehen. Dann entfernte er die Fahrgestellnummer und schraubte die Nummernschilder ab. Große Sorgfalt brauchte er nicht walten zu lassen, schließlich würde der Wagen demnächst in Flammen aufgehen. Er öffnete die Garagentür und setzte sich hinters Steuer. Die Gedanken kreisten um die Leiche. Wenn es stimmte, dass niemand Eduardo kannte und vermutlich auch niemand vermisste, musste er sicher gehen, dass die Leiche nicht anhand des Zahnschemas identifiziert werden konnte. Das konnte er nur verhindern, indem er der Leiche in den Mund schoss. Ob er das überhaupt fertigbrachte? Darüber musste er sich später Gedanken machen. Seine Dienstwaffe konnte er dafür nicht verwenden, das war klar. Dann fiel ihm die alte Waffe seines Großvaters ein. Ob die noch funktionierte? Das musste er riskieren. Er rannte zurück in die Wohnung und nahm die alte Waffe an sich. Sie war nach all den Jahren immer noch geladen, was ihn bisher nicht interessiert hatte. Dann hörte er mehrere Schüsse – das waren Silvesterknaller. Er sah auf die Uhr: kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Er trat auf den kleinen Balkon und hörte die Böllerschüsse, die von mehreren Kindern unter grölendem Lachen gezündet wurden. Christian Pölz sah die Waffe an. Ob er es