Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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Sicherheit geflohen, weit weg vom Unglück mit einem sicheren Abstand zur Absturzstelle. Eine unsichtbare Kraft aber, vielleicht war es auch ein sadistischer Dämon, hielt ihn gefangen, und forderte ganz sicher seinen Tod.

      Sam aber dachte in dem Moment nicht etwa an die Gefahr eines ausbrechenden Feuers in seinem Wrackteil. Auch fragte er sich nicht, ob gleich der tosende Knall einer Explosion das Letzte sein würde, was er auf dieser Erde vernehmen würde. Eigentlich dachte er jetzt gar nichts mehr. Vielleicht, so sagte er einmal im Nachhinein, wollte er instinktiv abwarten, ob er tatsächlich noch zugegen war, und nicht etwa das Ganze nur noch auf seiner Reise ins Jenseits beobachtete. Denn Sam war sich in diesem Moment alles andere als sicher, ob er wirklich noch am Leben war.

      So verlor er unmittelbar jegliches Zeitgefühl, so auch wie lange es brauchte, bis die Rettungskräfte ihn entdeckten. Es waren wohl nur Minuten, denn die Einsatzkräfte des Flughafens Durban waren schnell vor Ort. Die Absturzstelle lag schließlich nur einige hundert Meter vor der Sicherheitszone vor dem Flughafenareal, im Vorfeld der Landebahn. Doch was sind in einer solchen Situation Minuten? Sie blähen sich auf wie Monate oder Jahre, mutieren zu einer bitteren Kostprobe der Unendlichkeit.

      Mit Eintreffen der Helfer kam bei Sam der Filmriss, er verlor das Bewusstsein. Erinnerungen an seine Befreiung aus dem Wrack oder seine Einlieferung in das Krankenhaus hatte er deshalb nicht. Er erwachte irgendwann einfach wieder. Da wusste er, dass er noch lebte. Ihm kam es nur so vor, als schlüge er die Augen an einem Morgen nach einer großen körperlichen Anstrengung auf. Sein Körper fühlte sich ermattet, ausgelaugt und schlaff an. Gleichzeitig aber auch leicht, fast schwerelos. Er fühlte, dass er einer großen Belastung ausgesetzt gewesen sein musste. Aber Schmerzen hatte er gottlob keine. Ebenso meldete sein Gehirn ihm weder erkennbare Einschränkungen, noch Anomalien. Nur seine Augenlider waren weiterhin schwer, und ihm wollte es einfach nicht gelingen, diese so lange aufzuschlagen, bis er seine Umgebung erfassen konnte. So vernahm er zunächst allein die Stimmen um sich herum. Es mussten die Ärzte und Krankenschwestern sein, die sich um ihn bemühten. Er hörte das Piepsen eines Gerätes, wie es rhythmisch und gleichbleibend das Signal seiner Herzschläge wiedergab. Ja, er war offenbar in einem Krankenhaus.

      Sam aber hatte auch jetzt weder Angst, noch Panik. Er vermutete, dass er sich gerade in der Phase des Aufwachens befand, und ging davon aus, dass es nur noch wenige Augenblicke dauern würde, bis er wieder ganz bei Bewusstsein war. Und er konzentrierte sich deshalb auf alles, was einen Schlafenden von selbst erwachen lassen würde, denn er war festen Willens, sobald es ginge die Augen ganz aufzuschlagen.

      Er bemerkte dabei selbst, dass er immer wieder zurück in eine dumpfe Tiefe versank, aus der er aber sogleich wieder aufzutauchen das Gefühl hatte. Und dann, nach einigen Malen des Ab- und wieder Auftauchens, öffnete er seine Augen und die Schwere der Lider war fort. Samuel Goldman war wieder bei vollem Bewusstsein.

      Die Ärzte erkundigten sich sogleich nach seinem Befinden. Erste Untersuchungen wurden vorgenommen, Reaktionstests unternommen, seine Wahrnehmungsfähigkeit geprüft, und man kam zu dem Ergebnis, dass ihm nichts fehlen würde. Sam war, abgesehen von Schwäche und psychischer Belastung, offensichtlich kerngesund, und hatte keinerlei Verletzungen davongetragen. Sein vorausgegangener Bewusstseinsverlust wurde deshalb auch als ein schockbasiertes Kurztrauma verstanden. Sams Gehirn habe sich für einen Moment selbst ausgeklinkt, zum eigenen Schutz, und hatte alle Wahrnehmungen, die mit der Gefahr im Zusammenhang stehen, kurzzeitig blockiert.

      Schnell wurde Sams Überleben zur Sensation. Er hatte unglaublicher Weise als einziger von 113 Passagieren und 5 Besatzungsmitgliedern überlebt. Und das auch noch völlig unbeschadet. Nicht einmal eine Schramme hatte er davongetragen, lediglich einen Bluterguss dort, wo ihn der Sicherheitsgurt im Sitz gehalten hatte. Alle anderen in der Unglücksmaschine waren beim Aufprall oder unmittelbar hiernach, ums Leben gekommen. Waren sie nicht beim Aufprall zerrissen worden, starben die Unglücklichen in den Flammen.

      Die Reporter drängten sich vor dem Krankenhausportal oder kamen mit Tricks als Ärzte verkleidet direkt in sein Krankenzimmer. Man stellte Polizisten vor seine Türe und nur die Unfallermittler sowie einige Manager der Airline hatten Zutritt. Sam fühlte sich gesund und so bat er die Verantwortlichen der Fluggesellschaft, dass sie ihm doch eine baldige Reise nach Hause organisieren mögen. Doch so schnell wollte man Sam nicht loswerden. Die Medien waren ganz verrückt nach seiner Geschichte, und fast stündlich trudelten Angebote für seine Exklusiv-Story an sein Krankenhausbett.

      Für die Airline war Sam so etwas wie ein Qualitätsbeweis. Trotz des Absturzes – welche Ursache für diesen dann auch immer festgestellt werden würde – gab es Überlebende. Sicher, nur einen, aber immerhin. An diesem könnte die Fluggesellschaft nun belegen, wie verantwortlich man in derlei Situationen mit der Angelegenheit umgeht. Und nach der Wahrscheinlichkeitstheorie, war die Fluglinie mit diesem Absturz nun für mehrere Jahrzehnte vor weiteren Unglücken gefeit. Jedenfalls statistisch. Das war immerhin eine gute Nachricht. So ließen die Obersten der Airline, vom Vorstand bis zum Pressesprecher, auch keine Gelegenheit aus, sich mit Sam vor die Kameras zu stellen und ihr Bedauern über dieses schreckliche Unglück auszudrücken. Am glücklichsten aber waren sie über ihren glücklichen Überlebenden. Und so etwas lässt sich ein Marketingleiter nicht so einfach entgehen.

      Die Bilder gingen in den Nachrichten um die Welt. Und in der fernen Heimat von Sam begaben sich die TV-Sender und Redakteure jener Zeitungen, die etwas auf sich hielten, auf die Jagd nach diesem gruselig schönen Aufmacher. Diese Sensation versprach mit reichem Bildmaterial und dramatischen Berichten ein Garant für steigende Quoten und Auflagen zu werden. Mit dem einzigen Überlebenden dieser Katastrophe als Hauptdarsteller. Ein gefundenes Fressen, ein wirklich schöner Kuchen. Und es ging jetzt darum, einen möglichst großen Teil für sich sichern. Mit Kirsche, das versteht sich!

      Sam hatte riesiges Glück gehabt. Wieder einmal. Selbst er musste das jetzt zugegeben. Aber dieses Mal sollte es noch sein ganzes Leben verändern.

      Kapitel 1

      Samuel Goldman war ein eher unauffälliger Mann, den man landläufig wohl als Durchschnittstyp bezeichnen konnte. Das Maß der ihm zuteil gewordenen Aufmerksamkeit lag eher im Mittelfeld, was durchaus auch damit zusammenhing, dass das Kaleidoskop seiner Eigenschaften nicht polychrom ausgelegt war. Dafür stieß er im Gegenzuge aber auch deutlich weniger auf Widerstand in seinem Umfeld, erzeugte kaum Neid und schwamm weitgehend unbekümmert mit der Allgemeinheit mit. Er verfolgte so gut wie keine ehrgeizigen Ziele, strebte nicht nach Prädikatsexamen und Stipendium, nicht nach Pokalen, wollte weder Footballstar der High-School, noch heißester Schwarm aller Cheerleader werden.

      Sam erkannte schon früh, dass er über keine herausragenden Talente oder gar Begabungen verfügte. Ihm war zwar ein durchaus über dem Durchschnitt liegender kluger Kopf gegeben, er lernte schnell und einfach, kam überall gut mit und niemand hätte behaupten können, Sam Goldman sei nicht gescheit. Den Drang aber, eine besondere Rolle hierdurch einnehmen zu wollen, war bei ihm schlichtweg nicht vorhanden. So gab es denn auch wenig Anlass für seine Eltern, ihn zu mehr motivieren zu wollen, als er von sich selbst aus leistete, denn es reichte ja allemal für gute Noten, später für einen recht passablen Abschluss an der High-School in Greenville, South Carolina.

      Sie waren dennoch durchaus stolz auf ihren Sprössling, so zum Beispiel, als er dann doch einmal für die Football-Mannschaft nominiert wurde. Es tat nicht viel zur Sache, dass er nur als Ersatzspieler aufgestellt war, auch nie zum Einsatz kam, es zählte allein die Tatsache, der olympische Gedanke, und für den Rest sein durchaus geschmeidiger Durchmarsch auf dem Weg zur Universität. Der Besuch der Furman, natürlich auch in Greenville, verlief in der Regelstudienzeit und er erhielt, wie zu erwarten, problemlos sowie ohne Aufsehen seinen Abschluss als Master in der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften. Seine Examensnote lag präzise am unteren Rand des oberen Drittels, und so begann er – man könnte fast meinen automatisch – seine Tätigkeit in der örtlichen Bank von Greenville. Denn was anderes, als in seiner Geburtsstadt zu bleiben, war ihm niemals in den Sinn gekommen.

      Man