Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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ähnlich denen des Londoners Malediventouristen, der zum ersten Mal inmitten des Indischen Ozeans seiner Überwältigung durch große Augen und lautes Staunen Luft macht. Sie waren nicht mehr fähig dazu, denn es war ja nichts Besonderes für sie. Samuel Goldmans Glück war ihnen so alltäglich, wie es Adam und Eva der wolkenlose, blaue Himmel über dem Paradies war. Wer verschwendet in dieser Eintracht schon einen Gedanken daran, dass eine Schlange und ein profanes Stück Obst der Idylle ein jähes Ende bereiten wird.

      *

      Die Familie Goldman, bestand allein aus seinen Eltern und ihm als Einzelkind. Vater und Mutter nahmen in wohltuender Distanz, gleichfalls aber mit großem Herz und ständiger Hilfsbereitschaft, am Leben und dem Werdegang ihres Sams teil. Sie waren stolz auf ihn, ohne dabei die Nerven ihrer Mitmenschen durch ständige Berichte von Sams Tun und Lassen, durch eitles Loben oder glorreiche Erzählungen zu strapazieren. Inzwischen waren sie bereits ein wenig dem Lebensende näher gekommen, und sie hätten sich schon deshalb sehr über eine liebe Schwiegertochter und ein, zwei Enkelkinder gefreut. Als ausgewachsene Fatalisten aber hatten sie weder diesbezügliche Forderungen an ihn gerichtet, noch ein wirkliches Defizit empfunden. Ihr Sam wollte sich eben noch nicht entscheiden. Und früher oder später – das Schicksal sollte es wissen – würde Sam schon die Richtige gefunden haben.

      Mit pragmatischem Optimismus haben sie sogar Gutes daran entdecken können. Einige von Sams Schulfreunden und Nachbarskindern waren mittlerweile wieder geschieden, mussten ihre teuren schönen Häuser verschleudern und sich mühen, sich mit ihren Verflossenen um Besuchszeiten der Kinder zu einigen, und – nicht zu vergessen – wer den Hund behielt. Auch der eine oder andere, der mit Stipendium und Elite-Abschluss zu einem scheinbar traumhaften Karriereeinstieg gelangen konnte, war in der Zwischenzeit hart, für alle hörbar, auf den Boden der Realität geknallt. Grämte sich, neben Schulden oder Gerichtsterminen, auch noch die verlorene Mitgliedschaft im geliebten Rotaryclub verkraften zu müssen.

      Sam hatte solche ehrgeizigen Ziele nie verfolgt und wurde tatsächlich von den Konsequenzen eines allzu schnellen und selbstverliebten Aufstiegs verschont. Die Gescheiterten sahen in ihm deshalb nicht selten den wahren Glückspilz, einen, der fast traumwandlerisch die richtigen Register zur rechten Zeit zu ziehen vermochte. Maßvoll aber kalkuliert. Sie lagen mit ihrer Sichtweise zwar falsch, doch für ein gutes Image war das nicht abträglich. Und Sam war´s egal. Ihm erwuchs hieraus weder Schaden noch Nachteil.

      Als die Nachricht von seinem Überleben des Flugzeugabsturzes in Südafrika seine Heimat erreichte, war die Aufregung groß. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Geschichte. Man wurde aufmerksam auf diesen Goldman, diesem wahren Kind des Glückes, der ein Liebling der Götter und Sonntagskind zugleich sein musste. Für sie, vor allem den sensationshungrigen Reportern, Zuschauern und Lesern, sorgten die Bilder von der Absturzstelle, den zerschellten Rumpfteilen, den brennenden Wrackteilen und seiner spektakulären Bergung aus dem winzigen Rest des Hecks für Furore. Seine offensichtliche Unversehrtheit, die ersten Interviews der Medien aus Durban und Johannisburg – ja vor allem aber die gemeinsamen Bilder mit den Managern der Airline – machten ihn fast über Nacht zu einer Glücks-Ikone. Allen wurde spontan klar, dass sein Überleben einer Chance gleichgekommen war, deren Wahrscheinlichkeitsbetrachtung die Vorstellungskraft eines Menschenverstandes überforderte. So viel Dusel war nicht von dieser Welt. Und jemand, dem so etwas passiert war, hatte das Potenzial für einen richtigen Helden.

      Und wenn die Zeit eines Heroen gekommen ist, dann läuten zwar noch keine Glocken, aber es spüren alle, dass etwas Großes in der Luft liegt. Und man richtet seine Toga, zupft die Falten des Rocks zurecht. Denn es wird nun sicher spannend und aufregend werden.

      *

      Greenville, im Staate South Carolina, auf halber Strecke zwischen Atlanta und Charlotte gelegen, war eine angenehme und attraktive Stadt. Nun ja, mit 60.000 Einwohnern war diese eigentlich eher als Kleinstadt zu bezeichnen. Es ging hier gleichermaßen lebendig wie ehrlich zu. Dafür sorgten die ansässigen Wirtschaftsunternehmen, die überwiegend mit der Automobilindustrie verbunden waren, und natürlich die vielen Baptisten, die in der Region eine stattliche Anzahl ausmachten. Der bekannte Prediger und Bürgerrechtler Jesse Jackson war ein Kind der Stadt, ebenso, wie dessen leiblicher Vater, die ehemalige Boxlegende Noah Louis Robinson.

      Sam hatte sich vor zwei Jahren ein kleines Haus gekauft. Eines dieser flachen Holzhäuser, mit kleiner, geländerumzierten Veranda zur Straße hin, mit einer hübschen roten Holztür, die harmonisch zu den Sprossenfenstern links und rechts passte, und seinem neuen Zuhause ein freundliches, fast schon lustiges Gesicht verlieh. Er hatte sich bewusst für den Stadtteil Pleasant Valley entschieden. Dieser lag verkehrsgünstig nahe des 85er Highways, zum anderen war dieser Teil von Greenville besonders beliebt, da viele kleine Wohnstraßen, im Grünen liegend, das Wohnen attraktiv machten. Bunte Vorgärten, unzählige Bäume, die fast alle Straßen des Viertels zu Alleen machten, gepflegte Häuser und freundliche Nachbarn. Das war Pleasant. Gefragt war die Gegend auch deshalb, weil dieses Wohnviertel fast genau zwischen dem Greenville Country Club lag, einem der schönste Golfplätze im Staate, und dessen zweiter Anlage, die nur von wenigen Straßen vom Hauptareal des Clubs getrennt einer schönen Parkanlage gleichkam.

      Sam nutzte beim Kauf seines Hauses seinen Beruf und die damit verbundenen Gelegenheiten. Als Banker erfuhr er frühzeitig, dass ein Darlehen für ein kleines Haus in Pleasant Valley von den Eigentümern nicht mehr bedient werden konnte. Es handelte sich um einen der örtlichen Autohändler, der sich geschäftlich mit dem Gebrauchtwagenverkauf übernommen hatte. Sam bot ihm an, das Haus zu kaufen und ihn auf diese Weise zumindest vom Immobiliendarlehen zu entlasten. Für Sam war die Finanzierung kein Problem, für den Autoverkäufer bedeutete es schnelles Geld, und so ging der Deal flugs über die Bühne. Sam übernahm bequemer Weise auch gleich das gesamte Mobiliar und zog kurzerhand ein.

      Mit dem Erhalt des Postens als Filialleiter der Bank wurde Sam die zeitgleich auch die Mitgliedschaft im Country Club angeboten, was er natürlich nicht ausschlug. So standen ihm die Anlagen in seiner unmittelbaren Wohnlage zur Verfügung, und Sam überlegte einige Zeit, ob er tatsächlich das Golfen beginnen sollte. Er nahm sogar erste Stunden beim Golftrainer, schaffte seine Platzreife, ließ es hiernach aber dabei bleiben. Nicht, dass es ihm etwa keinen Spaß gemacht hätte. Es wurde ihm schnell zu teuer und der Wirbel der Clubmitglieder um die auffällige Reihe seiner Whole-in-Ones war ihm unangenehm. Er schlug tatsächlich bereits während seiner ersten Stunden auf der Trainings-Range mehrmals den Ball mit einem Schwung vom Abschlag ins Loch. Nicht bei den Langbahnen, dazu waren die Entfernungen zu groß. Bei den Löchern mit geringerer Distanz dafür auffallend häufig. Das sprach sich herum. Und da es üblich war, allen Anwesenden im Club für derlei Schläge einen Drink auszugeben, machte es schnell die Runde, wenn Sam trainierte oder eine Übungsrunde mit dem Pro absolvierte. Sie fanden heraus, dass es sich lohne, einen Späher zu entsenden, dem die Beweisführung oblag, an welchem Loch und wie oft Sam mit einem einzigen Schlag den Ball im Ziel versenkte. Da er das durchaus auf stolze vier- oder fünfmal brachte, hatten alle Mitglieder eine große Freude, selbst wenn sie dem Alkohol nicht übermäßig zusprachen. Wenn Sam spielte, gab es immer Spektakel.

      Seine Treffsicherheit hatte nichts mit seiner Befähigung für den Golfsport zu tun. Als Naturtalent konnte man ihn nicht verstehen. Seine Schwünge, seine Haltung, die Fuß- und Beinstellung, die Körperdrehung, ja selbst die Art und Weise, wie er den Griff des Golfschlägers mit seinen Händen umfasste, war eher nicht geeignet, als Insignium schlummernden Talents gedeutet werden zu können. Es ließ vielmehr die Erkenntnis zu, dass Sam allenfalls ein guter Holzhacker, jedoch wohl nie ein guter Golfer werden könnte. Mit seiner Körpergröße hatte er ohnehin zu kämpfen, da er sich noch nicht durchgerungen hatte, sich ein Set mit Überlänge zu beschaffen. So sah es dann auch tatsächlich derbe und ungehobelt aus, wenn er zum Schlag ausholte.

      Dass er dennoch so ungewöhnlich häufig einen dieser seltenen Schläge fabrizierte, zudem vom Fairway aus immer wieder unmöglich erscheinende Bälle einzulochen vermochte, wo selbst versierte Spieler, Profis mit Plus-Handicap, Probleme gehabt hatten, war das eigentlich Sensationelle. Natürlich machte Sam häufig ganz außerordentlich dämliche Fehler, stellte sich mehr als ungeschickt an, schlug weit vor dem Ball ins Gras, so dass ein Rasenstück, nicht aber der Ball, durch die Luft wirbelte, schwang meilenweit