Reiner Kotulla

Dagebliebene


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der Zeit, entsprechend den Bestimmungen der 4. Sitzung der (alliierten) Außenminister in Moskau einen Unterschied zu machen zwischen ehemaligen Nazi- und Kriegsverbrechern einerseits und andererseits den 'nominellen, nicht aktiven Faschisten, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen und zusammen mit den demokratischen Schichten des deutschen Volkes den allgemeinen Bemühungen zur Wiederherstellung eines friedlichen demokratischen Deutschlands teilzunehmen'. Dieser Befehl stellte die nominellen Nazis mit den übrigen Bürgern rechtlich gleich, indem er die 'Beschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte' aufhob und insbesondere das passive und aktive Wahlrecht gewährte. (...)

      Das Fragwürdige begann dort, wo Nazi- und Kriegsverbrecher nicht zur Verantwortung gezogen wurden und trotz (oder wegen?) ihrer nazistischen Belastung in die politische Führung integriert wurden. In der SBZ/DDR passierte das nicht. Zwischen 1945 und 1948 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone insgesamt 520.000 Nazis aus der öffentlichen Verwaltung und der Industrie entfernt. (...) Von 39.348 Lehrerinnen und Lehrern gehörten 28.179 der NSDAP an, das waren 71,1 Prozent. 28.835 Lehrerinnen und Lehrer wurden als belastet entlassen. (...) Bis zum Frühjahr 1946 waren alle belasteten Richter und Staatsanwälte aus den Ämtern entlassen." (Joseph (2002), S. 137-138)

      Horst Schneider schreibt: "Während in der BRD von 38 Gründungsgenerälen 31 ihre Meriten in der Hitlerwehrmacht erworben hatten (keiner war Antifaschist), wirkten beim Aufbau der NVA vier Offiziere aus den Reihen der Wehrmacht mit, die drei 1943 bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geratenen Generalmajore Otto Korfes, Arno von Lenski und Hans Wulz sowie Generalleutnant Vincenz Müller, der 1944 in Belorussland die Sinnlosigkeit weiteren Kampfes einsah und mit Gruppen des von ihm geführten Armeekorps kapitulierte. Diese vier hatten sich schon während des Krieges der Bewegung 'Freies Deutschland' angeschlossen. Hinzu kamen in der NVA-Gründergeneralität sechs weitere Wehrmachtsoffiziere (...). Sie waren allesamt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft mit anderen als den von den Nazis indoktrinierten Anschauungen heimgekehrt, zum Teil mit Erfahrungen im Fronteinsatz für das Nationalkomitee 'Freies Deutschland'." (Schneider (2007), S. 137-138)

      "In der Zeit von Mai 1945 bis Ende 1967 wurden in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR insgesamt 16583 Personen wegen Beteiligung an Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Davon wurden 12818 verurteilt, 1578 freigesprochen. Die Verfahren gegen 2187 Angeklagte wurden in Abwesenheit, Tod oder auf Grund des von der Sowjetischen Militär Administration erlassenen Amnestiebefehls Nr. 43/48 vom 18. März 1948 eingestellt, da keine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr zu erwarten war. Von den 12807 gerichtlich zur Verantwortung gezogenen Personen wurden 119 zum Tode, 239 zu lebenslangem Zuchthaus und 5090 zu einer höheren Freiheitsstrafe als 3 Jahre verurteilt. (...) Obwohl nach 1945 der weitaus größte Teil der Kriegs- und Naziverbrecher in die westlichen Besatzungszonen flüchtete, wurden in der westdeutschen Bundesrepublik, deren Bevölkerungszahl dreimal so groß ist wie die der DDR, bis zum 1. Januar 1964 nur 12457 Personen angeklagt. Bis März 1965 wurden von den Gerichten der Bundesrepublik nur 5234 Personen rechtskräftig verurteilt, in über 7000 Fällen erging Freispruch, wurde das Verfahren eingestellt oder die Hauptverhandlung gar nicht erst eröffnet. In den Fällen aber, in denen eine Verurteilung erfolgte, standen die Urteile in der Regel in keinem Verhältnis zur Straftat. Von 5234 verurteilten Naziverbrechern und Massenmördern wurden nur 80 zur Höchststrafe (9 zum Tode, 71 zu lebenslangem Zuchthaus) verurteilt! (...) Wenn in den letzten Jahren - nach langer Pause - in der Bundesrepublik wieder einige Verfahren gegen Nazi-Massenmörder stattfinden, so muss dazu festgestellt werden: Erstens erfolgen sie unter dem Druck der Enthüllungen durch die DDR und nur in solchen Fällen, in denen die internationale Empörung der westdeutschen Justiz keine andere Möglichkeit lässt. Zweitens richten sie sich fast ausschließlich gegen die untersten Chargen der SS- und KZ-Mörder, während die in exponierten Stellungen tätig gewesenen Schreibtischmörder und Hintermänner verschont bleiben. Drittens schließlich ergehen in diesen Verfahren haarsträubend milde Urteile, so dass sogar Eichmann-Mitarbeiter, wie die SS-Führer Hunsche und Krumey, die an der Deportation und Ermordung von Hunderttausenden ungarischer Juden mitwirkten, 1964 in Frankfurt a. M. freigesprochen beziehungsweise mit Bagatellstrafen belegt wurden. Diese Verfahren ändern nichts daran, dass Westdeutschland heute ein Paradies für Nazi- und Kriegsverbrecher ist". (Autorenkollektiv (1968): Braunbuch, dritte Auflage, S. 10 http://www.kpd-ml.org/doc/partei/braunbuch.pdf)

      Aus diesen Tatsachen wird ersichtlich, dass, wenn "Alt-Nazis" in der DDR "Karriere" machten, so wie es der "Berliner Kurier" verkündet, es einfache, oft junge Mitglieder waren, die keinerlei Verbrechen schuldig waren, keine führenden Positionen im Nazi-Staat oder in der Nazi-Wirtschaft inne hatten und sich bereit erklärten, Antifaschisten zu werden. Hinzu kamen aktive Deserteure der Wehrmacht, die sich im Nationalkomitee Freies Deutschland beteiligten, einem Zusammenschluss deutscher Kriegsgefangener mit kommunistischen deutschen Emigranten, die den Hitler-Faschismus bekämpften und ein anderes, antifaschistisch-demokratisches Deutschland wollten. Es waren, will man es mit heute vergleichen, Aussteiger aus der Nazi-Szene.

      Die BRD hingegen wurde, wie oben gezeigt, von den höchsten Nazi-Kadern und Nazi-Verbrechern errichtet! Es wurde eben nicht zwischen Nazi-Kriegsverbrechern

      und einfachen Mitläufern unterschieden. So gab es tatsächlich nicht nur eine personelle, sondern auch eine politische Kontinuität. Wies das "Braunbuch" die personelle Kontinuität mit Nazi-Deutschland nach, so wurden im 1967 erschienen "Graubuch" die Kontinuität bundesdeutscher und faschistischer Politik an ihren Zielen und Methoden nachgewiesen.

      (Vergl. Schneider, H. (2007) Hysterische Historiker. Böklund, S. 82)

      Will man, um der Argumentation willen, festhalten, dass die DDR nicht die Perfektion eines demokratischen Staates war, so war das die BRD definitiv nicht. Um es mit den Worten des Dichters Peter Hacks zu umschreiben: Die DDR war vielleicht ein saurer Apfel, die BRD ist ein fauler. Eigentlich sehen wir hier eher eine Kontinuität zwischen der BRD und dem Hitler-Faschismus als eine behauptete Gleichsetzung von DDR und Drittem Reich.

      

      

      

      

      

      

      

      

       Wir waren dabei (1951)

      Sommer 1949, da war ich 15 Jahre alt, wohnte in der Wuhlheide, einem Waldgebiet zwischen Karlshorst und Köpenick, im Osten Berlins. Der Wald dort war unser großer Spielplatz. Hier habe ich das Messerwerfen gelernt, das Schwimmen und das Reparieren meines Fahrrades. Von hier aus fuhr ich jeden Morgen mit Bus und Straßenbahn zum VEB Kabelwerk Oberspree, wo ich den Beruf eines Betriebsschlossers erlernte. Hier sollte ich die erste Liebe erleben. Doch ich will nicht vorgreifen.

      An einem Sonnabend im Juli waren ein paar Freunde aus der Tiergartenstraße und ich mit dem Fahrrad an die Spree in Oberschöneweide zum Baden gefahren. In langen Hosen, hatten wir verabredet, wollten wir gegen die Alten demonstrieren, die dort nackt zu baden pflegten. Bewusst stellten wir unsere Räder dort zusammen, wo die meisten FKKler saßen und lagen. Betont langsam zogen wir uns aus, setzten uns im Kreis zusammen und sangen Schlager. So zogen wir die Blicke der Nackten auf uns.

      Peter gab das Kommando. „Anziehen!“ Lässig sollte es aussehen, als wir nun unsere mitgebrachten langen Hosen anzogen und bedächtigen Schrittes zum Spreeufer gingen und weiter ins Wasser. Etwa 20 Meter schwammen wir hinaus, nebeneinander und in derselben Formation zurück.

      In Linie und gemessenen Schrittes verließen wir das Wasser, gingen zu unserem Platz, trockneten uns ab, zogen die Hosen aus und legten uns wieder auf unsere Handtücher. Verstohlen beobachteten wir die anderen Badegäste und wussten, dass Sie über unser seltsames Verhalten sprachen.

      Etwa 10 Minuten lagen wir so, dann