Goss
„Red-Letter Day” (2000)
Wer den Iren interviewen will, wird von ihm gemeinhin ins beste Weinrestaurant der Stadt geführt. Und so wie die Tropfen, die dort auf Kierans Geheiß kredenzt werden, ist auch seine Musik: ein reiner Genuss. Manchmal zu rein. Dann ist der Songwriter mit Cello und Flöte plötzlich auf halbem Weg zum Pastellpop eines Chris de Burgh. Zumeist versteht er es aber, die bisweilen naive Schönheit seiner Songs mit schlichten Arrangements vorm Kitsch zu retten. Es sind Liebeswiegenlieder eines melancholischen Optimisten, der gern auch kleine Schwächen zugibt: „I thought I found the answer/but I heard the question wrong.“ Charmant. Ein Album so lieblich wie eine Spätlese aus einem mittelgutem Jahrgang – oder ein kalifornischer Zinfandel, der eine Überdosis Sonne abbekam.
Klaus Kinski
„Jesus Christus Erlöser” (2000)
Der Skandal war klar. Klaus Kinski vergriff sich 1971, mitten im „Jesus Christ Superstar“-Boom, am Neuen Testament. Deutschlandweit wollte der Filmrabauke seine Version von „Jesus Christus Erlöser“ auf die Bühnen bringen, und wie es so war bei ihm, der stets inkarnieren musste, um zu spielen: Er hielt sich selbst für den Heiland. So war es leicht für manche in der mit 4 000 Leuten fast vollen Berliner Deutschlandhalle, den richtigen Knopf zu drücken, um den Choleriker da vorne zum Ausflippen zu bringen. Gebrüll, Häme, fliegende Mikrofonständer: Kinski tobte, brach ab, kam wieder, floh erneut. Es blieb der einzige Auftritt seiner „Jesus“-Tour. Man hatte das Tier gereizt, es hatte zugebissen, wie geplant. Auf zur nächsten Attraktion. Für eine Doppel-CD reichte jener Abend dennoch, und wir dürfen noch einmal erleben, wie sich einer verschwendete, wie er alle Blicke auf sich zog und für viele doch nicht mehr war als ein Tier im Zoo. Bewegend.
Kraan
„Wiederhören” (2000)
Schon das Cover mit den vier verlegen bis verschmitzt guckenden Cordhosenhippies, ein offenbar nachkolorierter schlechter Scan, wärmt das Herz. Voilà, da ist es wieder, das 77er-Album „Wiederhören“ der deutschen Legende Kraan, die es wagte, dem boomenden Krautrock Jazz, Exotik und Groove unterzujubeln. Die Schulfreunde Peter Wolbrandt (g), Hellmut Hattler (b; heute Tab Two) und Jan Fride (dr) gingen gemeinsam durch Dick und Dünn und, dank ihres homogenen Sounds, weltweit erfolgreich auf Tour. „Wiederhören“, ein locker-leichtes Groovemonster, ist der Auftakt zu einer digital remasterten Neuauflage des Backkataloges. Manko dieser CD: die Ausstattung. Statt Booklet gibt es ein blamabeles Faltblatt. Das muss bei den nächsten Alben besser werden.
Kreidler
„Circles” (2000)
Kreidler waren immer die kreativsten E-Frickeler. In einem alten Düsseldorfer Postgebäude verbrachten sie die letzten Monate damit, diesen Ruf zu untermauern. Das gelingt ihnen brillant; was nebenbei noch abfällt, ist betörende Schönheit. Zunächst scheint alles nur Patchwork, verstreut liegen Mosaiksteinchen herum. Doch binnen Minuten formen sich Fetzen zu Mustern, arrangieren sich alle Partikel auf einer dunkel schimmernden Folie fein säuberlich zum großen Ganzen – wie Eisenspäne unterm Elektromagneten. Diese elf elektronischen Studien aus Beats’n’Bleeps und Synthiesounds sind kurz und bündig, doch könnten sie ausufern, könnten anwachsen; und hoffentlich tun sie das auch, wenn Kreidler ihre Maschinen live beschwören. Auf „Circles“ aber endet jedes Stück im Frust: Denn gerade, wenn es endet, waren wir in Bann geschlagen. Fazit: Das ist Pop!
Laika
„Good looking Blues” (2000)
Ihr Stil besteht aus einer rhythmisierten elektronischen, oftmals durch Flöten, Gitarren, Klarinetten oder Trompeten verzierten Tonspur, die zuckt und funkelt und bezirzende Melancholie verströmt. Und als wäre dieser Klangraum eine Wolldecke und keine kühle Computermusik, kuschelt sich die Laika-Sängerin Margaret Fiedler tief hinein. Manchmal rezitiert sie, statt zu singen, und dann scheint sie sich in Anne Clark zu verwandeln, die in einer Hausecke hockt, um dem Regen zu entgehen. Es erstaunt nicht, dass Laika, die zu den innovativsten Soundskulpteuren der Welt gehören, das alte, erdige Wort „Blues“ wieder ins Spiel bringen. Musikalisch erinnert nichts daran, atmosphärisch schon. Auch im Internetzeitalter wird man gelegentlich von seinem Baby verlassen, und sage einer, das schmerze weniger als damals im Mississippi-Delta.
Lambchop
„Nixon” (2000)
Schon auf der letzten CD mutierte Kurt Wagner zu Curtis Mayfield und veredelte den urtypischen Slo-Mo-Country von Lambchop mit Soul. Nun muss man fast von Reinkarnation sprechen, denn Kurt tut es wieder – und Curtis ist tot. Wenn er nicht im Falsett des Vorbildes singt (was ihn hörbar anstrengt), dann ist sein Gesang wie stets, nämlich gelassen, müde und wohlig erschöpft, als hätte er gerade ein Fitnesstraining hinter sich; und das passt perfekt zu episch-verhuschten Streichern und weichen Bläsern. Diesen Mix aus Country, Soul und Texmex wagte vor Lambchop niemand. Es sollte auch keiner mehr versuchen: Besser geht’s nämlich nicht. Und warum heißt das Album „Nixon“? Weil der olle Tricky Dick mal gesagt hat, Böden schrubben sei genauso würdevoll wie Regieren. Das musste Wagner einfach verewigen, das ging wirklich nicht anders.
Languis
„Unithematic” (2000)
Der Postrock von Languis klingt weniger autistisch als beispielsweise der von Tortoise, doch auch sein Ziel liegt in der Ziellosigkeit. Er gibt sich zufrieden mit dem Schaffen von Atmosphären, bewältigt von analoger Elektronik, in die Bass, Gitarre, Klavier und Drums kleine Dellen klöppeln. Nicht immer aber können sie verhindern, dass das Ganze in statischer Dissonanz erstarrt. Dann spielen auf einmal Chiffren wie „Rock“ keinerlei Rolle mehr; dann baden Languis uns in industriell angehauchtem Ambient („Counting the Days“). Ein andermal gibt gesampeltes Knacken den Rhythmus vor, und in der Ferne raunen Stimmen. „Unithematic“ ist ein Abgesang auf die Formen und Stile, die der Rock sich in fünf Dekaden erarbeitet hat – aber kein fröhlicher. Languis nehmen es einfach hin, und aus den Splittern und Trümmern des Zerfalls bauen sie still ein neues Universum.
LeAnn Rimes
„LeAnn Rimes” (2000)
„Dieses Album“, verheißt ein Sticker, „enthält einige der größten Songs, die je geschrieben wurden.“ Noch ehe sich freilich Empörung über die Arroganz eines 17-jährigen Countrykükens Bahn bricht, entdecken wir: Es stimmt. LeAnn covert Kristofferson („Me and Bobby McGhee“), Buck Owens („Cryin’ Time“) oder Hank Williams („Your cheatin’ Heart“). Allerdings hätte die Welt gern auf diese sterile Perfektion im Nashville-Stil verzichtet (ich habe sie gefragt!). Einzig bei Willie Nelsons „Crazy“ behauptet sich ein Rest jazziger Coolness gegenüber der niedlichen Soßigkeit des Restalbums. Countrymuzak für Millionen.
Lemmy, Slim Jim & Danny B
„Lemmy, Slim Jim & Danny B” (2000)
Lemmy covert Buddy und Johnny. Genau: Holly und Cash. Lemmy: von Motörhead! Immer schon träumte der Krächzking von einem Country- und Rock’n’Roll-Album, vermutlich, weil er es satt hatte, jedes Jahr zwei Motörhead-Alben lang hysterisch kreischen zu müssen. Zur Strafe klingt hier sein Gesang, als sei er in einer Toilettenkabine aufgenommen. Das ist schade, steigert aber den Bizarrheitsgrad des Albums weiter. Musikalisch hängt das Projekt trotz Drummer Slim Jim Phantom (einst bei den Stray Cats) und Gitarrist Danny B. Harvey schon ziemlich in den Seilen, aber Lemmys Klogesang gibt ihm endgültig die Kugel. Schlaffer sang noch nie einer „Lawdy, Miss Clawdy“, weniger Schmiss musste „Not fade away“ noch nie über sich ergehen lassen in seiner langen langen Geschichte. Lemmy, du klingst nach Möfahead.
Leo Philipp Schmidt
„Tracks II + Cembalo Concerto” (2000)