allerdings keineswegs bang ins Auge. Sein Bluesstil ist gelassen bis cool. Der Mann ist kein Poser, sondern schlicht mit seiner Slide verwachsen. Sich die Finger abzuspielen, käme JC nicht in den Sinn. Den eirigen Ton seines Instruments setzt er sparsam, fast schüchtern ein. Bei ihm kommt die Kraft aus dem Off, und die luftige Kargheit des restlichen Line-ups (Bass, Drums) erlaubt der Slide dennoch, ihren Platz auf dem Thron dieses Sounds zu behaupten. Klassischer, gar humorvoller Elektroblues – und ein 1a-Argument für den Artenschutz.
John Prine
„Souvenirs” (2000)
Normalerweise kommt der Manager des Musikzombies erst kurz vorm Exitus des Schützlings auf die verzweifelte Idee, den abgetakelten Exstar die alten Sachen noch mal aufnehmen zu lassen. Ein Indiz fürs nahe Ende. Außer bei John Prine, wie man nach dem Hören von „Souvenirs“ sofort zugeben muss. 15 seiner Klassiker (darunter „Angel from Montgomery“ oder die bedrückende Drogenelegie „Sam Stone) hat er neu eingespielt, meist zur akustischen Gitarre, manchmal mit karger Countryband. Mit überwältigendem Ergebnis: Nur ganz wenige Countryalben haben diese Intensität, diese Intimität. Prines Gesang ist leicht verschlurft, er visiert die Melodien nur an, ohne sie auf die „schöne“ Nashville-Art zu treffen, und der sanfte Anflug eines Kojotenjaulens in mancher Phrasierung lässt uns frohgemut seinem Alterswerk entgegenschauen. Alle Versionen auf diesem Album übertreffen die Originale bei weitem. Sie gewinnen in ihrer Kargheit jene Kraft zurück, die ihnen die (Über-)Produktion einst entzogen hatte. So was ist selten, aber wahr.
John Williams
„The Patriot” (2000)
Williams ist zurück aus der Zukunft, zurück aus dem Weltraum. Sein sinfonischer Blick in die US-amerikanische Geschichte für Emmerichs Kolonialkriegsepos „Der Patriot“ meidet jedoch nur phasenweise jenes 100-Millionen-Dollar-Pathos, für das Williams berühmt-berüchtigt ist. Und seine Stilmittel sind absehbar. Ratet mal, ob er die Idee hatte, Marschtrommeln im Titelstück zu verwenden? Hatte er. Ratet, ob ihm entscheidend andere Gedanken kamen als die an Posaunenarmeen? Richtig. Zudem gelingen ihm nur wenige melodisch eindringliche Passagen. Doch gepuscht vom Event, das ein Megafilm nun mal per se darstellt, könnte es zur Oscar-Nominierung Nummer sechs reichen.
Johnny Cash
„American III: Solitary Man” (2000)
Das bewährte Konzept: der alte Mann, die Akustische und selten mehr. Wenn einer die Statur der knorrigen Countrylegende Cash hat, braucht es nur noch die richtigen Songs, und schon ist ein weiteres Meisterwerk im Kasten. Cash singt die fremden Lieder so, als hätte er sie selbst geschrieben oder wäre zumindest der Wunschinterpret der Komponisten gewesen. Neil Diamond hat sein „Solitary Man“ jedenfalls eingebüßt mit dieser Platte, und U2s „One“ so skelettiert, brüchig, schlingernd zu hören, ist ein Erlebnis – ein intensiveres zumindest als bei den Songs, die Cash selbst verfasst hat. Der größte Reiz liegt ja gerade darin, den großen Alten im Revier der Jungen wildern zu sehen, im Revier von Nick Cave oder Will Oldham. Johnny Cash geht es nicht gut, das ist zu spüren. Aber wie das so ist in der Generation der Townes Van Zandts und Johnny Cashs: der Zerfall der Körper macht die Kunst nicht schlechter. Das wird anders sein bei Britney Spears.
Joni Mitchell
„Both Sides now” (2000)
Es grassiert ein allgemeines Resümieren, cherchez le Millennium. Nach George Michael interpretiert nun die Mutter aller Songwriterinnen ihre Lieblingslieder des letzten Jahrhunderts. Breit unterstützt von Orchester und Big Band, wagt sich die Sängerin im Stile Billie Holidays (und sogar mit deren Tremolo!) an Sinatra, Fitzgerald und eigene Klassiker. Sie ist keine Jazzsängerin, doch ihre Affinitiät zum Jazz zieht sich fast durch ihr komplettes Œuvre, und dieses aparte Album markiert den Übergang zum Alterswerk. Von nun an werden wir Begriffe wie Weisheit, Stil, Erhabenheit mit Jonis Namen verbinden und endgültig keine Hippieassoziationen mehr. Welcome to Lady’s paradise.
Joseph Arthur
„Come to where I’m from” (2000)
In den USA sehen sie ihn schon als Mix aus Cohen, Cobain und Waits. Fehlt nur noch Dylan; Mundharmonika spielt Arthur ja auch. Solche Vergleiche dürften dem New Yorker zu schaffen machen. Denn er will das Songwritergenre doch nur ein wenig peppen, indem er ihm Samples, Loops und Elektronik beifügt. Das geschieht behutsam, verbirgt allerdings auch nicht, dass ihm die Klasse erwähnter Kollegen noch abgeht. Aber das gilt ja wohl für fast alle Sänger mit Gitarre … Songs wie „Tattoo“, wo er verhalten hymnisch im Dreivierteltakt klampft und sich von Streichern verwehen lässt, sind äußerst hübsch. Und erinnern ans Solowerk von Jorma Kaukonen – um noch einen großen Namen zu nennen.
K’s Choice
„Almost happy” (2000)
Früher klangen die belgischen Geschwister Sarah und Gert Bettens wie eine emotionsärmere Ausgabe der Cranberries, was uns sehr recht war, weil das stets ergriffene Juchzen einer Dolores O’Riordan auf Dauer schwer erträglich war. Die Cranberries wurden poppiger, und auch K’s Choice sagen neuderings dem Land der aufbrausenden Gitarren ade. Sie spielen jetzt einen folkig unterfütterten Songwriterpop, der das Pathos lieber meidet. Wie in „My Head“: Just als der Song der Euphorie entgegenzuschwellen scheint, hört er leider auf. Der Produzent Tchad Blake (Pearl Jam) hat ein halbes Jahr am Album herumgedoktert; mal sehen, ob das den Durchbruch bringt. Zumindest „Busy“ jedenfalls steht halbwegs unter Hitverdacht.
Kathryn Williams
„Little black Numbers” (2000)
So behutsam hat lange keine Sängerin mehr den englischen Folksong der 70er wiederbelebt. Bisweilen erinnert die schüchterne Kathryn Williams an die ebenso introvertierte, verschattete Sandy Denny, die 1976 starb und eine große Lücke hinterließ. Ganz zart instrumentiert, mit kaum mehr als Akustikgitarre, Cello und hochvorsichtiger Perkussion pickt die Sängerin an der Eierschale ihres Gefühlslebens, und wenn ihr ein Song groß gerät, dann fallen einem plötzlich auch große Vergleiche ein. Wüsste man es nicht besser, man schriebe „Fell down fast“ dem Übervater des Britfolk zu, nämlich Nick Drake – von der hübsch verdrehten Melodie bis zu Verzweiflungszeilen wie „lost my money/lost my greed“: Da ist eine Verwandtschaft spürbar. „Soul Feed“ dagegen ist Belle & Sebastian pur. Ein Album, so altmodisch, dass man sich darin einkuscheln möchte wie in den alten Wollmantel vom Speicher, in dem man damals, vor Urzeiten, den langen Liebeskummerwinter überstanden hat.
Katja Werker
„Contact myself” (2000)
In ihrem tonlosen Gesang steckt alles drin: Hoffnungslosigkeit und verzweifelte Hoffnung zugleich, eine große Müdigkeit – und alle möglichen Grenzerfahrungen, über die Katja Werker nur in Metaphern singen mag. Ihre brüchige Stimme wird gehalten von zartbitteren Arrangements aus Piano, Keyboards, Gitarre, von ein paar Streichern, der schüchternsten Perkussion seit Erfindung des Trommelfells und Sven Regeners Trompete. Und so entstand eines der erstaunlichsten Singer/Songwriter-Alben, die je aus Deutschland kamen. „Music is the only language I know“, singt Katja Werker heiser, und noch während die Zeile verklingt, spüren wir: Dieser Satz ist kein abgedroschenes Klischee einer eitlen Künstlerseele, sondern das Fazit eines Überlebenskampfs, der noch nicht zu Ende ist.
Khan
„Passport” (2000)
Khan heißt eigentlich Can Oral, besitzt einen türkischen Vater, eine finnische Mutter, eine deutsche Vergangenheit, eine New Yorker Adresse und Hunderte selbst bespielte Maxis, EPs und Alben. „Passport“ bietet daraus einen winzigen Querschnitt. Zwischen Minimal Techno, Asian House und TripHop pendelt der Meister aller Klassen und scheut auch vor doofen Pseudonymen („Mass-Turbator“) nicht zurück, doch zum Glück singt er sie nicht.