Musiker, Maler, Orchesterleiter, Galerist, Filmkünstler … Wie Leo Schmidt. Er sprudele vor Ideen, wird geschwärmt, und kaum ist eine ausgesprochen, sei sie auch schon umgesetzt, von ihm und seiner Frau, die auch Chirurgin ist – und alles andere auch. Wann säbeln die Schmidts eigentlich mal Patienten auf? Bleibt überhaupt Zeit für Bypässe? Ihrem kruden Mix aus Avantgarde, Klassik, Ethno und (manchmal) Rock jedenfalls merkt man an, dass sie wirklich JEDE Idee umsetzen, und sei sie noch so winzig. Dabei sind sie meistens winzig. Sie wollen alles auf einmal und kriegen dadurch nichts richtig hin. Böse gesagt: Die Schmidts gerieren sich als Universalgenies, sind aber nur handwerklich halbwegs geschickte Flickschuster mit guten Kontakten. Musik für Oberstudienräte, die sich aus Eitelkeit eine kleine Extravaganz gönnen wollen, um im Toskana-Urlaub damit prahlen zu können.
Levellers
„Hello Pig” (2000)
Mit Hallgesang, Spector-Arrangements und Radikalstereo liefern die Levellers gleich im ersten Song („Happy Birthday Revolution“) die perfekteste John-Lennon-Kopie seit Jahren. Und es wäre gelogen zu behaupten, der Rest des Albums wäre frei von Lennons Einfluss. „Hello Pig“ zu hören, weckt Wünsche nach „Mother“, „God“ und einem großen weißen Flügel in einem großen weißen Raum. Doch nicht der Eindruck von Epigonalität setzt sich am Ende fest, sondern Anerkennung vorm souveränen Beerben der Vergangenheit, vor der liebevollen Aktualisierung eines unverkennbaren Sounds – und davor, dass die Schotten ihrem üppigen Pop manchmal so radikal dissonant zu Leibe rücken, als sei die Beatles-Collage „Revolution No. 9“ ihre Inspirations- und Dekonstruktionsquelle zugleich.
Liquido
„At the Rocks” (2000)
Damals, im Februar 1999, erschien das Debüt von Liquido aus Heidelberg, und es verband auf geschmeidige Weise Elektronik der 80er mit harten 90er-Gitarren zum (schnell so bezeichneten) Pullunderpop. Jetzt, mit Album zwei, merken wir, wie der Riesenhit „Narcotic“ alles überstrahlte – so hell, dass gar der Gesamteindruck geschönt wurde. Liquido sind die großen Songs ausgegangen, und wenn einer mal überdurchschnittlich gut ist (wie „At the Rocks“), dann nur deshalb, weil er sich allzu schutzbedürftig an „Narcotic“ schmiegt. Das zweite Album ist immer das schwerste, gut. So viel Bonus muss sein. Aber ziemlich langweilig ist er doch, der nach Epik strebende, aber ans Mittelmaß gefesselte Pullunderpop aus Heidelberg.
Luomo
„Vocalcity” (2000)
Hat es sich zu Ende gesampelt? Ist der Steinbruch Popgeschichte erschöpft? Zumindest scheint es so, wenn man sich dem betörenden Minimal House des Skandinaviers Vladislav Delay hingibt. Aus Funkfetzen, Discofäden und fernen Soulstimmen webt er seine hypnotisch zuckende und zumeist epische Elektronik, doch alle Stil- und Soundzitate hat er selbst begriffen, reflektiert und verarbeitet – ehe er sie neu erschuf und zeitgemäß veränderte, mit seinen eigenen Maschinen. Keine fremden Quellen; nur fremde Inspiration. Ein Album so kurzatmig wie tief, so elegant wie gazehaft. Und vielleicht eine neue Stufe des House.
Madonna
„Music” (2000)
„Wenn diese Platte funktioniert“, sagt Madonna, „dann bedeutet das: Die Leute sind bereit für etwas ganz Anderes.“ Nämlich für den finalen Kampf der Klangkulturen: akustisch vs. elektronisch. Am Ende siegen die Computer – wie im richtigen Leben. Jeder hippe Sound aus den Reglerwäldern eines Megastudios ist da, keiner ist zu abgefahren. So viel House war nie im Pop. Und mittendrin singt Madonnas Girliestimme: „Da ist nichts, was ich bereue, nichts, was ich vergessen möchte. All die Qual: Sie war es wert.“ Meterhoch türmt sie die Lyrikklischees, aber der Sound drumherum, der fortan als Monument des Housepops gelten wird, ist nicht zu toppen. Brutal pointierte Elektronika, aberwitzige Akustikgitarren: „Music“ ist ein Schlachtfeld der Produzenten. Am Ende siegt ein Franzose. Er ist ein Magier an den Reglern und der wahre Star der Platte: Mirwais.
Madrugada
„Industrial Silence” (2000)
Schon beim ersten Stück, dem majestätischen „Vocal“, haben wir das Gefühl, den besten Grant-Lee-Buffalo-Song zu hören, den Grant Lee Buffalo nie geschrieben haben. Das Trio Madrugada hat sicher sehr mit sich gerungen: Sollen sie als Coverband der Verehrten bedeutungslos bleiben oder ehrgeizig an eigenen Stücken arbeiten, wenngleich im GLB-Stil? Letzteres gewann, und das ist gut. Selten in der Rockgeschichte war eine Mimikry so bewegend. Und wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Epigonalität auch gute Kunst hervorbringen kann, dann führt ihn dieser pathetische Rock noir. Nur eines wird ihnen so nie gelingen: Vorband zu werden von Grant Lee Buffalo. Vielleicht kommt es aber irgendwann umgekehrt.
Magic Voices
„First of All” (2000)
Im Sportsong spiegeln sich noch Tugenden aus vorantiautoritärer Zeit. Hier wird rotwangig gejubelt und jeder Siegesfantasie ungehemmt nachgegeben. Unter großorchestral und Megachor läuft nix. Hier haben sie noch ihren Ort, die Pauken und Trompeten. Doch wenn die deutsche Fußballnationalelf mit dem Song „Here we go again“ ins Eurorennen geschickt wird, ist das für die Gegner eher beruhigend. Zumal er so träge klingt, als stecke ihm das Vorrundenaus schon präventiv in den Noten. Das Projekt Magic Voices gibt den großen Sportereignissen 2000 den Soundtrack: Pomprock zwischen Hymnen an den Sieger und Trost für die Luschen. Das ist okay so, aber nur in Zeiten wie diesen wirklich zu ertragen. (Nein: eigentlich doch nicht.)
Majong
„Padded Wagon” (2000)
Wenn Lou Reed, dem Jäger des reinen Gitarrentons, dieses Album in die Hände fällt, wird er die Jagd einstellen. Alexander Krohn aus Berlin hat jenen Ton gefunden: Er ist nackt und klar, er ist ganz nah bei dir, so nah wie einst, als Direktschnittaufnahmen das „High“ vor „Fidelity“ neu definierten. Die Musik seines Projektes Majong ist düster alternativ und traditionell zugleich: Wir schauen in den Abgrund von Folk und Bues, der ungefähr so tief ist wie jener, den Tom Waits einst auf „Swordfishtrombones“ entdeckte, nur sieht man diesen hier in Zeitlupe. Jeder Ton – ob von Gitarre, Piano, Bass oder Banjo – sinkt schwer in dich ein. Es ist wie 16 Horsepower minus Hysterie und Tempo. Ein karges Meisterwerk, nur 40 Minuten lang.
Mandalay
„Instinct” (2000)
Ach, Gottchen, wie herzig diese Kindfrau ihre Songs haucht! Und wie sanft die Synthies sind! Wie hip die Beats! Das wäre alles nicht weiter von Belang, wenn die Sängerin Nicola Hitchcock sich nicht auch noch am Vibrato versuchen würde. Sie klingt dabei, als klöppelte ihr beim Singen jemand unablässig rhythmisch auf den Rücken – als hätte sie also Sinéad O’Connor irgendwie falsch verstanden. Oder treibt Nicola die unvergängliche Lust am Image der Lolita? Am Engelsklischee? Wer jedenfalls beim Namen der Sängerin und dem Bandnamen an den Film „Rebecca“ denkt (der auf Schloss „Manderley“ spielt), sollte seine Hoffnungen auf gotische Düsternis möglichst schnell begraben.
Marcel
„Cirrus Maximus” (2000)
Eingehüllt in den Sound seiner Debüt-CD „Viginti EtDuo“ hätte man auch einen Wolkensturz ohne Fallschirm überstanden: Marcel hatte die Weichheit mit Löffeln gefressen. Auf seinem zweiten Album erhöht der 23-jährige Ungar kräftig die Schlagzahl gegenüber dem daunigen Debüt. Bisweilen werden seine Stringsynthesizer von wuchtigem Drum & Bass durchwalkt, manches im Jazz heimische Blasinstrument findet sich plötzlich unter einer Ambientschmusedecke wieder. Und das alles hat der Jungspund in mehrmonatiger Bastelei zu einem kompakten Dancesound gedengelt, dessen Lokalkolorit ihm den individuellen Dreh gibt. Ja, Ungarn ist im Kommen.
Marianne Faithfull
„It’s