Jean-Pierre Kermanchec

Douarnenez und das Geheimnis der Sardine


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Sammelleidenschaft.

      Als er Roland heute gemächlich auf die Insel zukommen sah, beschloss er, in seinem Büro zu bleiben. Der Regen der letzten Nacht und vom Morgen hatte alles durchnässt, so dass es bestimmt keine Freude war, neben Roland auf der nassen und kalten Kaimauer zu sitzen. Gall träumte vor sich hin und beobachtete Roland auf der Kaimauer. Als Roland auf seinem Rückweg war, sah er ihn an der Sirene stehenbleiben, sich bücken und eine Flasche aufheben, die sich wohl zwischen den Felsen verklemmt hatte.

      „Was der alles sammelt!“, sagte er laut zu sich und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Ihm würde nicht einfallen, alles zu sammeln was er bei seinen Rundgängen um die Insel fand. Er hätte bereits ganze Lastwagenladungen beisammen. Es war wirklich unglaublich, was das Meer alles anschwemmte, vom üblichen Müll bis zu Inhalten verlorengegangener Container, von Turnschuhen bis zu chinesischen Vogelkäfigen. Brauchbar waren die durchnässten und manchmal schon halb zerstörten Gegenstände meistens nicht mehr.

      Der heutige Tag verlief ruhig. Es lag vielleicht am Wetter, dass nicht so viele Besucher zur Insel gekommen waren. Inzwischen war es wieder Flut, und er war alleine auf der Insel. Er griff nach den Schlüsseln und machte sich auf den Weg zu seinem zweiten und abschließenden Rundgang des heutigen Tages.

      Er war auf Höhe des Leuchtturms angelangt als er in einiger Entfernung einen blauen gefüllten Müllsack zwischen den Felsen entdeckte.

      „Eine Unverschämtheit, seinen Müll ins Meer zu werfen! Die Leute haben keine Achtung vor der Natur, vor unserem Lebensraum! Es wird immer schlimmer“, schimpfte er laut und näherte sich dem Müllsack. Gall Daumas hatte die Stelle erreicht und sah, dass vor ihm ein größerer Gegenstand lag, der in mehre Säcken eingepackt war. Gall bückte sich und versuchte die Verschnürung am oberen Ende zu öffnen. Die Verknotung war fachmännisch, da hat sich jemand mit Seemannsknoten ausgekannt. Gall öffnete die obere Verknotung und sah in den Sack.

      Er schreckte zurück! Er drehte sich um und rannte so schnell es ihm seine alten Beine ermöglichten. Er lief zum Büro, setzte sich an seinen Schreibtisch, holte aus der untersten Schublade seinen Lambig, öffnete die Flasche und setzte sie an. Er nahm einen kräftigen Schluck. Gall stellte die Flasche auf den Tisch, griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer.

      Kapitel 5

      Sie wussten noch immer nicht, wer die Leiche in dem Koffer von Loctudy war, und jetzt gab es eine zweite Leiche. Diesmal in Douarnenez, auf der kleinen Insel Île Tristan. Wäre der Anruf eine halbe Stunde früher gekommen, hätten sie sich die Fahrt ins Kommissariat nach dem Besuch bei Madame Floc´h sparen können. Monique Dupont und ihre Chefin Anaïk Bruel machten sich erneut auf den Weg in die Hafenstadt.

      Der Anruf aus Douarnenez war von der dortigen Gendarmerie gekommen. Die Kollegen, Hervé Briden und Donan Blouet, hatten einen Notruf erhalten und waren daraufhin zur Île Tristan gefahren. Mit dem kleinen Polizeiboot, das im Hafen stationiert war, waren die Gendarmen auf die Insel gekommen, und der Aufseher der Insel, ein gewisser Gall Daumas, hatte sie zum Fundort geführt. Die Gendarmen hatten die Fundstelle abgesperrt und dann die police judiciaire von Quimper informiert.

      Den Fahrer des Polizeibootes hatten sie zurückgeschickt, um die Kommissarinnen und die Spurensicherung abzuholen und auf die Insel zu bringen.

      Anaïk hatte Dustin und Yannick informiert, auch sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht. Die beiden Kommissarinnen erwarteten sie im Hafen. Das Boot brachte sie zur Insel, legte am Kai an und ließ die Gruppe aussteigen. Gall Daumas empfing die Mannschaft der police judiciaire und führte sie zur Fundstelle.

      Gall wollte keinen erneuten Blick auf die Leiche werfen und hielt Abstand. Dustin fotografierte die Leiche in den Müllsäcken, dann ging Yannick Detru, der Pathologe, zum Leichnam. Er schnitt die Verschnürung der Müllsäcke auf und begann mit seiner Untersuchung. Es dauerte deutlich länger als sonst bis er zu Anaïk und Monique kam.

      „Der Mann muss gefoltert worden sein. Gestorben ist er am Ende an einem Kopfschuss. Die Kugel muss noch im Schädel stecken, es gibt keine Austrittsöffnung. Den Todeszeitpunkt kann ich nur grob angeben, ich schätze vor ca. 24 Stunden, exakter nach der Obduktion.“

      „Danke Yannik! Gefoltert hast du gesagt?“

      Yannik nickte und überließ den Leichnam Dustin und seiner Mannschaft.

      Anaïk überlegte. Zwei Leichen im Atlantik in so kurzem Abstand waren seltsam. Könnte der Tod dieses Mannes mit dem Mann im Koffer zusammenhängen? Loctudy liegt ein Stück von Douarnenez entfernt. Wer waren die Toten? Könnte es sich um einen oder beide der vermissten Männer handeln? Vielleicht würde Dustin ja Ausweispapiere bei dem aktuellen Toten finden. Natürlich müssten die zwei Morde erst einmal als zwei verschiedene Verbrechen behandeln.

      Dustin hatte sich mit seinen Leuten an die Arbeit gemacht und die Leiche, die Müllsäcke, die Verschnürung und die Umgebung des Fundortes genauestens untersucht. Anaïk ging zu Monique, die im Gespräch mit Monsieur Daumas war.

      „Wann genau haben Sie die Leiche gefunden?“, fragte Monique gerade, als Anaïk zu ihnen trat.

      „Das ist gegen 16 Uhr 30 gewesen. Ich habe gewartet, bis die Flut hoch genug war, dass sich niemand mehr auf den Weg zur Insel machen konnte und dann meinen zweiten Rundgang begonnen.“

      „Das heißt, am Morgen lag die Leiche noch nicht hier?“, fragte Anaïk.

      „Ja! Als ich heute Morgen meinen ersten Rundgang gemacht habe, lag da noch nichts. Die Leiche muss mit der auflaufenden Flut hier angeschwemmt worden sein.“

      „Ist Ihnen am Morgen irgendetwas aufgefallen? Zum Beispiel ein Boot, das sich in der Nähe der Insel aufgehalten hat, oder das in der Umgebung der Insel vor Anker lag?“

      „In der Bucht sind ständig Yachten oder Fischerboote unterwegs. Douarnenez hat zwar keinen großen Hafen, aber es liegen zahlreiche Yachten hier vor Anker und eine Anzahl von Fischerbooten. Auch kleinere Küstenfrachter laufen den Hafen an. Ich sehe ständig Schiffe in der Bucht, auch Segelyachten und Fischerboote. Aber etwas fällt mir ein. Ich habe heute Morgen vom Leuchtturm aus einen Frachter gesehen, der aus Douarnenez gekommen sein muss, der hat eine Weile ruhig in der Bucht gelegen. Den Frachter habe ich schon öfter und in unregelmäßigen Abständen hier gesehen. Er ist sonst weiter draußen. Es hat mich gewundert, dass er so nah gewesen ist. Nach einiger Zeit hat er aber wieder Fahrt aufgenommen und die Bucht von Douarnenez verlassen.“

      „Sie kennen den Namen des Schiffs nicht?“, fragte Monique.

      „Nein, den habe ich nicht gesehen. Aber es wird nicht schwer sein, den Namen in Erfahrung zu bringen. Sie brauchen nur bei der Capitainerie nachzufragen. Ich habe das Schiff gegen 9 Uhr gesehen. Es hat den Hafen demzufolge vielleicht eine Stunde zuvor verlassen.“

      „Gut, wir werden uns danach erkundigen“, meinte Anaïk.

      „Ansonsten ist Ihnen am Morgen oder im Verlauf des Tages nichts aufgefallen?“, fragte Monique nochmal nach.

      „Nein, ich kann mich an nichts erinnern.“

      Beide Kommissarinnen bedankten sich bei Monsieur Daumas und gingen zurück zu Dustin.

      „Hast du schon etwas für uns?“, fragte Anaïk.

      „Nein, wenigstens nichts, was auf seine Identität hinweist. Er hat nichts in seinen Taschen. Ich habe unter seinen Fingernägeln eine winzige Blutmenge sichergestellt. Vielleicht reicht es für eine DNA aus. Dann habe ich ein Haar gefunden, das definitiv nicht vom Opfer stammt, und eine Wollfaser. Sobald ich die Spuren analysiert habe bekommst du meinen Bericht.“

      „Das ist doch schon etwas.“

      Monique und Anaïk machten sich auf den Weg zur Anlegestelle, damit das Polizeiboot sie wieder zum Hafen bringen konnte. Yannick wartete bereits beim Boot. Zehn Minuten später hatten sie den Hafen erreicht und stiegen in ihre Fahrzeuge.

      „Zwei Tote an einem Tag. Der Fall entwickelt sich fast so wie die Mordserie in Névez im letzten Sommer“, meinte Monique.

      „Hoffentlich