Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


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all die Menschen, zwischen denen du dich versteckst, werden sterben.”

      Feuer flammte in der Dunkelheit auf und raste auf sie zu, wurde größer und größer, bis sie spürte, wie es anfing, ihre Haut zu versengen, obwohl es eisig kalt und fahl wie Mondlicht war.

      Sie schrak auf, vor Entsetzen keuchend, aber das Grauen, das im Schlaf von ihr Besitz ergriffen hatte, fiel nicht von ihr ab. Immer noch tanzten die bleichen Flammen vor ihren Augen, als hätten sie sich in sie hineingebrannt, und nur ganz langsam wurden sie schwächer und verblassten. „Es ist kein Traum”, dachte sie, und die Gewissheit war so schrecklich, dass sie beinahe laut aufgeschrien hätte.

      Die drei Hoftöchter um sie herum schnarchten friedlich in ihren Betten und rührten sich nicht.

      Sie werden sterben, wenn ich nicht gehorche. Sie und alle anderen im Haus. Dindra hatte keinen Zweifel, dass die Drohung ernst gemeint war. Jemand war draußen auf dem Grasland und rief sie zu sich. Jemand, der in ihre Träume eindringen und sie dadurch aufspüren konnte.

      Sie dachte an den Drachen, der am Abend über Anso und ihr seine Kreise gezogen hatte. „Wenn er es ist”, dachte sie schaudernd, „kann er den ganzen Hof niederbrennen.”

      Sie stand auf und öffnete einen der Fensterläden. Der Hof lag still und verlassen im Licht des fast vollen Mondes. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. Sterne funkelten im Süden über der Ebene, dort, wo hinter den Obstgärten und dem Wald das Grasland lag. Dindra fröstelte in der nächtlichen Kälte, obwohl es windstill war. Was sollte sie tun? Die Hofleute aufwecken, damit sie sich in Sicherheit bringen konnten? Aber sie würden ihr kaum glauben. Du hattest einen schlechten Traum, würden sie sagen und hinter ihrem Rücken über sie lachen. Sie will nach Goldfels und hat Angst vor Drachen!

      Sie strich mit den Händen über ihr Gesicht und über die Arme, dort, wo das fahle Feuer sie im Traum, der kein Traum war, versengt hatte, aber sie fühlte nichts. „Wenn es ein Drache ist, darf ich mich nicht vor ihm fürchten”, dachte sie. „Sonst werden sie mich niemals in Goldfels aufnehmen.”

      Sie war nicht sicher, ob sie es überhaupt noch wollte, aber was war, wenn es kein Zurück mehr gab? Wenn sie sich nun, da man sie aufgespürt hatte, nicht mehr verstecken konnte vor dem, der nach ihr suchte? Sie ahnte dumpf, dass er sie nicht mehr in Ruhe lassen, ihr zu Etrus Hof folgen würde, wenn sie heimkehrte, und dort tat, was er hier angedroht hatte.

      „Ich bringe alle in Gefahr”, dachte sie, „wohin auch immer ich gehe.” Es war ein furchtbarer Gedanke, der nach Einsamkeit schmeckte. Und warum? Was hatte sie getan? Oder war es Maquon, der etwas Unrechtes getan hatte?

       Wenn die Drachen sich im Kopf eines Mädchens eingenistet haben, kann es nicht mehr glücklich werden.

      Wenn Etru nun Recht hatte? Vielleicht war die Begegnung mit Maquon ein Fluch. Sie dachte an ihre Mutter, die auch vor den Drachen geflohen war. Aber sie war dadurch nicht glücklich geworden oder wenn, dann nur für kurze Zeit. Dindra nahm das Silberamulett in die Hand und drückte es an ihre Wange. Es hatte die Wärme ihres Körpers, auf dem es gelegen hatte, und es fühlte sich tröstlich an.

      „Ich darf nicht weglaufen”, dachte sie. Kirin hatte es versucht, und es hatte nichts genützt. Sie musste herausfinden, was die Drachen von ihr wollten, und wenn es ihr Leben, war, weil sie durch Maquon eine verbotene Traumwelt gesehen hatte, dann lieber nur ihres. Sie durfte niemanden deswegen in Gefahr bringen, hier nicht und ansderswo.

      Sie küsste das Amulett und schloss den Fensterladen. Dann streifte sie ihr Kleid über, zog die Stiefel an und verließ leise die Kammer. Die Treppe knarrte fürchterlich, aber als Dindra unten durch die Halle eilte, rührte sich nichts im Haus.

      Sie mied den Weg, auf dem sie mit Anso gekommen war, und lief stattdessen quer durch die Obstgärten, die den Hof umgaben und in ein Wäldchen übergingen. Die Schatten unter den Bäumen boten Schutz bis sie das Grasland erreichte. Hinter sich hörte sie die Pferde in den Ställen unruhig wiehern. „Sie spüren es”, dachte sie. „Sie spüren, dass da draußen etwas ist.”

      In dem Wäldchen war es stockfinster. Fingerblattbäume und Ebenenstolze standen dicht an dicht, und auch wenn sich ihr Laub verfärbt hatte, war es noch dicht genug, um kein Mondlicht durchzulassen. Dindra musste sich von Stamm zu Stamm tasten und stolperte mehrmals über Wurzeln, die sich wie steinharte Schlingen aus der Erde erhoben, aber es dauerte nicht lange, bis sie vor sich den hellen Schimmer des vom Mondlicht beschienenen Graslands sah. Vorsichtig schlich sie zum Rand des Wäldchens, verbarg sich hinter einem der letzten Stämme und spähte hinaus auf die Ebene. Was sie sah, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen.

      Ein Drache stand etwa dreißig Fuß von ihr entfernt zu ihrer Rechten, dort, wo der Weg zum Hof begann. Sein grauer Schuppenpanzer schimmerte silbrig matt im Mondlicht, und seine Schwingen waren angelegt. Es sah aus, als ob er auf etwas wartete.

      „Also sind es doch die Drachen, die mich suchen”, dachte Dindra entmutigt. Sie waren ihr feindlich gesinnt, und das scheinbare Einverständnis mit Maquon war nur eine Illusion gewesen.

      Während sie noch überlegte, was sie jetzt tun sollte, setzte sich der Drache unruhig in Bewegung. Dabei bemerkte Dindra, dass er einen Reiter trug, der bis dahin hinter dem Kopf des Drachen verborgen gewesen war. Statt der üblichen Drachenreiterkleidung trug er einen dunklen Umhang mit einer Kapuze, die seinen Kopf vollständig bedeckte. Der Drache wandte sich zunächst ein Stück nach rechts, kehrte dann um und näherte sich der Stelle, an der sich Dindra versteckte. Als er fast auf ihrer Höhe war, blieb er stehen. Sie fürchtete schon, dass er sie entdeckt hatte, aber dann wandte er sich wieder ein Stückchen nach rechts und blieb dort stehen.

      Der Reiter richtete sich im Sattel auf. „Verbirgst du dich immer noch vor mir?” Die Stimme schallte dünn über das Grasland. Ihr Klang war kalt, der Ton höhnisch.

      „Ich weiß, dass du dort irgendwo steckst.” Der Reiter lachte. „Ich weiß, du hast ein weiches Herz. Das habe ich immer an dir gehasst. Du würdest nicht zulassen, dass den Menschen auf dem Hof etwas geschieht, nicht wahr? Also komm heraus und zeig dich!”

      „Er redet, als ob er mich kennen würde”, dachte Dindra verwirrt. Wer konnte das sein? Sie beschloss, abzuwarten und im Versteck zu bleiben.

      Der Drache setzte sich wieder in Bewegung, passierte den Baum, hinter dem Dindra sich verbarg, und blieb wieder stehen.

      „Was ist?”, rief der Reiter. Sein Gesicht war in den Schatten unter der Kapuze nicht zu erkennen. „Worauf wartest du? Es hat keinen Sinn mehr, sich zu verstecken. Ich habe dich gefunden, nach all der Zeit. Du hast es verstanden, dich unsichtbar zu machen. Ich hatte die Suche schon fast aufgegeben. Aber dann hast du einen Fehler gemacht. Hast einem Drachen geholfen, meinen Befehlen zu widerstehen. Hast du Mitleid mit ihm gehabt? Hast du nicht daran gedacht, dass ich es merken würde?” Er lachte spöttisch. „Wieder dein weiches Herz. Zu weich!”

      „Maquon!”, dachte Dindra. „Er meint Maquon.” Sie hatte dem Drachen geholfen, ohne zu wissen, wobei. Dieser Reiter mit der Kapuze war es, der Maquon so aufgebracht hatte! Aber was hatte sie getan, um ihm beizustehen? Es war nur dieses Leuchten um sie herum gewesen, sonst hatte sie nichts gemacht. Es wurde immer rätselhafter.

      „Ich habe die Stelle gefunden, an der du wieder aufgetaucht bist”, fuhr der Reiter fort. „Jener Drache hatte es fast aufgegeben, sich gegen mich zu wehren, und als er sich mir entzog, auf eine Weise, wie sie nur du und ich bewerkstelligen können, wusste ich, dass du bei ihm warst. Ich habe eine Weile gebraucht, um den schwachen Abglanz deines Seelenlichts auf der Ebene zu finden.” Er lachte wieder. „Du hast deine Spuren nicht verwischt. War es Nachlässigkeit oder hast du dich sicher gefühlt nach all der Zeit? Wie unbedacht von dir! Du wirst niemals sicher vor mir sein. Hast du gespürt, wie ich nach dir gesucht habe gestern Nacht?”

      „Godru war also doch nicht betrunken gewesen“, dachte Dindra. „Er hat tatsächlich einen Drachen bei Etrus Hof gesehen.“

      Immer noch ließ der Reiter den Drachen hin und her marschieren. Er wusste offensichtlich nicht, wo Dindra sich befand.

      „Es