Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


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wusste es!”, rief er. „Das Geschwätz dieses Burschen hat dir einen Floh ins Ohr gesetzt! Schlag dir das aus dem Kopf! Das ist nichts für dich. Du bist meine einzige Tochter. Wer soll den Hof übernehmen, wenn nicht der Mann, den du heiraten wirst?”

      „Du bist noch nicht alt, Vater. Noch lange nicht. Kann sein, Goldfels ist nichts für mich und ich komme zurück. Lass es mich probieren.”

      Aber Etru weigerte sich, weiter darüber zu reden. Als sie nochmal davon anfing, sprang er auf und stieß seinen Stuhl so heftig von sich, dass er umfiel.

      „Du wirst mir gehorchen”, sagte er ruhig und schaute zu dem Stock über dem Kamin. „Und ich befehle dir, nicht mehr davon zu reden!”

      Sie gehorchte und redete überhaupt nicht mehr mit ihm. Beim Essen saßen sie sich schweigend gegenüber, gingen schweigend aneinander vorbei, wenn sie sich auf dem Hof oder im Haus begegneten, und schwiegen, wenn sie abends beieinander saßen. Es war ein erbittert geführter Kampf, auf beiden Seiten, und er tat weh. Es gab keine Geschichten mehr, und Etru verlangte von Dindra auch nicht, den Mund aufzumachen. Er redete sie nicht an, als wollte er vermeiden, ihr unweigerliches Schweigen zur Kenntnis zu nehmen, und sie auffordern zu müssen, es zu beenden.

      Die Mägde schlichen mit unbehaglichen Gesichtern durchs Haus.

      „Was ist denn los?”, fragte Intri, die Köchin, als Dindra eines Morgens in die Küche kam.

      „Halt die Klappe!”, brummte Dindra nur. Sie musste sich auf ihren Kampf konzentrieren und darauf, einen Weg zu finden, die Entscheidung herbeizuführen. Sie wollte mit niemandem darüber reden. Es war eine Sache zwischen Etru und ihr, daher ignorierte sie Intris empörtes Gesicht, nahm sich einen Kanten frisches Brot und verließ die Küche. In der leeren Halle schnappte sie sich Etrus Schnitzmesser, das auf der Bank neben einem der Balken lag, und verließ das Haus. Sie wanderte an den Ställen vorbei durch die Obstgärten, an die sie grenzten, bis sie den Bach erreichte, der inzwischen schon wieder spärlicher floss. Nachdem sie ihn auf einer kleinen Holzbrücke überquert hatte, setzte sie sich am anderen Ufer, wo eines der Wäldchen begann, auf einen umgestürzten Baumstamm. Es war ein Ort, den sie liebte, und zu dem sie oft kam, wenn sie nachdenken wollte.

      Obwohl es noch früher Vormittag war, brannte die Sonne heiß auf die Ebene herab. Selbst in den Schatten unter den Bäumen war die Wärme zu spüren, und die Fleckens des Grases, die im Sonnenlicht lagen, leuchteten so hell, dass einem Sterne vor den Augen tanzten, wenn man zu lange darauf schaute. Dindra biss ein Stückchen von ihrem Brotkanten ab und ließ es langsam auf der Zunge zergehen.

      An der Gewissheit, dass sie nach Goldfels wollte, hatte sich seit dem Abend, an dem sie lange in Maquons Augen geschaut hatte, nichts geändert. Woher war sie gekommen? Dindra hatte immer noch den Verdacht, dass der Drache sie bewirkt hatte, wie auch immer. Oder war ihr an jenem Tag nur klar geworden, was sie immer geahnt hatte? War das Loch zwischen ihren Gedanken ein Hinweis gewesen, dessen Bedeutung sie ihr ganzes bisheriges Leben lang nur nicht verstehen konnte?

      Sie wollte nach Goldfels, wollte bei den Drachen sein, sie reiten, sie fangen und zähmen und ihre Gegenwart spüren, auf jene Weise, wie sie Maquon gespürt hatte, als sie sich selbst durch ihn auf der Ebene sah. Es war verwirrend gewesen, ein bisschen erschreckend sogar, aber zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich in jenem Augenblick vollständig gefühlt. Keine Löcher, keine leeren Stellen. Alles schien gestopft und geheilt. Sie wollte, dass es immer so wäre. Deshalb wollte sie nach Goldfels.

      „Nicht wegen Ryll“, dachte sie. „Oder dem, was er erzählt hat“.

      Sie versuchte, den Gedanken an ihn wegzuschieben, weil sie Angst hatte, dass sich ein neues Loch zwischen ihren Gedanken auftun könnte.

      Er war abweisend gewesen, als er ging. Gegenüber Etru und auch gegen sie. Höflich hatte er sich für die Beherbergung bedankt. Etru hatte nur kühl genickt mit seinem Steingesicht und war dann auf die Felder gegangen. Dindra begleitete Ryll auf das Grasland hinaus, dorthin, wo sie den Sattel zurückgelassen hatten, aber sie redeten kaum miteinander. Maquon folgte ihnen brav und ruhig wie ein Lamm, woran sich nichts änderte, als Ryll den Sattel aufschnallte, sich mit knappen Worten von Dindra verabschiedete und dann an dem Seil hoch auf den Hals des Drachen kletterte. Dindra hätte gerne noch etwas gesagt, Ryll von ihrem Wunsch erzählt, ihm nach Goldfels zu folgen, aber sie fand nicht die richtigen Worte.

      „Er hat auch ein Steingesicht”, dachte sie. Vielleicht hatten alle Männer so ein Gesicht, das sie aufsetzen konnten, wann immer sie ihre Gefühle verbergen oder die von anderen nicht zur Kenntnis nehmen wollten.

      Auf Rylls Befehl in jener alten Sprache der Drachenzähmer hin, breitete Maquon seine Schwingen aus und stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Der Luftzug der rauschenden Flügel wirbelte Dindras Haar hoch und drückte das Gras auf den Boden, und während der Drache sich in engen Kreisen zum blauen Himmel hinaufschwang und dann nach Osten wandte, fühlte sie sich auf schmerzhafte Art allein gelassen, ein Gefühl, das sie seitdem nicht verlassen hatte.

      Bedächtig kaute sie ihr Brot und schaute auf die Traurigen, die sich über den Bach beugten und ihre Zweige ins Wasser hängen ließen.

      „Ich bin wie diese Bäume“, dachte sie. „Ich stehe an einer Stelle und kann nicht weg und ich beuge mich immer tiefer bis ich den Himmel nicht mehr sehen kann.“

      Während sie noch ihren trübseligen Gedanken nachhing, kamen eine Frau und ein Junge vom Dorf her den Bach entlang auf sie zu. Dindra erkannte Alfru und seine Mutter. Alfrus Vater gehörte die Mühle, die ein Stück weiter zum Dorf hin am Bach stand und von diesem nur nach einem Gewitter angetrieben werden konnte. Die meiste Zeit war der Bach nur ein Rinnsal, und ein Ochsengespann musste die mühsame Arbeit verrichten, durch die die Mühle angetrieben wurde. Der Junge war das einzige von den Kindern des Dorfes und der Höfe, das Dindra als einen engeren Freund bezeichnen konnte. Früher waren sie oft zusammen über die Grasebene gerannt, auf der man laufen und laufen konnte, ohne das man den Drachenbergen am Horizont näher zu kommen schien. Sie war Alfru immer ein Stück voraus gewesen, weil sie die Vorstellung nicht loswerden konnte, sie würde im Gras untergehen wie in Wasser, wenn sie nicht schnell genug liefe. Deutlich erinnerte sie sich daran, wie die Halme an den Saum ihres Kleides trommelten und der Wind in ihrem Rücken sie schob und ihr die Haare vors Gesicht wehte. „Wenn du noch weiter rennst, werden dich die Drachen holen!”, hatte Alfru oft geschrien, und einen Moment lang glaubte sie dann, wenn sie nur schnell genug liefe, würde sie sich in einen Drachen verwandeln und zum Himmel hinauf fliegen, bis sie völlig außer Atem stehen blieb und sich einholen ließ, den Blick auf die fernen Berggipfel im Osten gerichtet.

      Es war seltsam, dass sie jetzt daran dachte. In letzter Zeit hatte sie Alfru selten gesehen. Er war wortkarg geworden, hatte sie, wenn sie sich zufällig trafen, nur angeschaut, als wüsste er nichts zu sagen.

      „Wenn ich bleibe, werde ich vielleicht seine Frau”, dachte sie. Etru würde ihn wahrscheinlich akzeptieren, obwohl sein Vater keinen Hof besaß. Lieber Alfru als Goldfels. Und die Mühle konnte einer seiner zahlreichen Brüder übernehmen. Etru würde vermutlich zufrieden sein.

      Sie merkte, dass sie Alfru unwillkürlich mit Ryll verglich, und ärgerte sich. Alfru war ein einfacher Bursche der Ebene, ein bisschen kantig, mit dichten schwarzen Augenbrauen, grauen Augen und einem dunklen störrischen Haarschopf. Und er hatte kein Steingesicht oder zumindest hatte er es ihr gegenüber nie aufgesetzt. Sie mochte ihn und vielleicht wäre er ein guter Ehemann.

      Als die beiden herangekommen waren, grüßte Alfrus Mutter Dindra freundlich, aber zurückhaltend, während Alfru scheu lächelte und sich so linkisch verbeugte, dass Dindra ihn noch lieber hatte. Aber in der Art wie seine Mutter einfach weiterging und Alfru mit sich zog, erkannte Dindra die Ablehnung, die sie immer bei den Frauen des Dorfes und der Höfe gespürt hatte, ihr ganzes Leben lang, als würde sie, aus einem Grund, den sie nie verstanden hatte, nicht richtig dazugehören. Nein, es würde nicht funktionieren. Es war eine Möglichkeit, aber sie würde nicht glücklich dabei werden. Und Alfru auch nicht, obwohl er es vielleicht dachte.

      Als sie die beiden aus den Augen verlor, holte sie Etrus Schnitzmesser aus der Tasche ihrer Tunika hervor. Vorsichtig strich sie