Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


Скачать книгу

verdeckten die Sicht auf die Felder und Weiden, die zum Hof gehörten.

      Vor der Tür des Hauses stand Etru, breitbeinig, die Arme verschränkt, und schaute Dindra und den Gästen mit finsterem, unbeweglichem Gesichtsausdruck entgegen. Hinter ihm lugte Mondri aus den Schatten der Türöffnung heraus, Mund und Augen weit offen.

      Dindras Schritte verlangsamten sich unwillkürlich während sie krampfhaft überlegte, wie sie die Anwesenheit des Drachen, der auf dem Hof seltsam unwirklich und äußerst fehl am Platze erschien, erklären sollte. Maquon betrat die kleine Wiese, streckte andeutungsweise mit jenem unheimlichen klappernden Geräusch seine Schwingen aus, schüttelte einmal kurz den Kopf, legte sich dann ruhig aufs Gras und stellte seine Ohren auf, wobei sich die Haut der kleinen Flügel unter ihnen entfaltete.

      Ryll wirkte beim Anblick Etrus ein wenig verunsichert, wie Dindra bei einem kurzen Seitenblick feststellte. Ihr Vater war ein eindrucksvoller Mann, groß gewachsen und breitschultrig, und die Muskeln an seinen Armen waren hart von der Arbeit auf den Feldern. Der dichte Bart und die zerfurchte Stirn ließen ihn älter aussehen als er war. Dindra nahm an, dass niemand, der sie und Etru zusammen sah, ihn für ihren Vater halten würde. Sein drahtiges Haar war braun und er hatte die grauen Augen der westlichen Ebene, während Dindras Augen so schwarz waren wie ihre Haare. Neben ihm kam sie sich immer noch wie ein kleines Kind vor und sie fürchtete, das würde sich niemals ändern. Mit seinen großen Händen konnte er ihre schmalen Schultern ganz umspannen, und wenn er das tat, fühlte sie sich sicher und geborgen. Aber sie hatte auch von ihm einiges geerbt, denn obwohl zierlich, war sie ausdauernd und schnell, und manche der Kinder des Dorfes hatten ihre Fähigkeiten unterschätzt, wenn sie sie großspurig zu einem Wettkampf herausforderten. Etru trug die übliche Kleidung der Hofbesitzer, die sich von der der Knechte kaum unterschied: eine helle, gegürtete Tunika aus Schafswolle mit verzierten Ärmeln und Kragen, schwarze, pludrige Leinenhosen und Lederstiefel.

      „Vater, dies ist Ryll Tarmanssohn, Drachenreiter von Goldfels”, sagte Dindra.

      Etru sagte nichts, warf Dindra aber einen Blick zu, den sie gut kannte. Es war nichts aus ihm herauszulesen, weder Ärger noch Überraschung. Sie hasste diesen Blick. Wenn Etru so war, wirkte sein Gesicht wie aus Stein. Niemand, der ihn so kennen lernte, konnte es für möglich halten, dass dieses Gesicht sich zu einem herzhaften Lachen verziehen konnte. Wenn es passierte, erwartete Dindra manchmal halb, das Geräusch splitternden Steins zu hören.

      „Dies ist mein Vater Etru Etrussohn”, sagte sie zu Ryll, der sich höflich verbeugte. Etru erwiderte den Gruß mit einem knappen Kopfnicken, was fast schon einer Unhöflichkeit nahekam. Dindra knetete nervös ihre Hände, während ihr Vater seinen Blick auf den Drachen richtete, der seelenruhig auf der Wiese lag.

      „Aus welchem Grund führt Ihr einen Drachen auf meinen Hof, Drachenreiter Ryll Tarmanssohn von Goldfels?”, fragte Etru. Seine Stimme war tief und dröhnte auf eine Weise, an der Dindra erkannte, dass er kurz davor stand, die Beherrschung zu verlieren. „In Begleitung meiner Tochter.”

      „Ich kann es Euch erklären”, sagte Ryll hastig. Dindra merkte, wie er versuchte, seine Stimme tiefer klingen zu lassen, und hätte trotz der angespannten Situation fast gelacht.

      „Als ich auf dem Rückweg nach Goldfels war, wurde der Drache durch irgendetwas, das ich nicht erklären kann, aus der Ruhe gebracht, und ich musste ihn auf der Ebene landen lassen. Die Begegnung mit Eurer Tochter aber hat ihn seltsamerweise völlig zur Ruhe gebracht, wofür ich ihr sehr dankbar bin.”

      Etru sah Dindra an. „Was hattest du dort zu suchen?”

      „Sie konnte nichts dafür”, sagte Ryll bevor sie antworten konnte. „Sie war in der Nähe, als ich landete.”

      Etru schnaubte. „Ich wette, du bist sofort zu ihm gerannt.”

      „Stimmt”, sagte Dindra trotzig. Sie log ihren Vater niemals an, denn sie hielt es für unwürdig und hätte sich eher damit abgefunden, mit dem Stock Bekanntschaft zu machen, als sich bei einer Lüge ertappen zu lassen.

      Etru presste die Lippen zusammen und wandte sich wieder an Ryll. „Und weiter?”

      Ryll zögerte. „Ich halte es für besser, den Drachen über Nacht ruhen zu lassen, bevor ich nach Goldfels zurückkehre. Eure Tochter war so freundlich, mir ein Nachtlager auf Eurem Hof anzubieten.”

      Etru nickte. „Natürlich könnt Ihr hier übernachten. Und der Drache?”, fuhr er sarkastisch fort. „Kommt er vielleicht auch noch mit ins Haus?”

      Ryll lachte nervös. „Ich wollte ihn draußen auf der Ebene zurücklassen, aber er scheint Zuneigung zu Eurer Tochter gefasst zu haben und ließ sich nicht davon abbringen, uns zu folgen. So lange sich ihm niemand nähert, besteht sicher keine Gefahr, wenn er dort auf der Wiese bleibt.”

      Etru sah zu Maquon hinüber. „Und wenn ihn wieder etwas Unerklärliches, wie sagtet Ihr, aus der Fassung bringt? Ein Drache spuckt Feuer, und auf meinem Hof gibt es vieles, das brennen kann.”

      „Drachen fügen Menschen niemals absichtlich Schaden zu”, sagte Ryll steif. „Ich garantiere dafür im Namen von Goldfels, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.”

      Etru schwieg einige Augenblicke lang, dann nickte er. „In Ordnung. Ihr seid mein Gast. Kommt herein.” Er machte eine einladende Handbewegung zur Tür hin, aus der Mondri blitzschnell verschwand.

      Ein paar Knechte und Mägde des Hofes hatten sich am Rand der Wiese versammelt und starrten Maquon mit offenen Mündern an. Während Ryll im Haus verschwand, signalisierte Dindra ihnen, dass sie den Drachen in Ruhe lassen sollten, und sie zogen sich zurück. Dann folgte sie ihrem Vater, der kopfschüttelnd das Haus betrat. Über einen kurzen Flur, erreichte sie die niedrige Halle, die sich nach beiden Seiten erstreckte. Es war ein schmaler Raum, dessen Boden mit Holzdielen bedeckt war. Die Einrichtung bestand aus schweren Holztischen, Truhen und Stühlen. An den Wänden, die dunkel vom Rauch des Kamins auf der linken Seite waren, zogen sich Holzbänke entlang, unterbrochen von kräftigen Stützbalken, die ein bisschen vorstanden und über und über mit Schnitzereien bedeckt waren. Ryll betrachtete sie erstaunt, während er etwas linkisch Etrus Aufforderung, auf einer der Bänke Platz zu nehmen, folgte.

      „Mein Vater hat sie gemacht”, erklärte Dindra. „Er ist sehr geschickt darin.”

      Etru schnaubte wieder verächtlich, aber sie wusste, dass er stolz auf seine Schnitzkunst war.

      „Sie sind beeindruckend”, sagte Ryll, und Dindra lächelte. Damit hatte er bei Etru einen Stein im Brett. Trotz seiner Bärbeißigkeit war ihr Vater ein empfindsamer Mann, und in seinen Schnitzereien brachte er dies am besten zum Ausdruck. Manchmal dachte sie, sie hätte ihn niemals wirklich kennen gelernt und verstanden, wenn es diese Bilder in den Balken nicht gegeben hätte. Sie dachte an die langen Abende in der Zeit der kühlen Sonne, wenn Etru schnitzte und sie auf dem Holzboden am prasselnden Kamin saß, in dem der Wind pfiff und heulte, und Brot röstete. Nur die Kaminseite der langen Stube wurde richtig warm. Die andere Seite lag dann im Dunkeln, wie eine finstere Höhle, in der schaurige Gestalten zu wohnen schienen, über die Etru unheimliche Geschichten erfand. Er lachte oft über Dindra, wenn sie sich dabei gruselte, aber in Wirklichkeit liebte sie diese Geschichten, denn sie führten zu immer neuen Schnitzereien, in denen Etru die Gestalten seiner Geschichten zum Leben erweckte. Gespenster, Zwerge, gehörnte Trolle, boshaft grinsende Hexen mit langen Nasen und Buckeln auf dem Rücken, Wichte mit Schmetterlingsflügeln, und Fratzen von Wesen, die Etrus Fantasie entstammten und für die er finster klingende Namen erfand. Aber es waren auch lustige Gesichter dabei, die in Blüten steckten, oder winzige Menschen, die auf Hasen und Mäusen ritten. Alles reihte sich dicht an dicht, wie eine endlose Geschichte, und immer noch waren längst nicht alle Balken bedeckt. Nur von Drachen gab es keine Abbildungen, und manchmal, wenn aus der Ferne Drachengesang zu hören war - was in der Zeit der kühlen Sonne seltener vorkam -, fragte Dindra ihn, warum. Dann wurde Etru immer schweigsam, und in der Stille lauschte Dindra auf den Gesang der Drachen, der im Rauschen des Regens und im Grollen des Donners allmählich unterging.

      „Kümmere dich um das Essen”, sagte Etru zu ihr. „Sag ihnen, es soll den Rinderbraten geben,