„Bleib stehen!”, rief er. „Deine Haare flattern! Das macht ihn unruhig!”
Dindra hatte davon gehört. Alle Drachenreiter trugen, so wie dieser Junge, die Haare kurz, bis knapp unter die Ohren. Obwohl sie wegen des Feuerstoßes nun doch ein wenig Angst empfand, raffte sie ihre langen, schwarzen Haare, in die sie nach Art der Mädchen und Frauen der Ebene hier und da dünne Zöpfe geflochten hatte, im Nacken zusammen und stopfte sie unter den Kragen ihrer Tunika. Dann trat sie durch das qualmende Gras weiter auf den Drachen zu.
„Lass das!”, rief der Reiter nervös. „Du machst ihn nur wild!”
„Er ist doch ganz ruhig!”, verteidigte Dindra sich. „Sieh doch!”
Tatsächlich faltete der Drache seine Flügel zusammen, mit einem Geräusch, das Dindra an etwas erinnerte. Genauso klang es, wenn die Knechte nach dem Dreschen ihre ledernen Schürzen abnahmen und in der Scheune auf einen Haufen warfen. Sie hörte noch etwas anderes. Ein helles Klappern. „Das müssen die dünnen Knochen sein, die sich durch die Haut der Schwingen ziehen”, dachte sie. Es klang schaurig.
Die gelben Augen des Drachen mit den senkrechten, schlitzförmigen Pupillen waren unverwandt auf sie gerichtet. Die langen spitzen Ohren hinten an seinem Schädel, die angelegt gewesen waren, richteten sich auf, wodurch eine von Knochen durchzogene Lederhaut zwischen Kopf und jedem der Ohren entfaltet wurde. Wie zwei kleine Drachenflügel sahen sie aus. Die hektischen Bewegungen des Kopfes und des Schwanzes hatte der Drache eingestellt.
„Ja, scheint so”, sagte der Drachenreiter. Er klopfte auf den vorderen Rumpf des Drachen. „Ho, Maquon, ho! So ist´s gut! Alles in Ordnung, mein Alter!”
„Maquon?”, fragte Dindra. „Ist das sein Name?”
Der Reiter nickte. Er war einen Kopf größer als Dindra. Seine Schultern waren nicht so breit wie die von Etru, aber er wirkte so kräftig und geschmeidig, als könnte er das dicke Seil, das von Maquons Sattel an seiner Seite herabhing, spielend leicht hinaufklettern.
„Was war denn mit ihm los?”
Der Reiter zuckte mit den Schultern. Mit einer fahrigen Handbewegung wischte er die hellen Haare, die ihm in die Stirn hingen, nach hinten. Langsam fielen sie wieder nach vorne, wie Grashalme die sich aufrichteten, nachdem ein Windstoß sie platt gedrückt hatte.
„Sie glitzern”, dachte Dindra. Die Wolken waren inzwischen aufgerissen, und die Sonne schien kräftig zwischen ihnen hindurch. „Und seine Augen sind blau.”
„Er hat vom Feuer der Blitze gegessen”, sagte er. „Das macht sie manchmal reizbar. Ich muss den Drachenzähmern davon berichten.” Er lächelte von oben herab. „Man braucht Mut, um durch ein Gewitter zu fliegen.” Es klang angeberisch. Dann verbeugte er sich. „Ich bin Ryll Tarmanssohn, Drachenreiter von Goldfels.”
Dindra sah sich genötigt, ebenfalls höflich zu sein, obwohl sie sich über seine herablassende Art ärgerte. Sie verbeugte sich auch. „Ich bin Dindra Etrustochter von den Höfen des Dorfes, in dessen Nähe du gelandet bist.”
Ryll nickte. „Es war ziemlich leichtsinnig von dir, sich Maquon zu nähern. Das Feuer hätte dich verbrennen können. Selbst in der Station ist es gefährlich für einen Menschen, den die Drachen nicht kennen. Geh lieber ein Stück zurück.”
Verdrossen folgte Dindra der Aufforderung. „Immerhin ist Ryll ein Drachenreiter”, rief sie sich in Erinnerung. Er war mit Maquon über die Ebene geflogen und lebte in Goldfels zwischen Drachen und Drachenzähmern, obwohl er nicht so viel älter war als sie selbst. Ein oder zwei Zeiten der heißen und der kühlen Sonne vielleicht. Sie verspürte Neid und ein bisschen widerwillige Ehrfurcht.
Als sie sich ein paar Schritte entfernt hatte, setzte Maquon sich plötzlich in Bewegung und schob seinen massigen Leib auf sie zu.
„He, Vorsicht!”, rief Ryll aufgeregt. „Ho, Maquon! Elinquin!”
Der Drache ließ sich nicht beirren. Als er vor Dindra stand, beugte er seinen Kopf zu ihr herab. Ihr wurde mulmig zumute, als sie ihn so dicht vor sich hatte. Er roch nach Rauch, und aus seinem Oberkiefer ragten große spitze Zähne hervor. Sein langer silbriger Bart hing bis ins Gras hinunter und berührte den Saum ihres Rockes.
„Ryll?”, rief sie unsicher. Sie merkte, wie Ryll um den Drachen herumtanzte, ihm beruhigend auf den Rumpf klopfte und immer wieder „Elinquin!”, rief, aber Maquon reagierte nicht darauf. Er hob die rechte Klaue, deren vier Glieder sich wie ein Daumen und drei Menschenfinger einzeln bewegen konnten. Aus jedem von ihnen ragte eine dicke weiße Kralle hervor, und mit einer von ihnen berührte der Drache Dindra unterm Kinn und schob ihren Kopf nach oben. Sie fühlte die rissige Kralle über ihre Haut schaben.
„Er kann mir die Kehle durchschneiden”, dachte sie und geriet in Panik. „Es kostet ihn nicht mehr Mühe als mich ein Fingerschnipsen.” Der Blick der gelben Schlangenaugen bohrte sich in ihre, und sie konnte sie nicht schließen und sich nicht rühren, als wäre sie am ganzen Leib gelähmt.
„Etru”, dachte sie. „Was wirst du tun, wenn du hörst, dass ich tot bin? Von einem Drachen erschlagen!” Sie hatte fast mehr Angst vor dem, was er tun könnte, als vor dem Tod.
Was hatte sie sich gedacht, fragte Dindra sich, während sie Maquons heißen Atem auf ihrem Gesicht spürte, der sich jederzeit in Feuer verwandeln konnte. Sie hätte auf Ryll hören sollen. Der Reiter war offenbar machtlos gegen das Tun des Drachen. Sie hörte ihn immer noch rufen, aber seine Worte bewirkten nichts. Ihr Kopf lag auf der Drachenkralle, und sie kam sich vor wie eine Maus in den Fängen einer Katze, die noch ein wenig spielen wollte bevor sie zuschlug.
Dann, als ihr Hinterkopf ihren Nacken erreicht hatte und ihr Hals sich so spannte, dass es ihr die Kehle zuschnürte, schloss Maquon seine Augen, senkte seinen Kopf auf ihren und drückte seine Stirn an ihre. Es blieb ihr nichts übrig, als stocksteif stehen zu bleiben, denn die Kralle blieb an ihrem Platz unter ihrem Kinn. Die schuppige graue Haut des Drachen war warm und rau, wie ein Stein, der lange in der Sonne gelegen hatte. Die Berührung war sanft, aber der riesige Kopf voll Feuer und spitzer Zähne schien die ganze Welt einzunehmen und zur einzigen Wirklichkeit zu werden, die Dindra wahrnehmen konnte. Obwohl sie die Augen immer noch krampfhaft geöffnet hielt, die Haut der Drachenschnauze nur einen Fingerbreit von ihnen entfernt, füllte sich ihr Blick allmählich mit Dunkelheit, als würde die Sonne versinken und die Nacht mit unnatürlicher Geschwindigkeit hereinbrechen.
„Ich werde ohnmächtig”, dachte sie. Aber das Nichts, das sie erwartete, kam nicht. Stattdessen formte sich in der Dunkelheit eine Gestalt, vage zunächst, nur Umrisse, dann allmählich deutlicher.
Es war ein Mädchen. Ein Mädchen der Ebene. Es trug eine dunkelblaue Tunika, an der Hüfte von einem ledernen Gürtel zusammengehalten. Darunter trug es einen langen Rock. Am Saum der Ärmel und am Ausschnitt des runden Kragens befanden sich gelbe Borten mit einem Muster aus ineinander verschlungenen schwarzen Kreisen, und an den Schultern flatterten bunte Bänder.
„Es ist ein Kleid, wie ich es trage”, dachte Dindra. Sie sah in das Gesicht des Mädchens. Es war schmal; die dunklen Augen standen leicht schräg. Schwarze Haare rahmten es ein, geflochtene und lose. Die Augen waren weit geöffnet, der Mund ein wenig, als ob das Mädchen erstaunt wäre.
„Das bin ich”, dachte Dindra verwirrt. „So muss ich ausgesehen habe, als ich Maquon sah.”
Ein Leuchten war um diese Dindra in der Dunkelheit herum. Es umfasste die ganze Gestalt. Leuchtfinger wuchsen daraus hervor, zunächst klein, dann immer länger und breiter werdend. Sie fraßen sich in die Dunkelheit, die sich zu wehren schien und widerspenstig waberte. Aber das Leuchten breitete sich immer weiter aus, drängte die Dunkelheit zurück, scheinbar mühelos, und vertrieb sie schließlich, sodass das Leuchten nur noch um die Gestalt war. Es wurde immer heller, durchdrang die andere Dindra, bis sich die Gestalt auflöste und nur noch ein blendendes Licht blieb, so hell, dass es kaum zu ertragen war. Dann verschwand es, und Dindra sah die Augen des Drachen vor sich. Seine Kralle löste sich von ihrem Kinn und sein Kopf zog sich zurück. Dindras Knie zitterten, und ihre Beine gaben nach. Sie fiel auf das nasse Gras, lag auf dem