Aufregung, die sie verwirrte und fast beängstigend war.
„Es ist nur ein Traumgespinst”, sagte sie sich. Ein Traum, den sie keine Macht über sich gewinnen lassen durfte, denn dann würde er sie unglücklich machen. Sie war geradezu wütend auf Ryll, weil er ihr diese Möglichkeit vor die Nase hielt, so, wie man ein Kätzchen mit einem Bindfaden zum Spielen lockte. Etru würde sie nicht gehen lassen. Sie war dazu bestimmt, in der nächsten oder übernächsten Zeit der heißen und kühlen Sonne einen Sohn der Höfe zu heiraten, der Etrus Hof irgendwann übernehmen sollte. Ihre Fragen nach den Drachen und den Stationen hatte er immer abgewehrt. Manchmal sehr barsch. Er wusste, dass die Menschen der Ebenen von den Drachen abhängig waren, doch schien er eine Abneigung gegen sie zu hegen, die Dindra nicht verstand, und die über die Gleichgültigkeit der anderen Hofbesitzer hinausging. Als sie einmal sagte, sie würde zu gerne einmal eine der Drachenstationen sehen, war er wütend geworden und hatte erklärt, das würde er nicht zulassen. Ihr Leben sei hier und sie solle es sich aus dem Kopf schlagen.
Sie dachte an den Stock. Und an eine Grenze, die sie nicht überschreiten durfte.
„Ich bin ganz bestimmt keine Drachenzähmerin”, sagte sie zu Ryll.
„Wie du meinst. Können wir jetzt zum Hof deines Vaters gehen?”
Sie nickte und ging voraus. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Maquon aufstand.
„Er folgt uns”, sagte sie unsicher.
Ryll wandte sich um. „Maquon, elinquin!”
„Was ist das für eine Sprache?”, fragte Dindra neugierig.
„Es ist die alte Sprache der Drachenzähmer”, erklärte Ryll.
„Und du sprichst sie?”
Er schüttelte den Kopf. „Niemand spricht sie mehr wirklich. Aber die Befehle für die Drachen werden immer noch in dieser Sprache weitergegeben. Das ist die Tradition, verstehst du? Es sind auch nicht sehr viele Worte, die wir verwenden. Elinquin bedeutet Bleib zurück.”
Maquon blieb aber nicht zurück. Obwohl Ryll noch drei Mal elinquin sagte, folgte er den beiden Menschen, sobald sie sich anschickten fortzugehen.
„Das ist nicht gut!”, jammerte Dindra. Was würde Etru sagen, wenn sie mit einem Drachen auf den Hof marschiert kam? Sie wusste nicht einmal, wie sie ihr Zusammentreffen mit Ryll erklären sollte. Dafür musste sie zugeben, dass sie sich einem Drachen genähert hatte.
Ryll sah Maquon ratlos an und wischte sich die Haare aus der Stirn nach hinten. Dindra mochte es immer noch, wie sie glitzernd wieder nach vorne fielen, aber sie war zu besorgt, um es zu genießen. Der Drache stand ruhig da, sein langer Bart wehte sacht im Wind, aber er machte keine Anstalten, sich wieder hinzulegen.
„Nun gut”, sagte Ryll. „Dann kommt er eben mit. Ich denke, er wird sich ruhig verhalten.”
Mit gemischten Gefühlen schlug Dindra den Weg zum Hof ein, der sie ein Stück über das Grasland und dann auf die Schneise zwischen den beiden Wäldchen führte. Als sie an die Stelle kamen, an der Dindra Maquons verzweifeltes Gebrüll gehört hatte, wünschte sie sich fast, sie hätte dem Verlangen, einen Drachen aus der Nähe zu sehen, nicht nachgegeben.
Dort wo die Schneise sich gabelte und in zwei nach dem Regen etwas schlammige Sandwege überging, wandte sie sich nach links. Der andere Weg führte, parallel zu dem Bach, der jetzt nach dem Regen hörbar sprudelte, geradeaus ins Dorf, in dem diejenigen lebten, die in ihren eigenen Häusern und Werkstätten für die Höfe arbeiteten, von denen sie versorgt wurden: Schmied, Wagner, Sattler und andere. Die Höfe und ihre Felder und Weiden lagen in weitem Kreis um das Dorf herum.
Der Weg zu Etrus Hof war von Obstgärten gesäumt. Die Blätter der Apfel- und Birnbäume waren noch feucht und schimmerten golden im Licht der Abendsonne. Es war die Zeit der Ernte. Während die meisten Knechte auf den Feldern arbeiteten, pflückten die Mägde des Hofes die Früchte von den Bäumen. Sie standen, von ihren weiten Röcken behindert, unbeholfen auf Leitern und warfen das Obst in Körbe, die sie auf dem Rücken trugen. Eine von ihnen schrie auf, als sie Maquon sah; eine andere fiel von ihrer Leiter und landete mit einer Rolle rückwärts zwischen den Äpfeln, die aus ihrem Korb purzelten. Es war Mondri, eine junge Magd mit rundem Gesicht, die einen Augenblick lang zu Dindra herüberstarrte und dann blitzartig aufstand und in Richtung des Hofhauses davonlief, während die anderen Mägde sich ans andere Ende des Gartens zurückzogen und sich hinter den Bäumen versteckten. Dindra verzog den Mund. Etru würde sie erwarten, dafür würde Mondri sorgen. Sie kam sich sehr merkwürdig vor mit diesem riesigen Drachen hinter sich, der ihr folgte wie ein Hund und die Mägde gar nicht beachtete.
„Mein Vater ist ein strenger Mann”, sagte sie zu Ryll. „Und nicht sehr gesellig. Er wird dich natürlich beherbergen, aber ich weiß nicht, was er zu einem Drachen auf seinem Hof sagen wird.”
„Was ist mit deiner Mutter?”
Dindra zögerte. „Ich habe sie nicht gekannt. Sie ist bei meiner Geburt gestorben.”
„Das tut mir leid.”
Dindra nahm sein Bedauern schweigend zur Kenntnis. Es war das, was die Leute immer sagten, wenn sie es hörten. Sie selbst empfand bei diesen Worten eine Leere zwischen ihren Gedanken, gleich neben dem Loch, das sich nur durch den Anblick von Drachen stopfen ließ. Sie hätte gerne eine Mutter gehabt, wie die anderen Kinder des Dorfes. Die Frauen der Höfe waren freundlich zu ihr, aber sie behandelten sie oft ein wenig zurückhaltend, als wäre sie eine Fremde. Dindra wusste nicht einmal den Namen ihrer Mutter, denn Etru wollte einfach nicht über sie reden. Als sie alt genug gewesen war, um nach ihr zu fragen, hatte er nur gesagt, sie sei gestorben, als Dindra zur Welt kam. Es hatte nicht wie ein Vorwurf geklungen, und sie hatte es auch nie so aufgefasst. Aber sie fühlte sich bei dem Gedanken an diese unbekannte Fremde, die ihre Mutter war, immer so, als ob sie betrogen worden wäre. Die anderen Mütter der Höfe starben nicht, wenn sie Kinder bekamen. Warum ausgerechnet ihre? Sie konnte noch nicht einmal sagen, dass sie ihre Mutter entbehrte, denn sie wusste nicht, wie es war, eine zu haben. Auf den anderen Höfen bekam sie nur mit, wie die Mütter ihre Kinder schalten oder ihnen auch mal eine Ohrfeige verpassten. Darauf konnte sie verzichten. Aber sie wusste nicht, wie es war, wenn die anderen Kinder zu Bett gingen oder Wunden hatten, am Leib oder zwischen ihren Gedanken. Wurden sie dann von ihren Müttern in den Schlaf gesungen, getröstet und geheilt? Dort war es, wo Dindra den Betrug witterte, wo sie die leere Stelle spürte, besonders dann, wenn jemand sagte, es tue ihm leid. Sie konnte sich eigentlich nicht beklagen. Etru war nicht immer streng. Oft war er sogar ein sehr liebevoller Vater. Es gab zwar den Stock, aber er hatte ihn nie benutzt.
„Ich könnte mit deinem Vater reden”, sagte Ryll. „Wegen Goldfels. Jeweils zu Beginn der kühlen und der heißen Zeit der Sonne werden neue Anwärter aufgenommen.”
Dindra hob abwehrend beide Hände. „Nein! Erwähne das bloß nicht!”
„Warum nicht?”, fragte Ryll verwundert. „Viele Eltern wären stolz, wenn ihre Kinder Drachenreiter werden könnten. Mein Vater hat im ganzen Dorf geprahlt, als ich die Drachenwahl bestand. Einmal bin ich mit Maquon in die Nähe unseres Dorfes gekommen. Meine Eltern haben ein Fest veranstaltet. Ich glaube, sie gingen den anderen Dörflern ziemlich auf die Nerven.”
Dindra schüttelte den Kopf. „Mein Vater ist anders. Er will nicht viel von Stationen und Drachen hören.”
Inzwischen hatten sie den Mittelpunkt des Hofes erreicht, eine Wiese, die von mehreren Gebäuden umgeben war. Auf der Westseite zu ihrer Linken stand die große, aus Holzplanken errichtete Scheune mit dem Kornspeicher. Auf der rechten Seite befanden sich Gesindehäuser, Ställe und Gatter. In der Mitte stand das zweistöckige Haupthaus, wie alle Wohnhäuser der Höfe aus bearbeiteten Felssteinen errichtet, die von den Drachenbergen herbeigeschafft worden waren. Hölzerne Stützbalken zogen sich durch die Wände, einige schon recht verwittert, andere schief und krumm. Um die Läden der kleinen Fenster, die wie immer nach einem Gewitter weit offen standen, rankten sich Efeu und Kletterrosen bis zum Strohdach hinauf, aus dem sich steinerne Schornsteine erhoben, der größte über dem Kamin der Halle, die