Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


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sie zerstreut, als ob das von entscheidender Bedeutung wäre.

      Ein bleiches Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. Blaue Augen. Helle Haare, die von einer Hand aus der Stirn nach hinten gewischt wurden und dann langsam wieder nach vorne fielen. „Es glitzert”, dachte Dindra. „Jedes einzelne Haar glitzert in der Sonne.” Sie hatte Lust, es zu berühren, aber sie konnte sich nicht bewegen.

      „Alles in Ordnung?”, fragte das Gesicht.

      „Ryll“, dachte Dindra. „Das ist Ryll, der Drachenreiter.“

      „Ich weiß nicht, was in Maquon gefahren ist”, sagte er. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Bist du verletzt?”

      Dindra versuchte sich aufzusetzen. Ryll, half ihr und stützte ihren Rücken. Sie sah sich um und allmählich bekam sie wieder ein Gefühl für die Wirklichkeit, fühlte deutlich die Nässe des von der Sonne erwärmten Grases durch den Stoff ihres Rocks. Maquon hatte sich einige Schritte von ihr entfernt auf den Bauch gelegt, schaute sie interessiert an und schien die Ruhe selbst.

      „Ich glaube, ich bin in Ordnung”, sagte sie. Ihre Stimme klang komisch in ihren Ohren. Dünn und angestrengt. „Was ist passiert?”

      „Keine Ahnung.” Ryll grinste verlegen. „Ich dachte schon, Maquon würde dich ... Nun ja, er ist heute ziemlich unberechenbar.” Er sah zu dem Drachen hinüber. „Jetzt ist er allerdings wie immer. Was es auch war, das ihn verstört hat, es scheint vorbei.”

      Dindra stand auf und zupfte ihren Rock zurecht.

      „Hast du Angst gehabt?”, fragte Ryll.

      „Ein bisschen schon”, antwortete sie spitz. Sie lachte, als sie seinen besorgten Gesichtsausdruck sah. „Hättest du Ärger bekommen, wenn dein Drache mich getötet hätte?”

      Ryll wand sich verlegen. „So etwas ist noch nie vorgekommen”, beteuerte er. „Kein Drache aus den Stationen schadet absichtlich einem Menschen.”

      „Er hat versucht, dich abzuwerfen. Ich hab es gesehen.”

      „Ja”, gab Ryll zu. „Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Er ist sonst sehr umgänglich, ein sehr erfahrener Drache. An der Länge seines Bartes kannst du sehen, dass er schon ein beträchtliches Alter erreicht hat.” Er schien zu überlegen. „Ich glaube, es wäre besser, wenn ich ihn erst morgen nach Goldfels bringe. Er sollte ein bisschen Ruhe haben. Könnte ich über Nacht auf dem Hof deines Vaters bleiben?”

      „Ich denke schon”, sagte Dindra unsicher. Es war üblich, den Drachenreitern Unterkunft zu gewähren, wenn sie danach fragten, was allerdings selten vorkam. „Was ist mit Maquon?”

      „Er kann hier draußen bleiben. Ich werde ihn absatteln, damit er zur Ruhe kommt. Wir müssen allerdings auf dem Hof Bescheid sagen, dass niemand hierherkommt. Im Moment ist er anscheinend ein bisschen launisch.”

      Er begann damit, die Gurte des Sattels zu lösen, der an der Basis des Drachenhalses aufgeschnallt war. Dindra beobachtete ihn. Seine Bewegungen und Handgriffe waren sicher und routiniert, als hätte er das schon tausend Mal gemacht.

      „Wie lange bist du schon Drachenreiter?”, fragte sie.

      „Seit Beginn der heißen Zeit der Sonne. Meine Drachenwahl war vor fünf Monden.”

      „Drachenwahl?”

      „Wenn ein Drachenreiterschüler seine Ausbildung beendet hat, wird er zu einem Drachen geführt”, erklärte Ryll. „Wenn dieser ihn akzeptiert, ist er ein vollwertiger Drachenreiter.”

      „Und wenn nicht?”

      „Dann muss er die Station verlassen.”

      „Kommt das oft vor?”

      Ryll zuckte mit den Schultern. „Hin und wieder. Warum die Drachen manche Menschen ablehnen, weiß man nicht. Ich denke, es hat mit Vertrauen zu tun. Wenn die Drachen einem nicht vertrauen, kann man nicht Drachenreiter werden.” Er zog den Sattel von Maquons Hals und legte ihn ins Gras. „Was ist mit dir?”, fragte er. „Könntest du dir vorstellen, eine Drachenreiterin zu werden?”

      Die Frage traf Dindra unvorbereitet. „Ich?”, sagte sie verdutzt. „Du denkst, ich könnte eine Drachenreiterin werden?”

      „Grundsätzlich schon. Du musst einen Bürgen haben, der für dich spricht, um in einer Station aufgenommen zu werden. Du bist ein wenig zierlich für eine Reiterin, aber die Übungen in der Schule würden dich bald kräftiger machen. Wie alt bist du?”

      „Vierzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne.”

      Ryll nickte. „Das ist das richtige Alter. Man kann auch älter sein, aber jünger nicht. Ich hatte fünfzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne gesehen als ich anfing.”

      Dindra betrachtete ihn nachdenklich. Er trug die graue Kleidung der Drachenstationen: ein graues Hemd aus dickem Stoff, das eine Handbreit über den Knien endete und in der Hüfte von einem Ledergürtel mit einer silbernen Schnalle in Form eines Drachenkopfes zusammengehalten wurde. Die Ärmel waren kurz und ließen ein weiteres graues Hemd erkennen, dessen lange Ärmel eng anlagen. Unter dem oberen Hemd trug er eine enge Hose aus dem gleichen grauen Stoff, die in Wildlederstiefeln steckte. Es war eine schlichte Kleidung, aber gerade durch ihre Strenge wirkte sie elegant und schneidig.

      Dindra genierte sich plötzlich ein wenig wegen ihrer eigenen Kleidung. Der weite Rock und die Tunika mit den breiten Ärmeln waren unpraktisch und in der Zeit der heißen Sonne ziemlich lästig, aber es war die Tracht der Frauen der Ebene, und sie hatte sich nie vorstellen können, etwas anderes zu tragen. Als sie das Kleid zu Beginn der letzten Zeit der kühlen Sonne bekommen hatte, war sie stolz gewesen, denn es kennzeichnete sie als heiratsfähige Frau, bei der das erste Mondblut geflossen war. Etru meinte allerdings, sie sei noch zu jung, deshalb schmückte sie das Kleid mit farbigen Bändern, die von den Schultern herabhingen und bedeuteten, dass noch kein Mann sie fragen durfte.

      Sie zeigte auf ein Abzeichen, das auf Rylls Hemd über dem Herzen aufgenäht war. Es zeigte die Silhouette eines Drachen mit einem Reiter. „Was ist das?”

      „Das bekommt man, wenn man die Drachenwahl überstanden hat”, sagte Ryll stolz. „Die Drachenfänger und die Drachenzähmer tragen andere Abzeichen.” Er grinste. „Ich könnte für dich bürgen. Ich glaube, du hast Mumm, und Maquon scheint dich zu mögen. Das ist ein gutes Zeichen. Die meisten Schüler in den Stationen trauen sich am Anfang keine zehn Schritte an einen Drachen heran. Bei mir war das natürlich anders.”

      Dindra lachte. „Mein Vater würde es nicht erlauben.”

      Ryll zuckte mit den Achseln. „Schade. Vielleicht hättest du sogar das Zeug, irgendwann Drachenzähmerin zu werden.”

      „Was tun sie, diese Drachenzähmer?”

      „Sie haben die Gabe, durch ihren Geist Kontakt mit den Drachen aufzunehmen. Das ist wichtig bei neu gefangenen Drachen, die sonst niemanden an sich heranlassen. Die Drachenzähmer beruhigen die Drachen durch ihre eigene Ruhe. Sie machen sie dadurch den Menschen geneigt, sodass sie sich von ihnen reiten und lenken lassen. Dazu gehört die Fähigkeit, das Vertrauen der Drachen zu gewinnen.”

      Es klang ein bisschen wie auswendig gelernt. Dindra überlegte, ob sie Ryll erzählen sollte, was sie bei Maquons Berührung erlebt hatte. Die Dunkelheit, ihr eigenes Bild, das leuchtete und die Dunkelheit vertrieb. War das die Gabe? Oder hatte die Angst ihr einen Streich gespielt? Vielleicht war es auch ein Trick von Maquon gewesen. Die Drachen waren Geschöpfe der Magie. Aber wenn ja, was hatte es zu bedeuten? War es ein Spiel gewesen, bei dem Maquon ihr ein bisschen Angst einjagen wollte, weil er gerade schlechte Laune hatte und sie sich allzu dreist an ihn herangewagt hatte? Wenn sie sah, wie ruhig er dalag, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, die Lider halb über die gelben Augen gesenkt, die sie nicht losließen, als wollte er sagen: ich beobachte dich und kann dich nochmal ärgern, wenn du nicht aufpasst, erschien ihr das Erlebnis unwirklich und die Möglichkeit, dass sie tatsächlich die Gabe der Drachenzähmer besaß, mehr als unwahrscheinlich. Dennoch hakte sich Rylls Vorschlag in