Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


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nur den Kopf und machte wieder sein Steingesicht.

      „Natürlich kann man es nicht sein ganzes Leben lang machen”, sagte Ryll.

      „Was machen die Drachenreiter wenn sie älter sind?”, fragte Dindra neugierig.

      „Einige werden Drachenfänger. Sie beobachten wilde Drachen in den Bergen und wählen solche aus, die für die Stationen geeignet sind. Ich selbst werde demnächst eine Ausbildung zum Drachenfänger beginnen.” Er grinste stolz und schien sich darauf zu freuen. „Die Drachenfänger sind ein raues Volk. Sie sind viel in den Bergen unterwegs und bleiben in Goldfels meistens für sich. Es ist nicht leicht, von ihnen akzeptiert zu werden. Ich hoffe, dass es mir gelingt. Drachenzähmer werde ich jedenfalls nie. Das werden sowieso nur wenige, die die besondere Gabe haben. Sie bleiben die meiste Zeit in der Station, gewöhnen die Drachen an Menschen und beobachten sie, um zu erkennen, wann sie von den Blitzen essen müssen. Die Drachenzähmer werden hoch geachtet. Andere ältere Drachenreiter werden Ausbilder an der Stationsschule. Die meisten möchten nicht mehr von Goldfels und von den Drachen weg, obwohl es einige gibt, die sich von der Stationsleitung einen Hof in der Ebene übertragen lassen und mit den Mitteln dafür versorgt werden, wenn sie es wünschen.” Er zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht für alle ehemaligen Drachenreiter Platz.”

      „Und gibt es nicht solche, die die Station verlassen?”, fragte Etru mit angespannter Stimme. Seine grauen Augen waren herausfordernd auf den Gast gerichtet, und er runzelte die Stirn so grimmig, dass sein Haaransatz tief nach unten gezogen wurde.

      „Natürlich gibt es die”, sagte Ryll. „Es sind auch nicht alle Anwärter geeignet, Drachenreiter zu werden. Sie müssen die Station dann sogar verlassen, falls sie nicht als einfache Arbeiter bleiben wollen. Die meisten sind Kinder der Hofbesitzer und gehen lieber zurück nach Hause. Es werden immer neue Anwärter gesucht.” Er zögerte. „Dindra scheint sehr geeignet, Etru Etrussohn. Ihr hättest sie mit dem Drachen sehen sollen. Ich glaube, sie könnte sogar Drachenzähmerin werden.”

      Dindra hielt den Atem an und hätte Ryll am liebsten unter dem Tisch gegen das Scheinbein getreten. Die Adern auf Etrus Stirn schwollen gefährlich an, und sein Kopf verfärbte sich rot.

      „Meine Tochter kennt ihren Platz”, knurrte er. „Ich halte nichts davon, ihr Flausen in den Kopf zu setzen.”

      Dindra hatte nichts anderes erwartet. Trotzdem spürte sie einen Stich der Enttäuschung bei den entschiedenen Worten ihres Vaters. „Ein Traum”, sagte sie sich. „Nur ein Traum.”

      „Aber ...”, begann Ryll zu protestieren.

      Etru schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Silberteller hüpften und die Bestecke klirrten. „Ihr habt gehört, was ich gesagt habe, Drachenreiter Ryll Tarmanssohn von Goldfels! Ich erwarte, dass Ihr das respektiert!” Er starrte seinem Gast in die Augen, bis dieser den Kopf senkte.

      „Natürlich, Etru Etrussohn”, murmelte Ryll. Während er darum rang, seine Würde zu bewahren, wirkte er plötzlich sehr jung.

      Etru schien nicht besänftigt. „Wenn die Drachen sich im Kopf eines Mädchens eingenistet haben, kann es nicht mehr glücklich werden”, sagte er so heftig, dass Dindra ihn erschrocken anstarrte. Seine Stimme klang verbittert, und sie fragte sich, was ihn so aufbrachte. Hatte er ihr Interesse an den Drachen bemerkt, ahnte er vielleicht, dass es jenes Loch zwischen ihren Gedanken gab, das sich nur durch den Anblick der Wolkenrufer stopfen ließ?

      Sie beendeten die Mahlzeit in unbehaglichem Schweigen. Die Dämmerung hatte eingesetzt und Schatten legten sich auf die Gesichter, machten sie zu undurchdringlichen Masken. Schließlich stand Etru auf.

      „Ich muss in den Ställen nach dem Rechten sehen”, sagte er zu Ryll. „Dindra wird Euch Eure Kammer zeigen. Ich nehme an, Ihr wollt morgen früh nach Goldfels zurück. Ein Drache liegt auf meinem Hof herum, und ich kann es nicht gebrauchen, dass meine Leute auf Zehenspitzen um ihn herumschleichen müssen.”

      Ryll nickte. Dindra sah die Schatten in seinem Gesicht, aber Etru tat, als bemerkte er sie nicht und verließ das Haus.

      Ryll stand auf. „Ich werde erstmal nachschauen, was Maquon macht.”

      „Ich komme mit.”

      Sie gingen nach draußen und hinüber zur Wiese. In der Dämmerung wirkte die Silhouette des Drachen noch gewaltiger als sein Anblick bei Tageslicht schon war. Er hob den Kopf, als sie sich ihm näherten. Seine Augen leuchteten blassgelb. In seiner Nähe roch es nach Rauch, und obwohl es nicht kalt war, spürte Dindra die Wärme, die von ihm ausging.

      „Es sieht aus, als ginge es ihm gut”, sagte sie. „Er ist ganz ruhig. Denkst du, du kannst morgen zurückfliegen?”

      Ryll nickte mit zusammengepressten Lippen.

      Sie standen eine Weile schweigend vor dem Drachen. Als Dindra in Maquons Augen schaute, drängten sich plötzlich fremde Bilder zwischen ihre Gedanken. Sie sah riesige Felswände vor sich und tiefe, scheinbar bodenlose Abgründe, in denen sich Nebel und Schatten sammelten. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Ihr wurde schwindlig, denn es kam ihr vor, als schwebte sie über all dem. „Ich sehe es, wie es ein Drache sieht, der durch das Gebirge fliegt”, dachte sie erstaunt. Es war wie draußen auf der Ebene, als sie sich selbst mit Maquons Augen gesehen hatte. Aber jetzt gab es keine Dunkelheit mehr. War das, was sie sah, eine Erinnerung, die Maquon mit sich herumtrug? Warum zeigte er ihr das?, fragte sie sich.

      Rylls Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und plötzlich sah sie wieder den Drachen vor sich, der sie immer noch anschaute und leise summte.

      „Wenn die Zeit der kühlen Sonne beginnt, versammeln sich die Anwärter für die Drachenreiterausbildung in Goldfels”, sagte Ryll. Dindra merkte an seiner Stimme, wie gekränkt er durch Etrus schroffes Verhalten war.

      „Es tut mir leid”, sagte sie. „Ich hatte dich gewarnt.”

      Ryll schnaubte. „Er schreit nach Regen, aber er ist nicht bereit, seine Tochter in einer Station arbeiten zu lassen. Wenn alle Hofbesitzer so denken würden, könnten wir Goldfels bald schließen.”

      „Vielleicht hat er Angst, allein zu bleiben”, sagte Dindra leise. „Er will, dass ich einen Sohn der Höfe heirate, dem er unseren übergeben kann.” Aber war das wirklich alles? Sie dachte an die Schnitzereien in den Balken der Halle. Manche der Gesichter sahen traurig und gequält aus. Sie hatte nie darüber nachgedacht, ob sie wirklich nur aus Geschichten stammten oder womöglich aus Etrus Seele, in der vielleicht etwas hauste, das sie wundrieb. Was konnte das sein, und warum sprach er nie darüber?

      „Du musst es mir sagen, Etru”, dachte sie. „Bald.”

      Denn während sie in Maquons leuchtende Augen sah, die mit ruhiger Gewissheit in ihre schauten, wusste sie, dass sie fortgehen würde.

       Wenn die Drachen sich im Kopf eines Mädchens eingenistet haben, kann es nicht mehr glücklich werden.

      „Vielleicht ist es ihre Magie”, dachte sie. „Vielleicht hat er mich verzaubert, als er seine Stirn an meine drückte, und nun kann ich nicht mehr anders. Wenn ich nicht glücklich werde, lässt es sich nicht ändern. Wenn ich bleibe, werde ich auch nicht glücklich werden, mit den Löchern und den leeren Stellen zwischen meinen Gedanken.”

      Sie hatte es nicht wahrhaben wollen, aber der Traum hatte sich bereits mit ihrem Leben verknotet, und der Knoten ließ sich nicht mehr lösen.

      „So schnell”, dachte sie verwundert. Als ob es unausweichlich wäre. Ein Blick in die Augen eines Drachen hatte es offenbart, und sie hatte sich nicht entschieden, sondern musste einem Weg folgen, der vorgezeichnet war.

      Aber der Gedanke an den Kampf, der ihr bevorstand, ließ sie schaudern.

      2

      In den Tagen nach Rylls Abreise rang Dindra mit ihrem Entschluss und suchte vergeblich nach einer Möglichkeit, ihn Etru begreiflich zu machen. Einmal, beim Essen, hatte sie erwähnt, dass die Arbeit in Goldfels sehr