Manfred Lafrentz

Dindra Drachenreiterin


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winkte ab. „Deine Mutter war eine, und du wirst auch eine, da wird kein Drache was dagegen haben.”

      „Hast du eigentlich meine Mutter gekannt?”

      Er seufzte. “Ja, weißt du, ich hab sie gekannt, das arme Ding.”

      „Warum war sie ein armes Ding?”

      Anso kaute auf einem Stück Käse und schaute nach Osten, wo sich die Gipfel der Drachenberge noch nicht viel größer abzeichneten als bei ihrem Aufbruch. „Ich glaube, sie war nicht glücklich. Es lag nicht an ihr. Fast alle haben sie wie eine Fremde behandelt, und das war eine Schande. Sie ist auf den Drachen geritten, aber sie hat deinen Vater geliebt und ist bei ihm geblieben. Vielleicht, wenn sie länger gelebt hätte, hätten die Leute sich an sie gewöhnt.”

      Dindra bezweifelte es. Sie dachte an Alfru und an die Blicke seiner Mutter.

      „Du siehst aus wie sie, als sie damals kam, weißt du?”, fuhr Anso fort. „Na, ein bisschen jünger vielleicht, aber ich kann mich daran erinnern. Sie war ein hübsches Mädchen. Aber nur Etru hätte eine Drachenreiterin geheiratet.” Er lachte, aber es klang ein wenig unbehaglich. Dindra sah ihn fragend an.

      Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß, die Leute haben dich nie richtig akzeptiert, genau wie deine Mutter. Verdammt!” Er schüttelte den Kopf. „Sie ist mit mir von Goldfels zum Dorf gefahren, und mir ist so, als führe ich sie nun wieder zurück in ihre Welt, nachdem sie vierzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne bei uns gelebt hat. Ist irgendwie traurig und fast ein bisschen unheimlich, weißt du?”

      Dindra nickte. Sie hatte selbst den Eindruck, als reiste der Geist ihrer Mutter mit ihr, und fröstelte.

      Ich habe den Drachen deine Mutter weggenommen und nun nehmen sie dich mir weg, hatte Etru gesagt.

      Während Anso im Schatten eines Fingerblattbaumes ein kleines Mittagsschläfchen machte, dachte Dindra darüber nach, ob Kirin sich auf dem Hof wie eine Fremde gefühlt hatte und ob sie deswegen unglücklich gewesen war. Sie nahm das silberne Amulett hervor und betrachtete es versonnen. Etru und Kirin hatten sich lieb gehabt. Vielleicht hatte das alles andere aufgewogen. Sie sah plötzlich Rylls Gesicht vor sich, dachte an die Art, wie er sein helles Haar zurückstrich. Dann ärgerte sie sich über sich selbst. Sie kannte ihn kaum, und ihr Abschied war nicht gerade herzlich gewesen. Dennoch ließ die Aussicht, ihn wiederzusehen, ihre Gedanken auseinanderflattern wie Blütenblätter, die vom Wind über das Grasland geweht wurden, bis sie peinlich berührt feststellte, dass sie breit grinste, und sich eine Närrin schimpfte.

      Gegen Abend, als die Sonne in ihrem Rücken das Gras mit einem goldenen Schimmer bedeckte und die Schatten der Pferde weit voraus warf, kamen sie in die Nähe eines Dorfes. Auf einem der Höfe, dessen Besitzer Anso von seinen Fahrten nach Goldfels gut kannte, wollten sie übernachten. Erst am Abend des nächsten Tages würden sie die Drachenstation erreichen. Die Gipfel der Berge waren während des Tages gewachsen. Dindra hatte die Berge noch nie von so nahem gesehen und war jetzt schon beeindruckt von ihrer Größe.

      Anso winkte ab. „Warte ab, bis wir dort sind, Vögelchen. Du wirst den Mund vor Staunen nicht zu bekommen.”

      Kurz bevor sie das Grasland verließen und in den Weg zum Hof einbogen, entdeckte Dindra einen Drachen am Himmel. Er kam aus nordwestlicher Richtung, ein bisschen in ihrem Rücken, weshalb sie ihn vorher nicht bemerkt hatte. Er zog in großer Höhe Kreise über dem Dorf.

      „Ein einzelner”, sagte Anso. Er kratzte sich gedankenverloren den Bart. „Merkwürdig.”

      „Vielleicht ein Bote aus Goldfels, der zu dem Höfen fliegt”, sagte Dindra.

      „Möglich”, brummte Anso. „Aber wieso kreist er da? Sieht fast so aus, als suchte er was.” Er schüttelte den Kopf. „Das gefällt mir nicht. Sehen wir zu, dass wir auf den Hof kommen.” Er schlug mit den Zügeln und trieb die Pferde zu einem schnelleren Tempo an.

      Bei dem Wort suchte dachte Dindra unwillkürlich an ihren Traum der letzten Nacht. Wenn es ein Traum gewesen war. Unruhig schaute sie immer wieder zum Himmel hinauf, wo der Drache weiterhin Kreise zog. Auf dem Grasland war der Wagen deutlich sichtbar. „Als würde er im Dunkeln leuchten”, dachte sie unbehaglich. Sie war froh, dass der Weg zum Hof schließlich durch Waldinseln führte und das Laub der Bäume sie verbarg.

      Der Hofbesitzer, ein Mann namens Tidru, und seine Familie begrüßten sie freundlich. Anso und er schienen sich seit langem zu kennen. Der Karren wurde abgestellt und die Pferde strebten, nachdem sie ausgeschirrt waren, von selbst dem Stall zu, den sie offenbar gut kannten, während die Schafe in einem Pferch untergebracht wurden.

      Dindra sah sich neugierig um. Es sah nicht viel anders aus als zu Hause. Die Höfe und Dörfer der westlichen Ebene ähnelten einander ebenso wie die Kleider der Frauen, wie sie nach einer kurzen Musterung der Hoftöchter feststellte. Sie selbst trug immer noch ihren weiten blauen Rock und die Tunika mit den bunten Bändern an den Schultern. In Goldfels würde sie die graue Drachenreiterkleidung bekommen. Tedrus Töchter trugen keine bunten Bänder mehr, durften also gefreit werden. Sie waren zu dritt - die jüngste eine Zeit der heißen und kühlen Sonne älter als Dindra -, eher stämmig als hübsch, und ihre Gesichter hatten jenen erwartungsvollen Ausdruck, den sie von den heiratswilligen Mädchen ihres eigenen Dorfes kannte.

      „Wir haben vier Brüder”, erzählten sie Dindra, als sie ihr zeigten, wo sie schlafen sollte. „Wir werden über die ganze Ebene verstreut werden.”

      Die Heiratsmöglichkeiten innerhalb eines Dorfes waren begrenzt, und die Kinder vielköpfiger Familien mussten meist in anderen Dörfern nach Ehepartnern suchen. Den Hof konnte nur der älteste Sohn oder, wenn es keine Söhne gab, der Mann der ältesten Tochter übernehmen. Dindra dachte mit leisem Grausen daran, dass einer der vier Brüder - allesamt sehr beleibte junge Männer mit runden Gesichtern, die acht bis zehn Kinne unter sich verteilten -, vermutlich irgendwann bei Etru vorstellig geworden wäre.

      Aber die Leute waren herzlich, und Dindra hoffte, dass sie alle erfolgreich unter die Haube gebracht würden.

      Beim Abendessen in der Halle erzählte Anso Neuigkeiten aus den Dörfern, durch die er bei seinen Fahrten kam, und erfreute sich mehrerer Füllungen seines Bierkruges. Dindra wurde wegen Goldfels ausgefragt, obwohl sie kaum etwas darüber sagen konnte. Mit ihren kurzen Haaren kam sie sich zwischen den anderen Mädchen und Frauen fremd vor, und da sie noch nicht einmal in der Drachenstation aufgenommen worden war, schien sie nirgendwo mehr hinzugehören.

      „Wenn alle Leute in Goldfels gleich lange Haare haben”, sagte eine der Hoftöchter später neckend, als sie sich mit Dindra in die Mädchenkammer zurückgezogen hatten, „wie kann man dann die Jungen von den Mädchen unterscheiden?”

      „Wenn ihr das nicht wisst, werdet ihr nach eurer Hochzeit eine Überraschung erleben”, brummte Dindra und löste damit heftiges Gekicher aus.

      Die Töchter des Hofes erwiesen sich als leidenschaftliche Schnarcherinnen, aber das war nicht der einzige Grund, warum Dindra noch lange wach lag. Sie dachte an den Traum der letzten Nacht, von dem sie nicht wusste, ob es ein Traum gewesen war, und zögerte das Einschlafen hinaus, so lange es ging. Die Vorstellung, dem, was nach ihr in jener unheimlichen Dunkelheit suchte, hilflos ausgeliefert zu sein, ließ sie schaudern. Aber es half nichts. Sie musste der langen Fahrt unter der heißen Sonne Tribut zollen, und so sehr sie sich auch dagegen wehrte, schließlich schlief sie ein.

      Sie träumte von langhaarigen Mädchen, die mit dicken Jungen zusammen auf Drachen saßen, über sie hinwegflogen und lachend mit dem Finger auf sie zeigten; von Alfru, der ganz allein in der Halle von Etrus Hof saß und weinend Dindras Gesicht in einen Balken schnitzte; von Ryll, der in einem Karren rasend schnell über die Ebene fuhr, während der alte Anso hinter ihm her rannte und vergeblich versuchte, ihn einzuholen. Die Traumbilder wechselten einander ab in der wirren Art, die ihnen eigen ist, aber dann ertranken sie plötzlich alle in jener Dunkelheit, die Dindra fürchtete, weil sie so undurchdringlich war wie Schatten, die sich nachts in den tiefsten Ecken sammeln. Wieder spürte sie, dass etwas nach ihr tastete und suchte, und wieder merkte sie entsetzt, wie sie