Thomas Riedel

Der Fluch von Shieldaig Castle


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      »Nein! Oh, Gott, nein!«, schrie er gellend und richtete sich dabei steil im Bett auf.

      Es war Nacht um ihn. Er zitterte wie Espenlaub, tastete nach den Streichhölzern auf dem Nachtisch und atmete auf, als das Kerzenlicht aufflackerte.

      Mühsam brachte er seine Beine aus dem Bett und suchte nach einem Tuch, um sich das schweißnasse Gesicht abzuwischen. Noch nie in seinem Leben hatte er ein Schlafpulver eingenommen, aber jetzt tat er es. Er wollte den grausamen Träumen entfliehen. Er musste es einfach, weil er fühlte, dass er die Ruhe nötig hatte.

      Kraftlos ließ er sich auf die Kissen zurückfallen. Schon bald hielt ihn Morpheus in seinen Armen, ruhig und fest.

      Als George am nächsten Morgen erwachte, strahlte die Sonne bereits vom Himmel herab. Es war ein zauberhafter Junitag. Die Vögel zwitscherten fröhlich, und der Gärtner hatte bereits mit seiner Arbeit begonnen.

      Alles schien seinen gewohnten Gang zu gehen und eigentlich deutete nichts mehr darauf hin, dass ›Shieldaig Castle‹ nun ohne Herrin war. Nur die schwarze Fahne auf dem Turm zeigte an, dass die Sanduhr eines Menschenlebens abgelaufen war.

      Der Tag begann – und damit seine Pflichten – die eines alten Dieners.

      ***

      Kapitel 2

      »Liebst du ihn nun … oder liebst du ihn nicht?«, fragte Ella McKnee ihre Schwester ganz aufgeregt. »Nun sag schon, Morgan.«

      Ella hatte helles, fast weißblondes Haar. Sie war gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Das Leben schien so überaus einfach für sie zu sein, dass sie jedem neuen Morgen entgegenträllerte.

      Ihre Schwester dagegen war ganz anders. Morgan hatte langes, dunkles Haar. Auch ihre Augen waren von einem dunklen Braun. Ihr Gesicht war sehr schmal geschnitten, ihre ganze Figur war im Gegensatz zu Ella, die eher rund und etwas mollig war, recht zierlich.

      »Natürlich liebe ich ihn. Du weißt es doch«, erwiderte sie lachend. »Wir haben es ja schon unzählige Male darüber gesprochen.«

      »Trotzdem scheinst du dir nicht sicher zu sein«, gab Ella zurück.

      »Nicht sicher? Zweifelst du an meinen Gefühlen für Ryan O’Connor?«

      Ella blickte ihre Schwester entwaffnend an.

      »Ich glaube es dir ja, wenn du es sagst … aber ich frage mich, warum du dann nichts unternimmst?«

      »Was soll ich denn tun? Soll ich ihm etwa um den Hals fallen? Du weißt genau, dass es sich für ein Mädchen nicht schickt. Ich möchte nicht, dass er schlecht über mich denkt.«

      Morgan McKnee war nur ein Jahr älter als ihre Schwester. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

      »Wenn ich so hübsch wäre wie du …«, antwortete Ella mit einem frechen Grinsen, »ich würde es genau wissen.«

      »Ach, Ella, rede doch keinen Unsinn. Ich kann nicht einfach auf Ryan zugehen und ihm sagen: ›Ich liebe dich, nun nimm mich endlich in deine Arme und küsse mich‹.«

      »Wie lange kennt ihr euch eigentlich?«

      »Na, … ich kenne ihn jetzt …«

      »Nein, nein! Du weißt ganz genau, was ich meine«, unterbrach Ella ihre Schwester. »Ich meine eure abendlichen Spaziergänge. Wie lange macht ihr die schon?«

      »Ungefähr sechs Monate.«

      »Meine Güte«, entfuhr es Ella erstaunt. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie Morgan durchdringend an. »Und in all der Zeit hat er tatsächlich den Anstand gewahrt und es nicht gewagt dich zu küssen?«

      »Nein«, gestand Morgan kleinlaut. »Ryan ist ein wahrer Gentleman.«

      »Und du tust nichts dazu? Gar nichts?«

      »Wir sind wieder einmal am Anfang des Gesprächs, Ella. Wir drehen uns im Kreis«, mahnte Morgan. »Du weißt es doch selbst, dass es mir der Anstand verbietet den ersten Schritt zu machen.«

      »Lächelst du ihm denn nicht manchmal aufmunternd zu?« Ella ließ nicht locker.

      »Ich bin so befangen, wenn er nur meine Hand ergreift«, entgegnete und senkte den Blick.

      »Aber warum denn?«

      »Ich weiß es nicht«, seufzte Morgan und ließ die Schultern sinken. »Ich weiß überhaupt nichts.«

      »Soll ich mal ein bisschen Cupido spielen? So per Zufall?«, bot sich Ella an. Ihre kleinen Grübchen in den Wangen wirkten fröhlich, und ihre dunklen Augen funkelten unternehmungslustig.

      »Untersteh dich«, winkte Morgan lachend ab. »Ich glaube, dann würde er mir niemals seine Liebe gestehen.«

      »Wie du meinst«, zog sich Ella zurück. »Was du überhaupt an einem so schüchternen Mann findest, verstehe ich nicht … außerdem ist er Schulmeister.«

      »Oh, bitte, Ella«, bat Morgan leise, »nenne ihn nicht Schulmeister. Er ist Lehrer … zugegeben, aber er ist dennoch der beste Mann der Welt. Ich liebe ihn ja gerade, weil er nicht so aufdringlich ist wie all die anderen Gentleman.«

      »Dann wirst du dich eben mit seiner Schüchternheit abfinden und abwarten müssen, bis er endlich …«

      »Ella«, unterbrach Morgan ihre Schwester, »bitte, rede nicht so, … sonst schütte ich auch dir nie wieder mein Herz aus. Ich liebe ihn eben.«

      »Das sagtest du schon, Schwesterherz, aber es dreht sich in mir alles im Leib um, wenn ich dich so leiden sehe.«

      »Leiden ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Ich kann nur nicht einsehen, warum er kein Wort der Zuneigung zu mir sagt.«

      »Das Essen ist fertig, Kinder! … Kommt bitte herüber«, wurden die beiden jungen Frauen unterbrochen.

      Ella und Morgan erhoben sich. Liebevoll blickten sie sich einen Augenblick lang an, dann hakten sich unter und verließen den Raum.

      Elizabeth McKnee erwartete sie bereits. Der Tisch war geschmackvoll gedeckt und auch an ein paar Blumen in einer stilvollen Vase fehlte es nicht.

      Elizabeth McKnee war eine sanfte Frau, die mit ihren fünfundvierzig Jahren mitten im Leben stand. Sie hatte – wie es jeder in der Gegend wusste – vor einem Dreivierteljahr ihren Mann verloren und bezog eine ausreichende Rente von der ›Equitable Life Assurance‹. Im Gegensatz zu vielen anderen Witwen ihres Alters, brauchte sie deshalb keiner Tätigkeit mehr nachzugehen, was ihr immer wieder geneidet wurde.

      Auch Ella und Morgan brauchten nicht zu arbeiten. Ihr Vater hatte es ihnen ermöglicht ein gutes Mädchenpensionat zu besuchen. Nun aber waren sie wieder zurück im elterlichen Haus und gingen ihrer Mutter in der Küche zur Hand, weil diese der Meinung war, dass Mädchen die Kunst des Kochens beherrschen müssen.

      ›Die Liebe eines Mannes geht eben immer durch den Magen‹, pflegte sie laufend zu sagen. Dabei lachte sie dann spitzbübisch, worauf Morgan in der Regel erwiderte: ›Aber Mutter, du weißt doch, was die Franzosen sagen: Wo die Liebe den Tisch deckt, schmeckt das Essen am Besten.‹

      Sie setzten sich und nahmen gemeinsam Mahlzeit ein.

      »Und was habt ihr beide heute noch vor?«, fragte ihre Mutter neugierig, als Ella die Teller zusammenstellte. »Wie gedenkt ihr beide den Abend zu verbringen?«

      Ella verdrehte die Augen und lachte.

      »Na, du weißt schon, Mom. Morgan wird mal wieder mit Ryan durch den Park flanieren und auf einen Kuss hoffen … Ich werde etwas Croquet spielen gehen.«

      Morgan war bei den Worten ihrer Schwester rot angelaufen

      »Aber Ella, du sollst Morgan nicht immer brüskieren. Ich will das nicht!«, schalt ihre Mutter. »Du weißt, sie ist so viel sensibler als du. Bitte, … lass diese Art der Scherze. Du tust deiner Schwester damit weh.«

      »Wie kannst du nur zwei so unterschiedliche