Thomas Riedel

Der Fluch von Shieldaig Castle


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einer behinderten Frau in einem Haus zu wohnen?«

      »Wenn es sich um deine Mutter handelt, natürlich nicht. Wie … kam es zu dieser Behinderung?«

      »Wir wurden alle durch einen Hausbrand verschüttet. Meinen Vater hat man auch noch zu retten versucht. Aber niemand schaffte es, bis zu ihm vorzudringen. Es war einfach unmöglich. Ein Deckenbalken hatte ihn … Es brannte immer noch lichterloh …« Er stockte und setzte neu an. »… und meine Mutter … ihre Hände …«

      »Du musst es nicht aussprechen. Ich verstehe auch so«, unterbrach sie ihn leise, zog seinen Kopf zu sich herab und küsste ihn heiß auf den Mund. Sie war es, die in diesem Moment Liebe und Zärtlichkeit verströmte, bis Ryan sich wieder gefangen hatte und sie fest in die Arme nahm.

      »Willst du sie wirklich kennenlernen, Morgan?«

      »Ja.«

      »Noch heute?«

      »Warum nicht? Ja.«

      »Dann komm.«

      *

      Ryan O’Connor war aufgesprungen. Er zog sie noch einmal kraftvoll in seine Arme und noch einmal bedeckte er ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss. Dann hakte er ihren Arm ein und schweigend gingen sie in die anbrechende Nacht.

      Vor einem kleinen Haus blieben sie stehen. Morgan wusste, dass Ryan hier seine Wohnung hatte, aber sie hatte das Haus noch nie betreten und war ganz überrascht, als sie in die Diele kam. Die vornehme Eleganz der Einrichtung, die sie vorfand, hatte sie nicht erwartet.

      Ryan hatte sie nicht aus den Augen gelassen.

      »Meine Mutter beerbte ihren Bruder. Er war im In- und Export-Geschäft und sehr vermögend«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage.

      Sie nickte verstehend.

      Als sie vor Ryans Mutter stand, zitterte sie ein wenig und ihr Herz schlug stürmisch, denn zwei eisgraue Augen sahen sie abwehrend und kalt an.

      »Das Morgan McKnee«, sagte er und strahlte dabei eine seltsame Ruhe aus. »Sie wird meine Frau werden, Mutter.«

      Morgen konnte deutlich das Erschrecken auf ihrem Antlitz sehen. Ihr Gesicht wurde blass, und die schweren Augenlider schlossen sich für einen Augenblick. Dann aber zeigte sie ein frostiges Lächeln.

      »Seien Sie willkommen, liebes Kind. Leider kann ich Ihnen nicht die Hand reichen. Ryan wird Ihnen von meinem Umglück berichtet haben?«

      »Ja.«

      Unwillkürlich musste Morgan auf die Hände blicken, die Ryans Mutter in ein Umschlagtuch gewickelt hatte.

      Die Dorfschwester, eine ältere, dickliche Frau, ging leise hinaus. Sie fühlte, dass sie jetzt nicht gebraucht wurde und fehl am Platz war.

      Für Morgan verging die nächste Stunde wie im Flug. Rachel O’Connor konnte angeregt erzählen. Sie machte sogar einen kleinen Scherz – und doch fühlte sich Morgan unter den eisgrauen Augen der Frau recht unbehaglich.

      Sie atmete auf, als sie sich verabschieden konnte. Zärtlich schmiegte sie sich in Ryans Arm.

      »Wie findest du sie?«, fragte er leise.

      »Ich bewundere sie. Sie trägt ihr Unglück mit Würde.«

      »Würdest du mit ihr leben können?«

      »Ich kann alles, wenn ich nur mit dir zusammensein kann. Ich liebe dich, und ich werde auch zu deiner Mutter eine gute Beziehung aufbauen.«

      »Auch, wenn sie zuerst etwas schroff zu dir sein sollte?«

      »Auch dann.«

      »Ich … ich kann es noch gar nicht fassen, Morgan.«

      »Schau mich an, Ryan«, forderte sie ihn auf. »Gib mir einen Kuss, dann ist doch alles gut.«

      Sie blickten sich in die Augen, lächelten sich an und küssten sich erneut.

      »Du glaubst gar nicht, wie glücklich du mich machst.«

      »Du mich auch, Ryan.«

      Als sie sich trennten, streichelte er sanft über ihre Wange.

      »Du bist ein Engel«, raunte er.

      »Hast du schon einmal einen Engel mit schwarzem Haar gesehen?«, lachte sie glücklich. »Die werden doch immer nur mit blondem Haar gemalt.«

      »Dann ist das ein Irrtum der Maler«, grinste er frech. »Wäre ich ein Künstler, ich würde tausend Bilder malen, und alle Engel würden schwarzes Haar haben und hätten dein Gesicht.«

      »Ach, Ryan«, seufzte sie glücklich.

      Noch einmal fielen sie sich in die Arme, dann raffte Morgan ein wenig Kleid und lief glücklich ins Haus.

      *

      Ryan O’Connor steckte seine Hände in die Taschen und ging frohgemut heim.

      Meine große Liebe wird Erfüllung finden, ging es ihm durch den Kopf. Morgan wird meine Frau werden. Wie oft habe ich davon geträumt.

      Als er zu seiner Mutter in den Salon trat, sah diese ihn mit vorwurfsvollen Blicken an.

      »Woher kennst du sie?«, fragte sie knapp.

      »Ich weiß es nicht … Irgendwann lernte ich sie kennen, gleich, nachdem ich hier meine Stellung angetreten hatte. Seit einem halben Jahr machen wir täglich einen Spaziergang. Ich liebe sie, Mutter.«

      »Sie ist viel zu jung für dich.«

      »Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt.«

      »Du bist dreiunddreißig.«

      »Na und?«, erwiderte er lächelnd. »Weißt du eigentlich, wie seltsam mich meine Kollegen bereits ansehen? Dreiunddreißig und immer noch nicht verheiratet. Du weißt genau, dass ich damit gesellschaftlich ein Außenseiter bin. Laufend wird darüber getuschelt, was mit mir wohl nicht stimmt … Und meinem beruflichen Ausstieg steht es auch im Weg.«

      »Es liegen zu viele Jahre zwischen euch«, beharrte sie, ohne auf seinen Einwand einzugehen.

      Ryan ging auf seine Mutter zu und legte ihr sanft seine Hand auf die Schulter.

      »Mutter … Sie wird zu uns ziehen. Wir werden eine große, ganz normale Familie sein. Sie wird dich schätzen lernen und du wirst sie auch mögen.«

      »Sie wird mich niemals mögen«, erwiderte sie starrköpfig. »Ganz im Gegenteil: sie wird mich ganz schnell aus dem Haus haben wollen.«

      »Aber was redest du denn da, Mutter?«

      »Glaub mir, ich kenne das Leben. Sie sieht so sanft aus, aber das sind die schlimmsten Frauen, mein Sohn, die mit den sanften braunen Augen. Sie wird dich zu sich ziehen. Sie wird dafür sorgen, dass wir uns nicht mehr verstehen. Sie wird …«

      »Hör auf damit, Mutter!«

      »Du kannst mir das Reden nicht verbieten!«

      Ryan trat zum Fenster. Genau dieses Verhalten hatte er befürchtet. Er wollte und konnte nicht aufbrausen, denn sie war behindert, und er bedauerte sie … aber er liebte sie auch. Wie sollte, konnte er ihr klar machen, dass sich zwischen ihnen nichts ändern würde?

      »Sie ist zu jung für dich«, beharrte seine Mutter noch einmal.

      Ryan drehte sich zu ihr um und blickte ihr lange in die Augen.

      »Mutter, … ich liebe Morgan. Ich werde sie heiraten. Es wird alles gut gehen, wenn du nur bereit bist ein klein wenig auf sie einzugehen. Wenn du nett zu ihr bist, wird sie dich mögen. Ich weiß es. Wenn du sie aber quälst, Mutter, mit deiner grundlosen Eifersucht, … dann werde ich, so leid es mir auch tut, fortgehen.«

      »Siehst du, wie sie dich schon vergiftet hat?«

      »Nein, Mutter! Es wäre nicht einmal in ihrem Sinn, was ich dir jetzt sage … aber ich denke, es muss einmal ausgesprochen