Thomas Riedel

Der Fluch von Shieldaig Castle


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Morgans Hand.

      »Liebst du ihn sehr?«, fragte sie leise.

      »Ja, Mom.«

      »Dann lauf zu ihm, mein Kind … und warte auf das Glück. Warten ist die schwerste Beschäftigung für ein junges Mädchen, aber ich bin sicher, es wird sich für dich lohnen. Ryan O’Connor ist ein guter Mann.«

      »Meinst du wirklich, Mom?«

      »Ja, mein Herz«, lächelte sie. »Ihr beide gebt ein wunderbares Paar ab.«

      Freudig gab Morgan ihrer Mutter einen Kuss, dann eilte sie hinaus. Ein rascher Blick in den Spiegel sagte ihr, dass alles tadellos in Ordnung war. Die Rüschen am Saum ihres Kleides wippten fröhlich, als sie mit pochendem Herz aus dem Haus lief.

      *

      Sie sah Ryan O’Connor schon an der Gaslaterne stehen, wo er sie immer erwartete.

      »Da bist du ja«, begrüßte er sie zärtlich.

      Morgan errötete schamhaft, antwortete aber nichts. Lächelnd hakte sie sich an seinem Arm ein, wie sie es schon an so vielen Abenden getan hatte, und schweigend machten sie sich wie auf ein unausgesprochenes Kommando den Weg zum Park.

      Es war eine große Grünanlage, in der viele alte Bäume standen. Inmitten des Stadtgartens gab es einen kleinen See, den Morgan ganz besonders, insbesondere der Enten wegen, liebte. Zumeist nahmen sie auf einer Bank an dessen Ufer Platz und betrachteten das Wasser und die Vögel. Auch an diesem Abend war es nicht anders.

      Mit wildem, aufgeregtem Geschnatter kam ein Erpel näher, kaum, dass Ryan die erste Brotkrume geworfen hatte. Ihm folgten zahlreiche weitere Enten. Die Tiere waren so zutraulich, dass sie bis dicht zu ihnen an die Bank herankamen.

      Morgan und Ryan schwiegen, bis auch das letzte Stückchen Brot verfüttert war. Dann, als die Entenschar durcheinander schnatternd zurück ins Wasser watschelte, ergriff Ryan ihre Hand.

      »Morgan«, sagte er sanft, »lange, sehr lange habe ich überlegt, warum du eigentlich an jedem Abend mit mir hierherkommst.«

      »Bist du draufgekommen?«, fragte sie leise, mit zum Boden gesenkten Blick.

      »Morgan, … liebst … du … mich?«

      »Ja, Ryan«, hauchte sie, hob den Kopf und wandte sich ihm zu.

      Sie blickten sich zärtlich an – und plötzlich war alles so einfach. Sie verstand ihre Angst und die Ungeduld der letzten Wochen nicht mehr. Sie brauchte nur in die blauen Augen des Mannes zu sehen, der neben ihr saß – und alles war gut.

      »Ich liebe dich, Morgan.«

      »Ich weiß, Ryan.«

      »Woher weißt du es?«

      »An deinen Blicken konnte ich es ablesen, dazu jede Handbewegung und jede kleine Geste. All das hat es mir verraten.«

      Er ergriff ihre Hand und fuhr sanft mit den Fingerspitzen die feinen Linien der Fläche nach. Dann führte er sie an seine Lippen und hauchte einen zarten Kuss darauf.

      Die sanfte Berührung ließ Morgan erbeben. Ihr wurde ganz sonderbar zumute und ihr Herz hämmerte gegen die Rippen. Dann zog er sie zu sich heran, nahm sie in seine Arme, und der Kuss war genauso, wie sie ihn sich erträumt hatte – sanft und besitzergreifend zugleich.

      Sie hätte später nicht zu sagen gewusst, wie lange sie nun so dasaßen, sich küssten und streichelten. Sie fuhren erst auf, als sich Schritte des Weges näherten. Aber es war ebenfalls ein Liebespaar – als es Morgan und Ryan bemerkte, entfernte es sich schnell wieder.

      Ryan hatte sich eine Zigarette angesteckt und einen Arm um ihre Schultern gelegt.

      »Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen, Morgan«, gestand er ihr. »Ich liebe dich schon sehr lange.«

      »Warum hast du es nicht getan, Liebster?«

      »Weil …«

      »Ja?« Gespannt sah sie ihm in die Augen.

      »Weißt du eigentlich, dass ich noch bei meiner Mutter lebe, und dass sie an den Händen gelähmt ist?«

      »Das wusste ich nicht, Ryan. Ich glaubte …«

      »Meine Mutter verlässt deswegen nicht mehr das Haus, schon seit über fünf Jahren.«

      »Seit über fünf Jahren? Aber sehr viel länger wohnst du doch noch gar nicht in ›Shieldaig‹

      »Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen, Morgan … seit wir hier wohnen. Meine Mutter ist auf Hilfe angewiesen. Ich kann sie nicht verlassen.«

      »Ryan«, unterbrach Morgan schnell. »Ich werde deine Mutter bestimmt mögen. Ich liebe dich, und sie hat dir das Leben geschenkt. Wenn sie nicht wäre, würde es dich nicht geben, und du bist der Inhalt meines Lebens.«

      »So siehst du es?« Er sah sie erstaunt an.

      »Ja.«

      »Und ich hatte die Befürchtung, nein, vielmehr Angst, dass … Nun, deswegen hatte ich mich getraut …«

      »Weiß sie, dass du mich liebst?«

      »Nein.«

      »Nein?«

      »Sie ist beinahe krankhaft eifersüchtig, Morgan. Wahrscheinlich fürchtet sie den Tag, an dem ich sie verlassen könnte. So oft ich ihr auch gesagt habe, dass das nicht passieren wird, … sie glaubt es mir wohl trotzdem nicht. Sie fürchtet die Frau, der ich meine Liebe schenken könnte.«

      »Aber sie braucht mich doch nicht zu fürchten«, begehrte sie lächelnd auf.

      »Nein. Ich weiß das. Du bist sanft und wunderbar.«

      Wieder gaben sie sich einen Kuss, und für ein paar Augenblicke vergaßen sie die dunkle Wolke, die über ihrer Liebe schwebte.

      »Willst du mich heiraten, Morgan«, fragte er sie unvermittelt.

      »Ja, Ryan, … ja«, hauchte sie.

      »Wirst du auch zu meiner Mutter gut sein können? Sie ist manchmal recht launisch … Aber sie hat eine Pflegerin, die regelmäßig zu ihr kommt, du wirst dich nicht mit ihr zu unterhalten brauchen, wenn du es nicht magst.«

      »Du machst dir ganz unnötige Gedanken, Ryan. Ich werde natürlich so viel wie möglich mit ihr reden, wenn du fort bist, und dann können wir alle drei ein wunderbares Leben haben, nicht wahr?«

      Ryan versank in brütendes Schweigen.

      »Was hast du?«, forschte sie.

      »Manchmal glaube ich, … meine Mutter will nicht, dass ich heirate. Schon einmal, ehe wir hierherzogen, hat sie ein Mädchen fortgejagt. Damals, … es liegt viele Jahre zurück, … damals hatte ich mich verliebt. Ich stellte sie meiner Mutter vor, aber sie brachte es binnen einer Stunde fertig, dass sie weinend aus dem Haus lief.«

      »Aber was sollte sie gegen eine Ehe haben? Ich verstehe das nicht.«

      »Sie fürchtet die Einsamkeit«, erklärte er. »Ich kann sie ja auch verstehen, aber ich will doch auch mein eigenes Leben haben. Ich liebe sie, … aber ich liebe dich ebenfalls. Ja, ich liebe dich sogar mehr, wenn man die Liebe zwischen einer Frau und einer Mutter überhaupt bemessen kann.«

      Morgan legte ihren Kopf an seine Schulter und genoss das zärtliche Streicheln seiner Hände.

      »Mich wird sie ganz bestimmt nicht fortjagen können«, flüsterte sie, »denn ich liebe wirklich.«

      »Ich muss mir das alles von der Seele reden, Morgan«, erklärte er. »Ich habe nachts Angstvorstellungen, sie könnte dich quälen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Habe ich überhaupt ein Recht, eine Frau an mich zu binden? Muss ich nicht viel mehr auf das Unglück meiner Mutter Rücksicht nehmen und für sie dasein?«

      »Nein, das musst du nicht«, antwortete sie entschieden, ergriff seine Hand und drückte viele kleine Küsse darauf. »Bitte quäle