Ed Belser

Die Erbinnen


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Gerne pflegte er zu erzählen, wie er als kleiner Junge geholfen hatte, William in das Amt des Clan Pipers zu bringen. Doch wenn Seumas und Mary dabei waren, hielt er sich zurück. Er hatte lernen müssen, dass den beiden die Erinnerung an ihren Vater und Ehemann immer noch Trauer auslöste.

      Roderick war für ihn zum bewunderten Freund geworden und die zehn Jahre Altersunterschied spielten gar keine Rolle mehr.

      Es war Roderick gewesen, der ihn darauf angesprochen hatte. „Ich habe den Eindruck, Du fühlst Dich nicht wohl in deiner Haut. Das kann nicht nur an der roten Jacke liegen.“

      John zögerte keinen Moment mit seiner Antwort. „Dein Eindruck täuscht Dich wie immer nicht, lieber Rod. Ich hasse es zutiefst, in diese Rolle hineingeraten zu sein. Ich fühle mich erniedrigt, mich selbst, unser Instrument und unsere Musik den Engländern zu unterwerfen, rote Jacke hin oder her.“ Seine Stimme wurde lauter. „Die betrachten uns sowieso wie Leibeigene, wie Sklaven, unsere Tradition kümmert sie einen Scheißdreck.“

      Roderick nickte leicht und schaute ihm aufmerksam in die Augen. Er gab keine Antwort.

      Johns Stimme wirkte gepresst. „Du und William waren Clan Piper wie mein Vater. Endlich wurde ich dann alt genug diese Rolle zu übernehmen. Und William hatte den Auftrag, die Pipes and Drums aufzubauen. Wir alle haben geholfen, etwas Einzigartiges zu gestalten, was es sonst nirgends in Schottland gibt. William ist tot. Unser Clan Chief Alan MacLennoch, der Vater von Maggie, ist tot. Und seine Witwe, Charlotte, interessiert sich nur für ihr eigenes Wohlbefinden und ihre beiden missratenen Töchter.“ Mit leiserer Stimme fuhr er fort: „Wir sind führungslos, wir sind ausgeliefert. Unsere Ahnen würden sich schämen für uns.“ Er legte die Hände vor sein Gesicht. „Was sollen wir tun, Rod? Was sollen wir nur tun?“

      Roderick legte ihm die Hand auf die Schulter. Es dauerte eine Weile, bis er tief ausatmete. „Es fällt mir schwer, John, es zu sagen. Wir haben den Kampf verloren. Wir hätten siegen können, wenn alle Clans zusammengehalten hätten, wenn wir selbst die Führung übernommen hätten. Und sie nicht gutgläubig diesem verwöhnten Exil-Prinzen überlassen hätten, der nur auf die britische Krone erpicht war. Wenn, wenn …, es ist vorbei, John, ich weiß nicht einmal, was ich für mich selbst will.“

      John schloss die Augen und hob und senkte seinen Kopf, wieder und wieder. Plötzlich hielt er inne und packte Roderick am Arm. „Eines weiß ich sicher. Ich will nicht mehr Pipe Major sein. Ich gehe zurück zu meinem Vater. Er ist auch nicht mehr der Jüngste. Ich kann noch viel von ihm lernen. Er kennt unsere klassische Musik wie kein zweiter. Ich will die Musik unserer Vorfahren weiterspielen. Vielleicht kann ich helfen, sie in die Zukunft zu retten. Wenigstens das.“ Er holte tief Luft. „Ich werde mit James sprechen müssen. Ich kann ihm einen Nachfolger vorschlagen. Ich nehme nicht an, dass Du daran interessiert bist.“

      „Sicher nicht“, warf Roderick dazwischen und lächelte leicht, als John ergänzte: „Hätte mich auch erstaunt. Was willst Du machen?“

      „Ich habe auch genug. Mal sehen, wie ich loskomme. Vielleicht hat Cremor eine Aufgabe für mich. Außerdem …“ Er hielt inne.

      „Außerdem – was?“

      „Da ist …“

      „Da ist was?“

      „Fiona!“

      „Wer ist Fiona?“

      „Sie war eine der Anführerinnen der Frauen von Dunlochy. Ihr Mann starb bei Culloden. Maggie kennt sie und bewunderte ihren Mut.“

      John lächelte. „Ah ja, ich kenne sie auch. Hat sie nicht zwei Kinder, die bei Margaret in der Schule waren?“

      Roderick schmunzelte. Er war leicht errötet. „Ein Knabe und ein Mädchen. So rasch ist noch kaum je einer Vater geworden. Also wenn alles klappt.“

      Das Rütteln und Schütteln der Kutsche, endlos, laut und ohne Rhythmus, zerrte an den Nerven, und war fast nicht mehr zum Aushalten. Cremor schrie zum Kutscher hin und verlangte einen Halt. Er half Margaret ins Freie.

      Finn kam herbei geritten. „Was ist los?“

      „Wir hielten es in der Kutsche kaum mehr aus. Ich brauche etwas Erholung.“ Margaret lächelte ihn an. „Wir sind in einer halben Stunde wieder da.“

      Sie ergriff Cremors Arm und zog ihn von der Straße weg zu den naheliegenden Büschen, die ein schmales Flüsschen vermuten ließen. Sie bückten sich unter den Ästen hindurch und stakten über die Schlingen der Brombeersträucher. Vor ihnen lag eine kleine Sandbank. Dahinter schlängelte sich das Wasser zwischen Steinen und überhängenden Gebüschen.

      Margaret zog ihre Stiefel aus und wühlte mit den nackten Füssen im feuchten Sand. „Das tut gut! Hörst Du die Stimmen der Vögel und das Summen der Insekten? Ich war beinahe taub.“

      Cremor kniete am Wasser und wusch sich das Gesicht. Als er zu ihr zurückschaute, war sein Blick ernst.

      „Was hast Du?“, fragte sie mit erhobenen Brauen.

      „Jetzt, wo Du es erwähnst, höre ich es auch wieder.“

      „Ja, mein Liebster, mach Deine Seele frei.“

      „Meine Gedanken schwirren im Kopf.“ Er schlug nach einer Mücke.

      Margaret trocknete schweigend ihre Füße und stülpte ihre Stiefel über.

      “Was bedrückt Dich?“

      „Alles, Margaret. Das heißt mit einer Ausnahme. Die bist Du.“ Er ging zu ihr hin und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. „Meine Vergangenheit holt mich ein.“

      Sie streichelte ihm sanft über die Haare. „Sprich schon, mein Liebster.“ Befriedigt nahm sie zur Kenntnis, dass er lächelte und wieder die gewohnte Sicherheit ausstrahlte.

      „Erinnerst Du Dich an jenen Abend in der weißen Villa, an dem Du mir das Schachspiel erklärt hattest?“

      Sie nickte lächelnd. „Du hast es begriffen, oder?“

      „Ja, ich glaube schon. Du bist so oder so die Königin. Aber die Springer und Läufer auf der Gegenseite machen mir Sorgen. Und unsere Türme sind gesprengt und unsere Bauern sind weg.“ Er zeichnete mit dem Finger ein Schachbrett in den Sand. Dann legte er einen Stein auf den Platz des gegnerischen Königs. „Die Engländer stehen sicher. Ihre Türme auf Fort Augustus sind uneinnehmbar.“

      „Aber wir haben doch Schloss Summerset!“

      „Ja, auf dem Papier gehört es mir. Doch Lady Charlotte hat einen großen Anteil. Ich kann sie nicht auskaufen. Sie ist unberechenbar. Sie würde alles tun, um wieder in den Besitz des Schlosses zu kommen. Wenn sie sich mit den Engländern verbündet, beginnt alles wieder von vorne. Sie werden meine Rechte niederwalzen.“

      Margarets Stimme tönte unsicher. „So wichtig ist dieses Schloss doch auch nicht für uns, oder? Wir haben uns und Du hast die Brennerei. Verkauf ihr doch das Ganze.“

      „Sie hat kein Geld mehr übrig.“

      „Dann schenk es ihr doch!“ entfuhr es Margaret heftig.

      Cremor schwieg. Sie sah, wie sein Gesicht plötzlich bleich wurde. Gedankenverloren murmelte er: „Das ist doch nicht Dein Ernst. Sie wird die Bauern opfern. Um sie müssen wir uns kümmern.“ Plötzlich rötete sich sein Gesicht, die Narbe auf seiner Stirn pulsierte. Abrupt erhob er sich.

      Sie schaute ihn erschrocken an, als sie seine hastig herausgestoßenen Worte hörte. „Ich Idiot! Ich dämlicher Idiot. Schachspiele, dass ich nicht lache. Den nächsten Zug des Gegners erahnen. Warum dämmert es mir erst jetzt?“

      Er zog sie hoch. „Was, wenn Middlehurst uns voraus ist? Wir müssen sofort zurück. Ich muss zur Brennerei!“ Heftig atmend zog er Margaret an sich. „Ich muss sofort zur Brennerei! Middlehurst hat an der Auktion alles verloren, aber ich habe ihm den wichtigsten Zug vorbereitet. Er hat gelernt, dass das Lager mit den Fässern wichtiger ist als die Brennerei. Ich selbst habe es ihm triumphierend unter die Nase gerieben.“ Er zog Margaret mit sich. „Er wird die Brennerei