Ed Belser

Die Erbinnen


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Arme, Diener, Herren und auch lose Damen, Spieler, Heilsversprecher und Gesundbeter. Man lebte den Tag, entweder man konnte ihn loben oder hoffte auf den nächsten. Keiner trug Verantwortung für den anderen, nicht wie in einem Dorf, das für ewig angelegt war, hier war ein Kommen und Gehen, jeder nahm seine Gelegenheiten nach seinen Fähigkeiten und seinem Glück war. Dann waren da noch diejenigen, die von den ersteren lebten. Zuoberst die Besitzer der Taverne, der Herberge, der Ställe, der Weiden. Dann der Schmied, auf gleicher Stufe wie der Metzger und der Bäcker, alle stets auf der Hut, weil sie kein Land besaßen. Zuunterst die Arbeiter, Knechte und Diener. Auswechselbar, ausgebeutet, kämpfend um ihr täglich Brot. Auch der Totengräber musste stets um seinen kargen Lohn bangen, denn die meisten kamen nicht zum Sterben hierher, und es war der Landeigner, der ihn nach Abzug seiner eigenen Spesen aus dem verwertbaren Nachlass des Toten entschädigte.

      Middlehurst war nicht zum ersten Mal auf solch einer Station, er wusste wie sie funktionierten, diese hier kannte er besonders gut von mehreren Besuchen. Und er wusste, dass er, was er suchte, nicht zuunterst suchen musste, den dort waren nur die Ärmsten, die Bettler und die Dümmsten, wie er meinte. Gegen oben war er offen, Deserteure, Wegelagerer würden gut genug sein, Hasardeure waren willkommen. Er hatte Simon Buckle mit Bedacht auserkoren, um jene, die er auswählen würde, zu führen. Er, Middlehurst, würde nachher im Hintergrund bleiben. Er wusste, dass sich in der Kneipe die gesuchten Talente offenbaren würden.

      Er trat ins Halbdunkel des großen Raumes, gefolgt von Buckle, und musste seinen Kopf einziehen, um mit seinem Hut nicht an die niedrige Decke zu stoßen, die mit mehreren Holzbalken abgestützt war. An ihnen hingen flackernde Öllampen. Die Luft war stickig, ein Gemisch von Schweiß und Rauch aus dem Ofenfeuer der offenen Küche, wo riesige Eintöpfe dampften. Middlehurst drängte sich durch die Menge, die ein lautes Sprachgewirr lieferte. Er erkannte Brocken von Deutsch und Holländisch. Dicht an dicht standen Männer an der Theke und forderten Nachschub für ihre Becher. Aus der Küche wurden gefüllte Teller herausgereicht und von den hin und her eilenden Kellnern zu den Tischen getragen. Sie kassierten sofort, maulten über schlechte Trinkgelder und holten die nächsten Mahlzeiten.

      „Machen Sie einen Tisch frei, Buckle. Dort, in der Ecke.“ Er schaute zu, wie Buckle hinging und sich vor den dort sitzenden Männern aufpflanzte. Er sah, wie diese zornig auffuhren, als Buckle sein Begehren nannte, doch seine Körpermasse und die rote Uniformjacke ließen keinen Widerspruch zu. Sie schnappten sich ihre Krüge und räumten das Feld. Buckle kippte den Tisch kurz, um die Essensreste loszuwerden, rückte zwei Stühle zurecht und wartete bis Middlehurst hinzugekommen war und sich gesetzt hatte.

      „Gut gemacht, Buckle, holen Sie uns Wein und etwas zu essen!“ Der Oberst schaute um sich und musterte Gesichter und Gestalten. Um ihn herum flossen Rum und wasserklarer Whisky in gierige Kehlen. Er schaute auf Kleidung und Verhalten, schloss jene aus, die einzeln oder in kleinen Gruppen da waren, auch jene, die ihm zu gut gekleidet erschienen.

      Buckle brachte einen Krug Wein und zwei Becher. „Essen kommt gleich.“

      „Sehen Sie den langhaarigen Kerl dort, den Rücken zur Theke?“

      Buckle sah sofort, wen er meinte. Er war ihm schon vorher aufgefallen, nicht nur wegen der Lautstärke seiner Stimme, sondern weil sein Kopf, wie sein eigener, beinahe bis zur Decke reichte, und an der Art und Weise wie er seine Kumpane auf Distanz hielt oder sie an sich zog, in dem er ihnen auf die Schultern klopfte, oder sie am Kragen packte, oder ihre Sprüche lobte oder zurückwies.

      „Der Kerl führt eine größere Gruppe. Selbst am Tisch da drüben achten sie auf ihn. Schätze mindestens ein Dutzend. Er hat den Überblick. Seine Leute sammeln Informationen.“ Er sprach es mehr zu sich selbst.

      Buckle schaute ratlos. „Warum …?“

      „Später, Buckle, holen Sie ihn her!“ Er beobachtete, wie sich Buckle durch die Menge drängte und dann auf den Mann einredete. Dieser schaute zu ihm hin, dann wieder zu Buckle und schob ihn schließlich beiseite.

      Als er vor ihm stand, erhob sich Middlehurst. Er musste seinen dünnen Hals höher recken, um ihm in die Augen zu blicken. Der Mann sah jünger aus, als es seine fast weißen Haare, die ihm bis zur Schulter reichten, vermuten ließen. Er stiess ihm gleich die Frage ins Gesicht: „Was willst Du von mir?“

      „Ich hätte eine Aufgabe für Dich. Wie viele seid ihr?“

      Der Mann musterte ihn misstrauisch. „Wer bist Du? Was für eine Aufgabe?“

      „Wie heißt Du?“

      „Hans.“

      „Deutscher?“

      „Möglich. Nun sprich schon. Um was geht es?“

      „Wie viele Leute hast Du dabei?“

      Der Mann, der sich Hans nannte, stiess ihm mit der flachen Hand auf die Brust, so dass er zurücktaumelte. „Vergiss es!“ Er dreht ihm den Rücken zu und wollte zurück zu seinen Kumpanen.

      „Einhundert!“, rief ihm Middlehurst nach.

      Hans wandte den Kopf zurück. Der Kellner stellte zwei dampfende Teller auf den Tisch.

      „Pro Kopf“, ergänzte Middlehurst. „Und pro Monat.“

      Der Deutsche baute sich wieder vor ihm auf. „Macht fünfzehnhundert. Zahlbar an mich. Fünfhundert vorweg. Um was geht es?“

      „Wir gehen nachher nach draußen.“ Middlehurst drückte ihm ein paar Pfundnoten in die Hand. „Zahlen Sie Ihren Männern noch eine Runde. Wir sehen uns nachher, sobald ich gegessen habe.“ Er setzte sich wieder, stocherte mit dem Löffel im Teller und schlürfte von der Löffelkante. „Nicht schlecht.“ Er schaute dem Langen zu, wie dieser Leute zur Seite schob und zurück an die Theke ging. Buckle pflichtete ihm bei. „Wirklich nicht schlecht.“

      Middlehurst sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich meine nicht das Essen, Buckle.“ Er kaute langsam und beobachtete das Geschehen an der Theke. Hans sprach mit einem der Kellner. Dieser nickte und bald wanderten etliche frisch gefüllte Krüge zu den ausgestreckten Händen. Middlehurst sah die dazu gehörenden Gesichter und machte sich ein Bild jedes einzelnen. Zwischendurch murmelte er: „Nicht schlecht, gar nicht schlecht.“

      Buckle nickte, obwohl er nicht wusste, wofür er zustimmte.

      Als Middlehurst den letzten Bissen geschluckte hatte, suchte er den Blickkontakt zu Hans und wies mit einer Kopfbewegung nach draußen.

      Als Margaret erwachte, vermisste sie sofort die Wärme von Cremors Körper. Ihre Hand fuhr über das Bett. „Cremor?“

      „Ich bin hier, Margaret.“

      Sie setzte sich auf. Das Morgenlicht drang schwach zwischen den Ritzen der Fensterläden hindurch und sie erkannte Cremor auf einem Stuhl in der Ecke des Zimmers. „Schon auf, mein Liebster? Es ist doch noch fast dunkel. Komm zurück ins Bett.“

      „Ich kann nicht mehr schlafen, Margaret. Wir müssen sowieso bald aufbrechen.“ Er ging zu Bett und setzte sich auf die Bettkante. Sanft strich er ihr über die Haare.

      Sie zog ihn zu sich, um seine Augen sehen zu können. „Was bedrückt Dich? Was ist geschehen?“ Sie ertastete seine Jacke und stellte fest, dass er bereits angezogen war.

      Cremor holte tief Luft. „Ich habe Dir nicht gesagt, wie die Auktion ablief.“

      Margaret setzte sich auf. „Du hast obsiegt, nicht wahr? Also …“

      „Middlehurst war an der Auktion. Ich war völlig überrascht, als er ein Gebot abgab. Er wollte Schloss Summerset für sich. Die Brennerei hatte er ja schon.“

      „Du hast ihn überboten. Ist doch gut, oder?“

      „Du kennst Middlehurst nicht. Er verliert nicht gerne. Ich habe sein Gesicht gesehen. Er wird alles tun, um sich zu rächen.“

      „Aber er ist doch ein Offizier der englischen Armee. Er kann doch nicht einfach …“

      „Die Engländer haben Schottland im Griff. Es gilt das Recht des Siegers. Sie werden das erbarmungslos