Ed Belser

Die Erbinnen


Скачать книгу

er nicht ergründen – woher nur hatte Cremor das viele Geld? Soviel konnte die Brennerei in all den Jahren gar nicht hergegeben haben. Lady Charlotte? Sie war ihrer Ländereien zwar verlustig geworden, aber vielleicht hatte sie genügend Mittel auf die Seite schaffen können?

      Die Stimme von Buckle riss ihn aus seinen Gedanken. „Wir können einspannen. Zwei oder vier?“

      „Vierspännig, Buckle, wir ändern den Plan. Wir reisen ab. Alle und sofort. “

      Buckle stutzte, seine Schultern zuckten. Dann nickte er und kehrte auf dem Absatz.

      „Und seien Sie, verdammt noch mal, leise!“, rief ihm Middlehurst nach. Er ging zurück in sein Zimmer und machte sich reisefertig. Alles, was an einen Offizier der englischen Armee erinnern könnte, packte er in seinen massiven Holzkoffer, auch die Perücke. Er schaute sich im Raum um, die Öllampe in der Hand, um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen würde. Er stülpte einen schwarzen hohen Hut mit breiter Krempe über, duckte sich unter der Türe und verließ den Raum.

      Seine Truppe wartete reisefertig im Hof. Er wies zwei Diener mit einer Kopfbewegung an, seinen Reisekoffer zu holen. Dann winkte er den Kutscher und Buckle zu sich. „Wir reiten heute Nacht durch. Die erste Wechselstation lassen wir aus. In der zweiten müssen wir gegen Abend eintreffen, also beeilen wir uns. Dort nehmen wir Quartier und wechseln die Pferde.“ Er stieg in die Kutsche. Buckle machte einen Schritt hinzu, doch der Befehl von Middlehurst, die Türe zu schließen, zeigte ihm, dass seine Gesellschaft nicht erwünscht war.

      Middlehurst öffnete den Deckel im Boden und holte seinen Krug hervor. Er nahm ein paar Schlucke und fluchte, als die Kutsche plötzlich anzog. Er wischte sich die übergeschwappte Flüssigkeit vom Gesicht und stellte den Krug zurück. Dann legte er seine Füße auf das gegenüberliegende Sitzpolster und starrte durch das Fenster ins Dunkel der Nacht.

      Er hatte sich lange überlegt, ob er dem Herzog von Cumberland seine Demission aus der Armee einreichen sollte. Dann käme er um den unangenehmen Auftrag herum, sich auf die Jagd auf Prinz Charles Stuart zu machen. Da gab es zwar eine riesige Belohnung, aber die würde sich die Regierung für einen Obersten sparen. Es sei schließlich sein offizieller Auftrag gewesen, würde es heißen. Immerhin würde er in die Geschichte eingehen, wenn er seiner habhaft werden würde. Arthur Middlehurst, der Mann der Prinz Charles fing und ihn seiner gerechten Strafe zuführte. Doch er betrachtete die Sache als aussichtslos. Zu lange schon war der Prinz auf der Flucht, vielleicht hatte er das Land auf einem französischen Schiff bereits verlassen können.

      Der Gin hatte seine Gedanken angeheizt und wieder spürte er den Zorn in sich aufwallen. Cumberland wollte ihn nicht mehr in seinem Stab, daran gab es nichts zu rütteln. Seine Generäle und Obersten bezögen ihre Pfründe als die Sieger von Culloden, versehen entweder mit ehrenvollen Ämtern oder mit neuen Kommandoposten in der Armee. Sein eigener Name würde vergessen werden, es würde für ihn nicht einmal mehr für eine offizielle Verabschiedung mit allem Drum und Dran reichen.

      Middlehurst griff nochmals in den Zwischenboden und holte den Ginkrug hervor. Beim ersten Schluck entschied er, sein Kommando trotz des widrigen Auftrages nicht abzugeben. Er würde zwar keine Zeit darauf verwenden, aber die Vorteile, bei Bedarf seinen Rang als Oberst hervorzukehren, überwogen.

      Beim zweiten Schluck dachte er an Cremor und James Moore. Sie würden seiner Rache nicht entgehen.

      Beim dritten und den nachfolgenden Schlucken überdachte er seine Pläne.

      Kaum ein halbes Jahr war vergangen, seit er mit Cumberland aus Frankreich zurückgekehrt war. Der Sieg der Franzosen über die Engländer bei der Schlacht von Fontenoy hatte der Überlegenheit der englischen Armee ein Ende bereitet. Er, Middlehurst, hatte vergeblich versucht, die Schuld für die Niederlage den verbündeten Holländern in die Schuhe zu schieben. Cumberland musste dem Ruf seines Vaters, König George II, folgen. Zurück nach London.

      Prinz Charles Stuart, hatte den Zeitpunkt für seine Rebellion gut gewählt, um die britische Krone wieder in seine Hände und damit in die Hände der Katholiken zu bringen. Er wusste, dass fast die ganze englische Armee auf dem Kontinent gebunden war. Sein Feldzug hatte ihn bis kurz vor London geführt. Dort war Panik ausgebrochen, Banken waren gestürmt worden, und die Reichen und Vornehmen hatten ihre Koffer gepackt. Doch Prinz Charles hatte vergebens auf die Unterstützung durch die Franzosen gehofft und er blies zum Rückzug in die Highlands. London atmete auf. Cumberland erhielt den Auftrag, den Aufstand niederzuschlagen. Am 16. April 1746 versanken alle Träume der Highlander in einer Flut von Blut und Tränen.

      Für Middlehurst hatte sich das Schicksal der Highlander nach der verlorenen Schlacht besiegelt. Den Auftrag von Cumberland, dem er mitgeholfen hatte, als „der Schlachter“ in die Geschichte einzugehen, hatte er erfüllt. Dorf um Dorf war abgebrannt worden, die Bewohner vertrieben oder umgebracht. Major Tucker und die anderen Offiziere unter dem Kommando von James Moore, sowie alle anderen Abschnittskommandanten hatten dem Auftrag von Cumberland nachgelebt; geplant und umgesetzt von ihm, Oberst Middlehurst – nur ein toter Highlander ist ein guter Highlander. Keine Gnade.

      Andere würden die Lorbeeren kriegen, er nicht. Er nahm einen großen Schluck aus dem Krug. Die Menschenjagd war in vollem Gange. Gerichtsurteile wurden zuhauf gefällt und meist war es Verbannung und Tod. Verbannung konnte heißen zum Militärdienst in den Kolonien in Amerika oder unter der heißen Sonne der Karibik gezwungen zu werden. Oder als Arbeiter und Diener in die Baumwollplantagen und Tabakfeldern, ob Männer, Frauen, Jungen oder Mädchen. Weiße Sklaven.

      Middlehurst hatte gut beobachtet. Bei ihm kamen die Informationen zusammen.

      Da gab es Menschen, die waren Geld wert und es gab es einen Markt dafür. Er würde in diesem Markt mitmischen. Dafür brauchte er Simon Buckle und noch ein paar Helfer mehr. Solche vom Kaliber Buckle, lieber noch darüber. Aber alle mit den gleichen Eigenschaften – skrupellose Halsabschneider, erbarmungslos, gewissenlos. Wie er selbst. Und geldgierig dazu. Wie er selbst. Er wusste, wo diese zu finden waren und er wusste auch, wo er sein Material, wie er es nannte, finden würde. Nicht auf Schloss Summerset, vorläufig wenigstens. Dort gab es noch jene, die sich auf die Seite der Engländer geschlagen hatten. Was nicht hieß, dass ihre Untertanen plötzlich königstreu geworden waren. Nein, das war alles das gleiche Pack – Barbaren des Norden, rückständig, ungebildet, nicht würdig in das britische Königreich aufgenommen zu werden.

      „Ha!“, rief er, nicht laut. Dann schlief er ein. Nicht einmal das Rütteln der Kutsche vermochte ihn zu wecken.

      Gegen Abend des zweiten Tages erreichten sie die Poststation, wo sie ihre Zugpferde auswechseln konnten. Auf einer Weide tummelten sich gut zwei Dutzend Pferde. Die Kutscher und die Soldaten wurden von Buckle angehalten, sich nicht zu betrinken und am anderen Morgen bei Tagesanbruch wieder reisefertig zu sein. Je zwei Soldaten sollten abwechselnd die Kutsche bewachen. Der Stallmeister der Station ließ die erschöpften Pferde in einen separaten Pferch treiben, trug sie in seine Bücher ein, überwachte deren Pflege und bestimmte die Ersatztiere für den Weiterritt. Die Reitpferde wurden von den Soldaten in den Stall geführt, gestriegelt und getränkt und in eine abgezäumte Weide gelassen. Vor einer Taverne neben einer zweistöckigen Herberge waren etliche gesattelte Tiere angebunden. Man sah mehrere englische Soldaten, Reisende in edlen Kleidern und Perücken samt ihren Dienern sowie Knechte, die hin und her eilten. Die wenigen Frauen erregten sofort Aufmerksamkeit; man sah sie nur kurz, entweder warteten sie in ihren Kutschen oder hatten sich rasch in die Herberge verzogen. Unter einem Vordach glühte das Feuer einer Esse, ein Knecht trieb den Blasebalg. Der Schmied hämmerte auf seinem Amboss ein Hufeisen in seine Form. Mehrere Fuhrleute warteten mit ihren Pferden, bis sie an die Reihe kamen. Es ging laut zu und her, derbe Sprüche wechselten mit Befehlen.

      Überall hing Rauch in der Luft, von der Esse und einzelnen Feuerstellen, an denen Männer lagerten und zechten. Da gab es jede Menge Wegelagerer die ihre Spitzel zu den Vorreitern der Kutschen schickten, um zu erfahren, welches Gefährt für einen Überfall am meisten Ertrag versprach. Die Kutscher selbst waren ziemlich unbestechlich, um ihren Ruf zu wahren. Doch die Vorreiter, positioniert auf dem Zugpferd vorne rechts, hatten nichts zu verlieren außer ihrem Leben, welches sie solange auf dem Pferderücken verbrachten, bis sie entweder altershalber vom diesen fielen oder bei einem Überfall