Ed Belser

Die Erbinnen


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mit dem Auftrag für Cremor, in seiner Eigenschaft als Laird von Blair Mhor mit den englischen Behörden die Pacht für die Stationierung des Regimentes auszuhandeln. Doch selbst Margaret weiß noch nicht, dass das Ziel ihrer Reise das Schloss Holyrood sein würde, wo die Versteigerung der von den Engländern verstaatlichten Liegenschaften stattfinden wird. Cremor geht zusammen mit Finn O’Brian als Leibwache zur Auktion, in deren Verlauf er gegen Schluss nur noch einem Bieter gegenübersteht – Middlehurst.

      Margaret und Cremor kehren nach Blair Mhor zurück. Er eröffnet ihr, dass er der neue Besitzer von Schloss Summerset sei. Doch beide wissen, dass damit die letzte Schlacht noch nicht geschlagen war.

       ***

      Prolog

       Kenneth Mackenzie wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf der Insel Lewis geboren. Wenn er hätte voraussehen können, was ihm nach fünfundzwanzig Lebensjahren widerfahren würde, wäre er sicher in seinem kleinen Dorf in der Gemeinde Uig geblieben, statt auf Schloss Brahan als Arbeiter anzuheuern.

       Kenneth wohnte am Ufer von Loch Ussie, und wenn er sich beeilte, war er in einer guten Stunde an seinem Arbeitsplatz auf dem Schloss. Die Fischer brauchten Teer, um ihre Boote wasserdicht und ihre Netze gegen Nässe zu schützen. Nachts bedurfte man Pechfackeln für Licht. Kutscher erhielten ihr Schmiergeld für das Schmieren der Wagenachsen.

       Kenneth war Teer- und Pechkocher. In einem riesigen Kupferkessel über einer Feuerstelle rührte er die dampfende, pechschwarze und klebrige Masse. Seine Hände waren mit der Zeit dunkelbraun geworden.

       Wann immer es ihm seine Zeit erlaubte, stand er am Ufer von Loch Ussie. Wer ihn beobachtet hätte, würde sein Interesse bald verlieren, denn Kenneth stand stundenlang da, beinahe regungslos, sein rechtes Bein vorgeschoben, die linke Hand hinter seinem Rücken. In seiner Rechten hielt er einen runden Gegenstand, durch den er hindurch zu blicken schien, sein linkes Auge hielt er zugedrückt. Wer nahe genug zu ihm heran träte, könnte erkennen, dass der Gegenstand ein Stein war, bläulich, mit einem Loch in der Mitte.

       Den Stein hatte er von seiner Mutter erhalten. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm seine Mutter zum ersten Mal erzählt hatte, wie sie zu diesem Stein gekommen war. Es gab keinen Grund, an ihrer Geschichte jemals etwas in Zweifel zu ziehen. Später Abend sei es gewesen, so hatte sie berichtet, sie hätte auf ihre Rinder aufgepasst, und gegen Mitternacht hätte sie unten im Dorf beobachtet, dass sich die Gräber des Friedhofes öffneten, und dass ihnen etliche Leute, vom Kleinkind bis zur weißhaarigen Greisin entstiegen seien und sich in alle Richtungen zerstreut hätten. Nach einer Stunde oder so seien alle wieder zurückgekommen und hätten sich in ihre Gräber gelegt, die sich über ihnen wieder geschlossen hätten. Doch eines der Gräber sei leer und offengeblieben. Sie habe ihren Spinnrocken gefasst, den sie stets bei sich hatte, um von der Wolle daran abzuziehen und ihren Faden zu spinnen. Dann sei sie zum offenen Grab hinuntergeeilt und habe den Spinnrocken in die aufgewühlte Erde gesteckt.

       Sie hatte ihrem Sohn erklärt, dass damit die Rückkehr ins Grab verhindert werden könne. Es habe dann auch genauso gewirkt, denn plötzlich sei eine junge Frau in weißen Kleidern und langem hellblondem Haar vor ihr aufgetaucht und habe sie aufgefordert, den Spinnrocken zu entfernen. „Das werde ich tun, wenn Du mir sagst, warum Du erst jetzt zurückkommst“, habe sie entgegnet.

       „Weil meine Reise länger dauerte, als jene der anderen – ich musste nach Norwegen.“

       Sie habe die weiße Dame fragend angeschaut und mit Verwunderung ihrer Antwort gelauscht. „Ich bin eine Tochter des Königs von Norwegen. Man fand mich am Ufer von Loch Ussie, angespült, nachdem ich ertrunken war. Hier hatte man mich begraben. Und jetzt brauche ich Deine Hilfe. Nimm den Spinnrocken weg, damit ich wieder in mein Todesbett finde.“

       Seine Mutter hatte den Stab aus der Erde gezogen und die weiße Dame hatte sie angelächelt. „Damit Du Dich stets an mich erinnerst und als Dank – geh zum Strand von Loch Ussie. Dort wirst Du einen blauen Stein mit einem Loch in der Mitte finden. Gib ihn deinem Sohn Kenneth. Er hat die Gabe der Vorsehung. Der Stein hilft ihm sie zu nutzen.“

       Aus Kenneth, dem Teer- und Pechkocher, war Kenneth, der Seher geworden – der Seher von Brahan.

       Bald fand man ihn nicht mehr beim Torfstechen und bei seinen kochenden Kesseln. Jedermann wollte seine Weissagungen hören, Knechte anfänglich, dann Bauern, dann Pächter, dann die Verwalter des Schlosses. Seine Hände waren inzwischen weiß und gepflegt. Schließlich verlangten die Herrschaften von Schloss Brahan nach seinen Diensten und weil Kenneth dazu noch ein kluger Kerl war, er seine Voraussagen mit großer Geste und vielen Worten auszuschmücken verstand, war er bald weit herum ein gern gesehener Gast. Für ihn gab es keinen Zweifel an seiner eigenen Fähigkeit und er maß sie an jenen Vorsehungen, die wirklich eintrafen, die anderen vergaß er, wie sie auch von jenen Leuten vergessen wurden, die an seinen Lippen hingen; sie bewunderten ihn, wenn sie Wirklichkeit geworden waren. Stets füllte er sein unerschöpfliches Reservoir wieder nach, wenn er stundenlang durch das Loch des Steines auf das Wasser von Loch Ussie schaute.

       Kenneth gehörte zum Clan der Mackenzies, und trug daher dessen Namen. Der Chief des Clans war der Graf von Seaforth. Seine Frau Isabel war bekanntermaßen nicht gesegnet mit besonderer Schönheit. Als die Rückkehr ihres Gatten von einer Reise nach Frankreich überfällig war, zog sie Kenneth zu Rate. „Sag mir, wie geht es meinem Mann und warum ist er noch nicht zurück?“

       Kenneth zögerte, dann meinte er ziemlich unbestimmt: „Es geht ihm gut.“

       Isabel regierte ungeduldig. „Entweder Du sagst mir alle, oder ich lasse Dich bestrafen.“

       Kenneth druckste herum, dann weiteten sich plötzlich seine Augen. „Er ist mit einer Frau zusammen. Schöner als Sie.“ Sein Blick ging in die Ferne. „Außerdem wird das Geschlecht der Grafen von Seaforth aussterben. Der letzte wird Stimme und Gehör verlieren. Seine vier Söhne werden ihm ins Grab vorausgehen. Da wird kein Mackenzie mehr herrschen auf Schloss Brahan.“

       Isabel geriet außer Rand und Band. „Dafür wirst Du bezahlen!“ Sie schrie nach dem Sekretär. „Lass den Pechkessel heizen! Und hol mir den Henker her!“

       Der Seher wusste, was das bedeutete. Dafür brauchte er seine Gabe nicht zu bemühen. Er fand sein Ende kopfüber im brodelnden Inhalt des Kessels.

       Pech gehabt.

       Doch seine Prophezeiungen haben ihn überlebt, auch jene, die ihm das Leben gekostet hatte. 1815 war sie Wirklichkeit geworden.

       Auch die blutige Schlacht von Culloden hundert Jahre später hatte er vorausgesehen:

       „Oh! Culloden, dein Moor wird getränkt sein vom Blut der besten Highlander. Froh bin ich, dies nicht ansehen zu müssen, denn es wird eine grausame Zeit werden, unzählige Köpfe werden rollen, es gibt kein Erbarmen und kein Pardon.“

       Seine kürzeste Voraussage jedoch hatte die schlimmsten Auswirkungen auf das schottische Hochland und seine Bewohner:

       „The sheep shall eat the men.“

      Kapitel I – Frühsommer 1746

      Der große Saal von Schloss Holyrood in Edinburgh hatte sich nach der Auktion rasch geleert. Zurück blieben die Ausdünstungen von Gewinnern und Verlierern, leere Gläser und ein paar Beamte und – Oberst Arthur Middlehurst. Die Beamten hatten ihn klar den Verlierern zugeordnet. Sie hatten eine Weile Haltung bewahrt, weil er gezeigt hatte, dass er ziemlich hoch hatte mitbieten können.

      Doch als er keine Anstalten machte, sich zu rühren, begannen sie, Tische und Stühle wegzuräumen.

      Middlehurst bemerkte nichts davon. Er hockte