Ed Belser

Die Erbinnen


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denken bräuchte er nicht viel, dafür würde er, Middlehurst, besorgt sein. Zu fechten bräuchte er auch nicht, dafür gab es Pistolen und Soldaten oder beides. Für Middlehurst war der Fall klar – Simon Buckle war der richtige Mann für die Aufgaben, die er ihm zu übertragen gedachte.

      Buckle kam zurück. „Da vorne, Platz genug für die Kutsche und Unterkunft für die Soldaten. Ein Zimmer für Sie steht zur Verfügung.“

      „Gut gemacht, Buckle, steigen Sie wieder ein. Haben Sie sich meine Fragen überlegen können?“

      Des Leutnants Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten über seiner Nase eine dicke Brücke. „Ja, Sir, schon. Aber ich weiß nicht so recht, wie Sie es gemeint haben.“ Er ließ sich wieder auf seinen Platz fallen.

      „Ganz einfach, Buckle, Ihre Zeit bei der Armee ist bald abgelaufen. Sie werden also Knecht oder Fischer oder sowas. Oder können Sie etwas, um sich ein besseres Leben zu leisten?“

      Buckle stieg der säuerliche Geruch seines Obersten in die Nase. Er fasste den Ledervorhang am Fenster.

      „Lassen Sie das!“ Die Stimme war kalt und barsch.

      Buckles Hand zuckte zurück. „Ich bin seit ich denken kann, bei der Armee. Zwanzig Jahre bald. Bin immerhin Leutnant geworden“, meinte er trotzig.

      „Die Armee braucht Sie bald nicht mehr. Da kommen Jüngere nach. Und für den Hauptmannsrang fehlt Ihnen das Geld.“

      Buckle schwieg. Es wurde ihm plötzlich bewusst, dass Middlehurst recht hatte. Er hatte kein Geld auf die Seite legen können. Der knappe Sold reichte dafür nicht aus. Er war fünfzehn gewesen, als ihn die Armee sozusagen auf der Straße aufgelesen hatte. Seither hatte er stets genug zu essen gehabt. Irgendwann war er Unteroffizier geworden und es war eher Zufall gewesen, dass er zum erweiterten Stab von Middlehurst gekommen war und man ihm den Rang eines Leutnants gegeben hatte, was zwar einige Pfund mehr Sold, aber keinerlei Rente bedeutete. Er kriegte eine neue rote Jacke und neues Lederzeug, zwar gleicher Machart wie für die gewöhnlichen Soldaten. Aber immerhin hatte er dann seinen hohen Soldatenhut abgelegen und einen Dreispitz aufsetzen können, für den er selbst zu bezahlen hatte. Er ertastete ihn auf dem Sitz neben sich und stülpte ihn sich über. Als er das Schweigen nicht mehr aushielt, fragte er zögerlich: „Was bleibt mir denn anderes übrig?“

      Middlehurst zögerte seine Antwort lange heraus. „Ich könnte Sie allenfalls weiter beschäftigen.“ Er hörte, wie Buckle den Atem anhielt und er wartete, bis sein Gegenüber wieder normal atmete, allerdings schneller als vorher. „Ich denke langfristig und habe auch Pläne für meine Zeit nach der Armee. Ich würde Sie als meinen Adjutanten bestellen.“

      Buckles Stimme klang flach. „Das würden Sie tun, Sir, wirklich?“ Er zog seine Augenbraue hoch. „Aber für was brauchen Sie denn einen Adjutanten, wenn Sie nicht mehr in der Armee sind?“

      Middlehurst sprach ungerührt weiter. „Vorläufig bin ich noch in der Armee. Mein Plan ist noch geheim. Aber ich werde etliche Männer brauchen, Männer wie Sie, Buckle. Sie können es sich ja noch überlegen. Aber wenn ich Ihre Antwort dann brauche, müssen Sie sich entscheiden.“

      Als sie vor dem Gasthaus anhielten und Buckle am Aussteigen war, hielt er ihn kurz zurück. „Sie werden zehnmal mehr verdienen als jetzt.“ Buckle schaute zu Middlehurst hin, der sich seine Perücke aufstülpte, lächelte etwas verkrampft und sprang auf den Boden. Beinahe wäre er über seine eigenen Beine gestolpert.

      Margaret und Cremor lagen zusammen auf einem der beiden Betten. Die Kerzen waren kürzer geworden, das Zimmer im Gasthof hatte die Kühle der Nacht aufgenommen.

      Cremor holte eine Decke und breitete sie über Margaret aus. „Das war ein langer Tag, Margaret.“ Er streckte sich und unterdrückte ein Gähnen. „Und ein schöner Abend. Wie früher.“

      Margaret erwiderte sein Lächeln. „Ja, wie früher. Wie wenn wir nie getrennt gewesen wären.“

      Cremor legte sich wieder neben sie und schmunzelte. „Eigentlich hätten wir gar kein zweites Bett gebraucht.“ Er betrachtet sie liebevoll. „Du bist so schön wie eh und je.“ Er blies die letzte noch brennende Kerze aus und hörte noch, wie Margaret flüsterte: „Halt mich fest, Cremor, lass mich nie mehr los.“

      Bald hörte er ihr ruhiges Atmen. Die Ereignisse des Tages zogen nochmals durch seine Gedanken. Die ungewisse Zukunft belastete ihn. Morgen ging es wieder zurück in die Highlands. Wieder eine Reise von etlichen Tagen, beschwerlich, gefährlich. Er war froh, hatten sie Finn dabei und die Soldaten vom Regiment. Einen ganzen Monat waren sie weg gewesen. Er hoffte, dass sie zu Hause keine schlechten Nachrichten erwarteten. Tröstlich war für ihn, dass da Freunde waren, auf die er sich verlassen konnte – Roderick und James Moore, sie würden für die Sicherheit von Mary und Seumas, von Maggie und allen anderen besorgt sein. Garantien gab es keine. Blair Mhor und die Brennerei waren zwar so etwas wie eine geschützte Insel, aber darum herum herrschte nach wie vor große Unruhe. Die Engländer waren immer noch hinter den Rebellen her, die Vertreibung der Bauern dauerte an und jeder musste, zu Recht oder zu Unrecht, um sein Hab und Gut oder sein Leben fürchten. Und über Recht oder Unrecht urteilten die Engländer; sie zerrten jeden, arm oder reich, Bauer oder Adliger, vor ihre Gerichte und wehe, wenn sie auch nur das Geringste mit dem Aufstand zu tun gehabt hatten.

      Er hörte noch, wie im Gang vor ihrem Zimmer eine Tür zuschlug. Schwere Schritte ließen den Boden knarren und verklangen in der Tiefe der Treppe. Armeestiefel, dachte er. Seine Sorgen wären nicht geringer geworden, wenn er gewusst hätte, dass sich Oberst Middlehurst im gleichen Gasthaus einquartiert hatte.

      Middlehurst hockte auf dem einzigen Stuhl in seinem Zimmer und starrte das Bett an. Es widerstrebte ihm, sich hineinzulegen. Seine Gedanken hingen immer noch an der verlorenen Auktion. Er hatte es als selbstverständlich betrachtet, dass er obsiegen würde. Triumphale Rückkehr zum Schloss Summerset, den Verwaltern und Dienern den Marsch blasen, sie auf sein Regime einstellen, die Verpächter aufbieten, ihnen zu sagen – nein, zu befehlen, dass sie die Unterpächter vor die Wahl zu stellen hätten, entweder Schafzucht oder Entlassung.

      Ein schwarzer Käfer tauchte aus einer Falte der Bettdecke auf. Middlehurst klatschte beide Hände um ihn zusammen. Angewidert betrachtet er den großen schwarzen Fleck in seiner Hand und strich ihn an der Unterseite des Bettes ab. So ähnlich würde es den Bauern ergehen. Er konnte sich dieses Gedankens nicht erwehren. Abrupt erhob er sich, ergriff die Öllampe und trat in den Gang hinaus. In der Kutsche würde er einen Krug finden, der es ihm erleichtern würde, zur Ruhe zu kommen.

      Er suchte im dunklen Gang den Weg in den Hinterhof, wo die Kutschen eingestellt waren. Er trat zur seinigen und rüttelte mit seinem Stiefel an der Federung. Der schlafende Soldat auf dem Kutschbock fuhr auf und griff zu seiner Pistole.

      Middlehurst streckte ihm die flache Hand entgegen. „Ich bin's. Schlafen Sie ruhig weiter.“ Sein Blick fiel auf die Türe einer anderen Kutsche. Er brauchte eine Weile, bis er das Wappen auf der Türe erkannte. Als er nähertrat, erkannte er den Schriftzug unter dem gemalten Schild The Royal Summerset Highland Regiment. Seine Augen wurden schmal, sein Mund ging langsam auf und zu. Hier hatte er den Beweis vor sich, dass James Moore und Cremor unter einer Decke steckten. Er spürte seinen Puls im Hals schlagen. Er musterte die einzelnen Buchstaben. Seine Schlauheit ließ ihn ahnen, dass sich die beiden abgesichert haben würden. Er atmete tief und versuchte, sich zu beruhigen. Cremor hatte bestimmt irgendeinen offiziellen Auftrag von Moore erhalten, um die Reise nach Edinburgh zu rechtfertigen. Ohne solchen wäre er kaum durch eine Kontrolle der Armee gelangt. Für ihn war sonnenklar, dass Cremor einzig und allein wegen der Auktion hierhergekommen war.

      Middlehurst fand den Schlafraum der Reisenden und seiner Soldaten. Als er die Türe öffnete, schlug ihm der stickige Geruch schlafender Menschen entgegen. „Buckle!“, schrie er ins Dunkel und schloss sofort wieder die Türe.

      Es dauerte nicht lange, der Leutnant tauchte auf, in Hemd und Hose. Er war froh, dass er vor dem Oberst den Missmut in seinem Gesicht im Dunkel des Ganges nicht verbergen musste.

      „Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit zwei Mann zum Einspannen. Die anderen sollen sich reisefertig machen. Ich will keinen