Annemarie Singer

Kopfstand


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nur geradlinig, echt, ohne Schnörkel. Mir fehlt das richtige Wort für ihn. Ein Tier, das die Beute vor Augen hat und zum Sprung ansetzt. Mit Augen, tiefer als das Meer. Sehr männlich. Hat mir das gefallen? Ja und Nein. Dieser atemberaubende Mann, jung und wild, begehrte mich. Dass die Art, wie er mich liebte, nichts mit tantrischer Liebeskunst zu tun hatte, spielte dabei keine Rolle.

      Als er spät in der Nacht ging, heulte ich Rotz und Wasser. Meine Tränen schienen kein Ende zu haben. Noch vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, meinen Mann zu betrügen und doch hatte ich es gerade getan. Und keine Frage, wenn sich mir die Gelegenheit böte, würde ich es wieder tun!

       Luca - verunsichert

      Wir haben uns wieder getroffen. Dieses Mal hatte ich das Hotel ausgesucht und plante die Inszenierung einer Liebesnacht. Ich war berauscht von meinen eigenen Fantasien. Meinen Bildern von ungehemmter Leidenschaft und Lebenslust. Wenn alle Hemmungen fallen, man keine Gedanken mehr hat und nur noch ist. Mit Johanna war das möglich. Sie hatte den gleichen Hunger wie ich. Etwas in ihrem Blick spiegelte mir meine tiefsten Sehnsüchte: „Mehr, mehr, ich will mehr.“

      Am Morgen verabschiedeten wir uns im Hotel und fuhren getrennt in die Firma. Spätestens am Abend würden wir uns bei einer Firmenfeier wiedersehen. Und dann passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ich war eifersüchtig. Sie unterhielt sich mit einem Kollegen, hing förmlich an seinen Lippen und folgte seinen Geschichten. Lachte laut über seine Pointen. Als die Kollegen meiner Abteilung mich an die Bar riefen, war mir das nur Recht. Das war so nicht geplant!

       Johanna - verloren

      Wir standen in einer kleinen Gruppe und unser Kollege Michele erzählte Geschichten von seinem letzten Urlaub. Es fiel mir schwer, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf Luca. Wie gerne hätte ich ihn berührt. Doch plötzlich war er weg. Ging ohne ein Wort. Erst Stunden später sah ich ihn wieder, als er an der Bar Getränke holte. Er ignorierte mich und versuchte offensichtlich, mir aus dem Weg zu gehen. Ich rief ihn zweimal und dann trafen mich seine Augen mit solch einer Wucht, dass es mir die Sprache verschlug. Er zischte mich an, ob ich mit Michele Spaß hätte. Es war furchteinflößend und gleichzeitig faszinierte es mich, dass ich diese heftige Reaktion auslösen konnte. Ein Gewitter entlud sich über mir und seine Worte trafen mich wie Blitzschläge. Er beschimpfte mich und dann, vollkommen unerwartet, kam der Stimmungswechsel. Er berührte mich. Ganz langsam und zart strich er mit dem Finger über meinen Wangenknochen, seine Augen wurden weich und es war keine Frage, als er sagte: „Gehen wir aufs Zimmer.“

      Ich hatte mich verloren. Ich hätte alles getan, um im Spiel zu bleiben. Ich hätte geschworen, dieser Sex war der beste, den ich bis dahin je erlebt hatte, vollkommen ungeachtet der Tatsache, dass es nicht stimmte und auch nicht das war, wonach ich mich wirklich sehnte. Ich war gefangen in der Geschichte, die ich mir in meiner Fantasie um diesen Mann ausgemalt hatte, und wie besessen davon. Alle meine Gedanken drehten sich darum und jeder Zweifel, der aufkommen wollte, wurde sofort unterdrückt. Luca hingegen erkannte relativ schnell, dass diese Affäre in eine Richtung ging, die er nicht wollte. Ich berührte ihn nicht nur körperlich, sondern auch emotional an Stellen, die zu fühlen er nicht bereit war. Ich denke, dass er in Momenten, in denen er in seinen Alltag zurückkehrte, ziemlich erschrocken gewesen sein musste über sich selbst und das, was er da tat. Seine Nachrichten wurden halbherzig und waren bald nur noch einsilbig. Die Zeitabstände verlängerten sich von stündlich auf täglich und schließlich kamen die Nachrichten nur noch alle paar Tage. Er schob es auf viel Arbeit.

      Wir hatten uns schon vor einigen Wochen für einen Abend verabredet. Ich sollte zu einer Besprechung nach Italien kommen, für die der Termin lange im Voraus festgelegt worden war. Das war zu einer Zeit, als Lucas Feuer noch hell loderte. Er wollte sich wieder um das Hotel kümmern, in dem wir die Nacht verbringen konnten. Doch er meldete sich einfach nicht mehr. Ich hing total in der Luft und natürlich roch ich den Braten. Doch ich wollte nicht wissen, was im Grunde klar auf der Hand lag. Deshalb erkundigte ich mich auch vor dem Termin nicht bei ihm nach unserer Verabredung und buchte mein Hotel selbst. Als ich dann vor Ort war, konnte ich es wider besseren Wissens nicht lassen. Ich empfand mich als würdelos und klein und trotzdem ging ich in sein Büro und fragte ihn, ob wir uns später noch wie abgesprochen sehen würden. Die Antwort war: „Nein, ich habe keine Zeit. Ich muss mich um einen Freund kümmern.“ Er schaute mich dabei nicht mal an, hatte mich fallen lassen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ich habe es wortlos hingenommen, bin gegangen und war zutiefst verletzt. Ein erbärmliches Häuflein Elend mit Liebeskummer. Und es war erst der Anfang von vielen tränenreichen Nächten.

      Wie konnte ich nur in diese Situation geraten? Mich in einen viel jüngeren Kollegen zu verlieben, empfand ich nicht unbedingt als Glanzleistung und doch stürzte ich mich mit meiner ganzen Sehnsucht nach Aufregung in dieses Abenteuer. Ich hatte jeden Bezug zur Realität verloren. Mein ganzes Leben bestand nur noch aus Warten. Warten auf Nachrichten aus Italien und warten auf das nächste heimliche Treffen. Nachdem er mich versetzt hatte, war erst mal Funkstille, doch ich gab nicht auf und irgendwann nahmen wir unsere Unterhaltungen wieder auf. Es war erniedrigend. Ich machte mich klein, und wenn auch nicht in dieser Konstellation, so hatte ich doch das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Die Tragik war: Es war mir bewusst und ich konnte mich trotzdem nicht dagegen wehren. Obwohl ich alle Parallelen zur Vergangenheit sah, konnte ich nicht anders, als mein altes Muster zu wiederholen. Ich hatte mich in eine Fantasie verliebt. Ich bildete mir ein, eine intelligente Frau zu sein. Meine Gehirnwindungen funktionieren ganz passabel und ich kann auch sehr praktisch und klar denken, wenn es um Organisation und Planung geht. Doch in diesem Fall war ich vollkommen hilflos. Was war nur mit mir los? Dieses ständige Auf und Ab zwischen Hoffen und Bangen. Warum durfte es nicht nur ein Abenteuer sein? Warum musste ich mich komplett verlieren? Ich malte mir einen Hollywoodfilm aus mit dem ganzen Kitsch wilder Leidenschaft. Gleichzeitig rief ich ein Geschwader von Minderwertigkeitskomplexen ab, die mir erklärten, dass meine Träume nicht wahr werden könnten. Ihr wisst schon, zu alt, zu dick, nicht schön genug, nicht gescheit genug. Warum sollte sich jemand so Tolles dauerhaft für mich interessieren. Wie sollte ich nur dieser Endlosschleife entkommen?

      Mutter - weise

      Was macht sie nur? Sie kommt von der Arbeit nach Hause, setzt sich an den Computer und wartet auf Nachrichten. Wie deutlich ist ihre Abhängigkeit und doch kann sie es nicht sehen. Da rennt sie dauernd zum Yoga und zur Meditation und redet von Bewusstsein und vom Leben im Hier und Jetzt, und das alles nur, um sich nicht der Wahrheit stellen zu müssen! Die Diskrepanz zwischen Wollen und Tun ist offensichtlich. Andererseits muss ich sagen, dass sie sich intuitiv eine Situation schafft, mit der sie sich selbst und die Menschen in ihrem Umfeld zwingt, etwas zu verändern. Sie will die Katastrophe. Steuert geradewegs darauf zu. Und das ist gut so: Wenn sie nicht den Mut und die Kraft hat, aktiv ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten, dann ist es umso besser, dass hier eine höhere Macht die Kontrolle übernimmt. Dieser junge Mann verdient ihre Liebe nicht, trotzdem kann sie ihm sehr dankbar sein. Durch diese Liebelei benimmt sie sich zu Hause so unmöglich, dass ihr Mann sie verlassen wird. Zeit meines Lebens wollte ich glauben, dass er der richtige für sie sei. Doch jetzt muss ich erkennen, dass er nur passt, solange sie nicht bereit ist, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und es scheint so, als wäre genau das der größere Plan hinter diesem menschlichen Drama.

      Johanna - egoistisch?

      Ich benahm mich meinem Ehemann gegenüber unfair. Ich fühlte mich schlecht und trotzdem konnte ich einfach nicht anders. Ja, ich weiß, wenn man will, dann kann man auch. Zu sagen ich konnte nicht anders, ist eine Ausrede, um die Verantwortung für mein Handeln nicht übernehmen zu müssen. Wenn ich nach Büroschluss nach Hause fuhr, aus meinem Auto stieg und die Haustüre aufschloss, baute ich eine Art Panzer um mich herum auf. Ich wollte nicht sprechen und am liebsten wollte ich, dass er sich in Luft auflöst. Das wäre natürlich furchtbar gewesen, aber in meinem Verdrängungsmodus war das der einfachste Weg. Ich versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. Je mehr ich mich zurückzog, umso mehr bemühte er sich um Gemeinsamkeit, um eine Kommunikation in irgendeiner Form. Tausend Fragen auf seiner Seite erhielten keine Antwort, nur mein Schweigen. Das ist letztendlich auch eine Form der Antwort. Allerdings eine, die für den Fragesteller nicht sehr befriedigend ist. Ich zog