Annemarie Singer

Kopfstand


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wirklich so, dass der Mensch nur in der Krise zu lernen vermag.

      Sie glaubt nicht an sich selbst und deshalb sucht sie einen Mann, den sie vergöttern kann. Einen, in dessen Schatten sie meint, erstrahlen zu können. Vielleicht auch einen, in dessen Schatten sie nicht strahlen muss. Und das wiederum hält sie nicht aus. Wie oft sie dieses Spiel noch wiederholen muss, bis sie endlich begreift, um was es geht, wird sich noch zeigen.

      Ich könnte mir die Haare raufen, möchte sie schütteln und schubsen! Sie hört doch die Komplimente, die man ihr macht, sie sieht doch selbst ihre leuchtenden Augen im Spiegel. Doch wieder sind große unbewusste Kräfte am Werk. Verhaltensmuster, die tief verankert sind und bewirken, dass sie nicht zulässt, dass ihr eigenes Licht leuchtet. Sie betrachtet ihren Körper und denkt, eigentlich viel zu schade, um nicht von einem Mann geliebt zu werden, dabei traut sie sich gar nicht, sich ganz hinzugeben. Sie ist sich selbst nicht genug und sieht nur die Fähigkeiten und Talente anderer Menschen. Solange sie nicht merkt, dass sie in anderen Menschen nur erkennen kann, was sie selbst in sich trägt, wird sie immer wieder die gleichen Fehler machen und ihr Leiden wird nicht aufhören. Was ist dieser Frau widerfahren, dass sie gar kein Selbstvertrauen hat. Ich weiß, dass sie von mir nicht sehr viel Unterstützung erfahren hat, aber kann es sein, dass ich total versagt habe?

      Johanna - peinlich

      Er kroch wieder in all meine Gedanken. Bei jeder kleinen Handlung malte ich mir aus, wie ich ihm davon erzählen würde, welche Worte ich verwenden und wie toll er mich finden würde. Es fällt mir schwer, die folgende Episode zu erzählen. Doch diese Abgründe gehören dazu, sie sind Teil dieser Geschichte. Luca hatte ein Fest geplant und mich dazu eingeladen. Es sollte eine Grillparty im Grünen werden und er hatte vor, dort auch zu übernachten. Er meinte, ich sollte nur die Sachen mitbringen, die ich für die Nacht brauchte, für einen Schlafplatz würde er sorgen. Natürlich wollte ich hinfahren. Ich war verrückt genug, für ein Sommerfest mit ihm die weite Strecke nach Italien zu fahren, obwohl dort heftige Gewitter angesagt waren. Ich weiß sehr wohl, dass eine Stimme in mir sagte: „Fahr nicht! Du wirst nicht finden, was du dir erhoffst.“ Doch ich wollte nicht hören und fand mich super abenteuerlustig, als ich am späten Nachmittag ins Auto stieg und losfuhr.

      Ich wurde freudig begrüßt, doch Luca schien irgendwie nervös zu sein. Ich war selber angespannt und versuchte, es mit Lachen zu überspielen. Es waren nur wenige Gäste gekommen, weil die Regenwolken schon am Himmel standen. Nichtsdestotrotz wurde der Grill angeheizt, gelacht und getrunken. Das liebte ich so sehr dort, dieses vollkommen Unkomplizierte. Es regnete, na und, wir lassen uns doch davon nicht abhalten, eine fröhliche Party im Freien zu feiern! So weit so gut. Ich lernte ein paar seiner Freunde kennen und unterhielt mich mit Kollegen. Und dann kam meine Befürchtung auf einem Rad angefahren. Eine italienische Sportskanone mit langen dunklen Haaren, noch dunkleren Augen und einem glockenhellen Lachen. Kein junges, unerfahrenes Mädchen, sondern eine schöne Frau mit Ausstrahlung. Sie passte ins Beuteschema und es war klar, dass sie nicht nur als gute Freundin von Luca da war. In mir zog sich alles zusammen. Eine vollkommen absurde Situation und ich wünschte mir, die Erde würde sich auftun und mich verschlingen. Er stellte uns vor, indem er unsere Vornamen nannte. Nichts weiter, keine Erklärung dazu. Ich war steif wie ein Stock und fühlte mich wie eine Verliererin, ohne dass ich in den Ring gestiegen war. Der einzige Kampf, der hier stattfand, war in mir und es ging darum, meine Haltung zu bewahren. Oh mein Gott, wie schämte ich mich vor mir selbst. Wie abgrundtief blöd konnte man eigentlich sein? Nicht blöd, sondern klein und ohne jeden Funken von Stolz, dies traf es wohl eher.

      Luca mied den direkten Kontakt zu mir und verschwand irgendwann zu später Stunde mit La Bella im Zelt. Ich fand einen Schlafplatz bei zwei lustigen Jungs, die nach jeder Menge Alkohol schon bald in Tiefschlaf fielen. Ich machte kein Auge zu und schlich mich gleich nach Sonnenaufgang still und heimlich davon. Ich wollte, ich könnte sagen, ich habe doch nichts Unrechtes getan. Ich bin unter außergewöhnlichen Umständen auf eine Party gefahren zu fröhlichen Menschen, die im Schnitt ca. 15 Jahre jünger waren als ich. Was war dabei?

      Ich hatte in dieser Nacht schon genug Federn gelassen. Wenn ich nicht jeden Respekt vor mir selber verlieren wollte, musste ich mir wenigstens ehrlich eingestehen, dass diese Aktion, sorry, total Scheiße war. Luca schrieb nachmittags eine kurze Nachricht, dass sie mich vermisst hätten und ob ich gut heim gekommen sei. Als wir uns dann beruflich wieder gesehen haben, wurde die Grillparty nicht erwähnt, als wäre nichts geschehen. Ist denn überhaupt außerhalb meines Kopfes etwas geschehen? Es scheint nicht so, denn zwei Monate später, habe ich noch eins draufgesetzt.

      Wir hatten eine ganztägige Firmenveranstaltung. Mir war klar, dass es ein geschäftliches Meeting war. Doch warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Wenn es um mein Unglück geht, kann ich ziemlich hartnäckig sein. Es ist nicht verboten, sich in der Geschäftswelt mit all seinen Vorteilen zu präsentieren. Kompetent, positiv, weiblich und vielleicht eine kleine Spur sexy. Ich zielte nicht darauf ab, Luca „rum zu kriegen“. Ich wähnte ihn eigentlich verloren, aber ich spielte mit meinen Reizen und es machte mir Spaß. Und vor allem bot sich hier die Gelegenheit, mir nach meiner Erniedrigung etwas zu beweisen. Es war einer der Tage, an denen alles stimmt. Man steht am Morgen mit dem richtigen Fuß auf. In dieser Stimmung fühlte ich mich unwiderstehlich und genau das war ich dann auch. Am Ende des Tages landeten wir genau in dem Zelt, in dem er zwei Monate vorher mit einer anderen verschwunden war. Ging es mir danach besser? Nein. Ich hatte gesprüht vor Charme, aber anstelle mir selbst genug zu sein, habe ich mich wieder dem Löwen zum Fraß vorgeworfen. Letztendlich war ich diejenige, die alles gegeben hatte und es fühlte sich am Tag danach genauso an, nämlich einfach nur leer.

      Mutter - Schuld

      Sie war ein braves Kind. Ein stilles Mädchen, das sich über jede Aufmerksamkeit freute, die man ihr zu teil werden ließ. Ihre älteren Brüder hatten nicht viel Interesse an ihrer Schwester und der Altersunterschied zu meinen älteren Töchtern war zu groß, als dass sie als Spielkameradinnen in Frage gekommen wären. Obwohl Johanna ständig von Menschen umgeben war, musste sie sich alleine beschäftigen. Sie war da, aber doch nie wirklich beachtet. Ich hatte mit dem Haushalt, meinen Söhnen oder auf dem Hof zu tun und versorgte meine Tochter mit allem, was sie brauchte. Essen, Trinken, Kleidung, Spielsachen. Mehr war mir einfach nicht möglich. Ich habe versucht, sie nicht sehen zu müssen und mit ihr meine eigene Schwäche und meine Schuld.

      Johanna - Suche nach neuen Erfahrungen

      Mein Mann war weg und die Geschichte mit dem Liebhaber lief auch nicht sonderlich gut. Das Thema Beziehung hatte ich erfolgreich vermasselt und so wendete ich mich fast gezwungenermaßen einem anderen Thema in meinem Leben zu. Da war unter anderem meine Wohnsituation, an der ich über kurz oder lang etwas ändern musste. Ich hatte ein großes Haus mit einem noch größeren Garten. Das alles kostete Geld und machte jede Menge Arbeit. Ich verdiente nicht schlecht, doch ich wollte nicht nur zur Arbeit gehen, um die Erhaltungskosten für ein Haus abzudecken. Da gab es allerlei Ideen in meinem Kopf. Von Wohngemeinschaft bis hin zum Umbau in ein Café ließ ich nichts aus.

      Der Plan mit dem Café gefiel mir immer besser und ich sah mich schon strahlend die Eröffnungsrede halten. Es sollte ein Platz zum Wohlfühlen werden, mit Leseecke, gemütlicher Wohnraumatmosphäre und kleinen romantischen Tischchen zwischen den Blumenbeeten in meinem Garten. Und natürlich mit dem weltbesten Kuchen. Denn Backen kann ich und vor allem weiß ich, wie ein guter Kuchen zu schmecken hat. Ich fragte mich oft, ob die Cafébetreiber eigentlich gerne bei sich selbst zu Gast wären oder ob sie nicht lieber woanders hingingen, nachdem sie ihre eigene Ware gekostet hatten. Bei mir würde alles stimmen, das Ambiente, der Service und die Qualität. Bedenken in Bezug auf Vorschriften, Konzessionen, Kosten und alles, was sonst noch an Unannehmlichkeiten mit so einer Unternehmung verbunden ist, verschob ich auf später. Aber ich wollte auch keine naive Träumerin sein und auf alle Fälle etwas tun, um meinem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Ich hatte keinerlei Erfahrung in der Gastronomie und deshalb beschloss ich, das jetzt nachzuholen.

      Im letzten Jahr war ich auf eine Berghütte eingeladen worden, um dort Geburtstag zu feiern. Das könnte der perfekte Ort sein, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ich liebe es auf dem Berg zu sein und ich könnte gleichzeitig Erfahrungen im Gastgewerbe