Annemarie Singer

Kopfstand


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Ich bin immer wieder erstaunt, wie einfach die Dinge sind, wenn etwas stimmig und richtig ist. Es waren jede Menge Gäste da, die am Vortag hier eine Hochzeit gefeiert hatten und jetzt ihr spätes Frühstück genossen. Hier war eine ganz besondere Atmosphäre. Der Charme einer Alm gepaart mit gutem Essen und einem sensationellen Ausblick. Das Konzept stimmte und das Geschäft brummte. Vor dem Haus gab es noch einen kurzen Moment des Zögerns, doch was hatte ich schon zu verlieren. Hinter der Schenke bediente eine Frau gerade die Kaffeemaschine. Mit wenigen Worten erklärte ich ihr mein Anliegen. Dass ich unglücklich mit meiner Lebenssituation sei, neue Erfahrungen machen möchte und deshalb fragen wollte, ob sie eine Aushilfe für die Wochenenden bräuchten. Wir hatten den richtigen Draht zueinander. Kurzum, ich sollte ihr Bescheid geben, wann ich Zeit hätte, dann könnten wir es beide ausprobieren. Sie könnte mir nicht viel zahlen und ja, sie kannte die Lebensphase der Neuorientierung. Sie selbst sei genauso hier gelandet. Das war es schon und innerhalb von zehn Minuten hatte ich einen Job als Küchenhilfe, Servicekraft und Zimmermädchen. Es war ein Knochenjob und es machte einen Riesenspaß. Ich hatte tolle Kollegen und innerhalb kürzester Zeit das Gefühl, schon immer dazu zu gehören. Zu den Stoßzeiten arbeiteten wir wirklich hart. Wenn der Ansturm nachließ, spülten wir singend das Geschirr und putzten tanzend die Küche. Natürlich hat es auch dort „gemenschelt" und es kam zu dem ein oder anderen Zusammenstoß. Wie in so vielen Betrieben wurde bei Pannen nicht nach Lösungen gesucht, sondern zunächst die Schuldfrage geklärt. Der eine fühlte sich übervorteilt und der nächste wollte seine eigenen Vorstellungen durchsetzen. Der ganz normale Wahnsinn, wie überall, wo verschiedene Menschen zusammenkommen. Doch wir alle hatten eines gemeinsam, wir liebten die Alm und die Vorstellung, unseren Gästen diese Liebe weiterzugeben. Wir alle waren trotz Jammern und Schimpfen überzeugt davon, den besten Arbeitsplatz der Welt zu haben. Ich hatte anfangs geplant, einmal im Monat ein Wochenende zu arbeiten. Immerhin hatte ich während der Woche einen Fulltimejob, von Haushalt und Garten gar nicht zu reden. Ich war so gerne dort auf dem Berg und unter diesen Menschen, dass ich bald jedes zweite Wochenende oben war. Die Hütte war über Monate mit Hochzeiten und Geburtstagsfeiern ausgebucht. Während der Woche diente sie Unternehmen für Seminare und Fortbildungen.

      Leider sollte es nur eine Sommerliebe bleiben. Der Besitzer des Hauses freute sich zwar über die gute Auslastung, doch er war unzufrieden mit der Rendite und wollte Vorschläge hören, wo Potenzial bestünde, um sparen zu können und seine Gewinne zu maximieren. Da ich ja von der betriebswirtschaftlichen Seite kam, stellte ich des Öfteren Fragen zu den administrativen Arbeitsabläufen und den praktizierten Kontrollinstrumenten der Finanzwirtschaft. Wir führten einige Gespräche dahingehend und ich erhielt auch Einblick in die Geschäftsbücher. Ich bin wahrlich kein Experte, doch ich merkte schnell, dass ich im nächsten Chaosbetrieb gelandet war. Cordula, die Geschäftsführerin und gute Seele des Hauses, hatte gute Arbeit geleistet und die Rückmeldungen der Gäste sprachen für sich. Doch dies reichte dem Inhaber nicht. Im Laufe der Zeit hatten sich die Ideale des Hüttenwirts verändert. Aus der ursprünglichen Idee eines gemütlichen Rückzugortes in den Bergen war eine Goldgrube geworden. Es stand ein Umbruch an und hinzukam, dass Cordula schwanger war. Man fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte, ihre Nachfolge anzutreten. Dadurch dass ich hautnah miterleben konnte, mit welchen Problemen unsere Chefin zu kämpfen hatte, war ich sehr skeptisch, ob das eine gute Idee wäre. Doch allem voran traute ich es mir schlicht und ergreifend nicht zu. Und so endete mein Ausflug in die Gastronomie mit meiner letzten Schicht an Silvester. Es war nicht offiziell so geplant, doch die Unstimmigkeiten in der Führung des Hauses übertrugen sich auch auf uns Mitarbeiter und das eingeschworene Team zerfiel. Ich habe von zu Hause aus noch ein paar Stunden an Auswertungen und Tabellen gearbeitet, doch mit Abschluss dieser Tätigkeit war dann endgültig Schluss.

      Während all dieser Monate auf der Alm kam zwar zusätzliches Geld rein, aber es hatte sich ja letztendlich nichts an meiner ursprünglichen Lage geändert. Die Sorge, dass die Kosten für das Haus all meine Einnahmen auffressen könnten, blieb bestehen. Ich hatte keinerlei Ersparnisse und bei der kleinsten Reparaturmaßnahme würde ich ins Straucheln geraten. Die Café-Idee war nicht gestorben, aber ich musste erkennen, dass sie nicht so schnell umzusetzen war.

      Also zurück zur Ausgangssituation. Ich hatte Wohnraum übrig und brauchte zusätzliche Einnahmen. Was also lag näher, als mir einen Mitbewohner zu suchen. Ich wusste von meinen Kindern, dass es im Internet ein Portal „WG gesucht“ gibt und hatte mich schon früher durch die Seite geklickt, um zu sehen, was die Leute so anbieten. Auch hier bewahrheitete sich wieder, dass sich Dinge wunderbar ineinander fügen, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Ich musste mir nicht einmal die Arbeit machen und ein Angebot schreiben, weil ich in den Gesuchen genau das fand, was ich wollte. Ich holte mir Musik ins Haus. Ein junger Mann aus Tschechien, der in Bremen Musik studiert hatte, und jetzt an der hiesigen Musikschule als Gitarrenlehrer arbeitete. Sein Aufenthalt hier war zeitlich begrenzt, weshalb er ein möbliertes Zimmer suchte. Das passte mir gut. So konnte ich das WG-Leben ausprobieren und wenn es mir nicht gefallen würde, musste ich keine unangenehme Kündigung aussprechen, sondern einfach die Zeit abwarten.

      Die Chemie stimmte auf Anhieb und entsprechend gut kamen wir miteinander klar. Ich liebte die Gitarrenklänge im Haus. Von oben die feinen Töne der klassischen Gitarre und aus dem Keller das kraftvolle, harte Spiel der E-Gitarre. Ich kam auch des Öfteren in den Genuss seiner Kochkünste und so sah ich über die manchmal unaufgeräumte Küche hinweg. Es war schön, wieder jemanden im Haus zu haben und dabei doch für mich bleiben zu können.

      Johanna - traurig

      So verging die Zeit und mein eheliches Trennungsjahr war wie im Flug vorbei. Mein Mann hatte schon seit längerem eine Freundin. Ich kann mir die boshafte Bemerkung nicht verkneifen, dass er ja dann wieder versorgt war. Andererseits erleichterte es meine Schuldgefühle ungemein. Ich hatte ihm wehgetan und hoffte, die Frau würde ihm über seinen Schmerz hinweghelfen. Ich wünschte mir für uns beide, dass er mit seiner neuen Partnerin glücklich wäre. Zudem muss ich gestehen, dass ich auch gerne in mein altes Fahrwasser zurückgekehrt wäre, hätte meine italienische Affäre das zugelassen. War es einfach Glück, dass ich mir eine eher unkonventionelle Verbindung ausgesucht hatte, die kein Alltagsleben in Aussicht stellte? Oder hatte ich mir genau diese Situation geschaffen, weil ich mir sicher sein konnte, dass Luca kein Potential für eine wirkliche Beziehung hatte. Mein Noch-Ehemann wollte auf alle Fälle unsere Ehe so bald wie möglich offiziell beenden. Finanziell hatten wir uns darauf geeinigt, dass wir auf alle gegenseitigen Ansprüche verzichten würden. Jeder behielt sein Eigentum. Eine notarielle Beurkundung hatte das ganze Verfahren zeitlich wesentlich vereinfacht. Und nach Ablauf der vorgeschriebenen Trennungszeit habe ich sehr schnell die Vorladung zum Scheidungstermin erhalten. Das war wieder einer dieser Augenblicke, an dem die Dinge unaufhaltsam konkret wurden. Ich wusste, dass der Zeitpunkt kommen wird, war überzeugt davon, die richtigen Schritte zu tun und trotzdem versetzte es mir einen Stich, als es greifbar wurde.

      Wir hatten uns fast auf den Tag 18 Jahre vor dem Termin beim Scheidungsrichter kennen gelernt. Es war Fasching und ich war mit einem die freie Liebe propagierenden Musiker liiert, der mir kurz vor unserer Abendverabredung mitgeteilt hatte, dass ihm etwas dazwischen gekommen sei. Ich war wütend und enttäuscht darüber und in einer Trotzreaktion entschloss ich mich, diese Gefühle auch auszuleben. Ich wollte ausgehen und ich entschied mich für eine Faschingsparty in einer Kneipe, in der ich schon als junge Frau unterwegs gewesen war. Anfangs war es ziemlich öde, ich kannte ein paar Leute, aber sie standen nur rum und tranken an ihrem Bier aus der Flasche. Die Stimmung war ganz und gar nicht das, wonach ich suchte. Meine Wut war verraucht und hatte sich in Selbstmitleid verwandelt. Ich fühlte mich schlecht und wollte nach Hause, um mich zu verkriechen. Auf dem Weg nach draußen, traf ich eine alte Bekannte. Sie freute sich total mich zu sehen und fragte erst gar nicht, ob ich nicht noch bleiben wollte. Sie hakte mich unter und zog mich zurück in die Bar. Sie überfiel mich mit Fragen und wollte im Grunde gar keine Antworten hören. Sie war in Begleitung von zwei Männern gekommen. Einer von ihnen sollte dann später mein zweiter Ehemann werden.

      Wir waren uns vor diesem Abend noch nie begegnet, hatten aber schon voneinander gehört, weil wir seit Jahren gemeinsame Freunde hatten. Es gab nicht viel zu sagen. Es war auf mysteriöse Weise klar, dass wir gemeinsam etwas zu erledigen hatten. Ich fand ihn damals toll. Er war gerade aus den USA zurückgekommen, wo er studiert hatte. Er war voller