die Reihe bekommen hatte. Ich war fasziniert von der Mischung aus weltoffen und doch heimatverbunden. Er kam aus einer alteingesessenen Familie in einer kleinen Stadt und war sehr stolz darauf. Es schlugen zwei Herzen in ihm. Das eine für die Abenteuerlust und dafür, die Welt zu erobern. Das andere hielt ihn zurück und band ihn an seine Familie und vor allem an die Werte, die man ihm vermittelt hatte. Und genau diese Eigenschaften machten unsere Beziehung möglich. Ich konnte ihn für all seine Aktivitäten bewundern und hatte einen Mann an meiner Seite, der aus jeder Pore Sicherheit ausstrahlte. Er bekam eine Frau, die seine Sehnsucht nach dem Abenteuer teilte und ihm gleichzeitig alle Annehmlichkeiten eines warmen Zuhauses schuf. Dass ich zwei Kinder mitbrachte, war kein großes Thema in Bezug auf die Entscheidung, ob wir zusammen bleiben wollten, es war einfach so. Für meine Kinder war es nicht so einfach, doch vieles davon konnte oder wollte ich nicht sehen. Ich wollte überzeugt davon sein, dass es auch für meine Kinder eine Bereicherung ist, wenn dieser Mann Teil unseres Lebens wird. Ich war froh wieder jemanden zu haben. Ich war dreißig Jahre alt und mit diesem Mann an meiner Seite gehörte mir die ganze Welt.
Von unseren gemeinsamen Träumen war 18 Jahre später nichts mehr übrig geblieben. Wie unendlich traurig das ist! Ich hatte die Nase nicht nur voll von ihm, sondern ich konnte uns nicht mehr ertragen. Ich wollte meinen Weg lieber alleine weiter gehen. Nichtsdestotrotz musste ich mich am Tag vor dem Scheidungstermin in der Arbeit krank melden. Mein Körper ließ nicht zu, dass ich so tat, als wäre alles wie immer. Mein Kopf hämmerte wie verrückt. Es fühlte sich an, als wollte ich, dass es mir schlecht ging. Den Trennungsschmerz im wahrsten Sinn des Wortes fühlen und auch der Traurigkeit und den Schuldgefühlen einen Platz geben. Ich war viel zu früh am Gericht. Das war nicht schlecht, weil ich so etwas Zeit hatte, meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Ich lief Gefahr, dass ich nicht ein Wort würde sagen können, ohne in Tränen auszubrechen. Mein Noch-Ehemann und ich hatten eine gemeinsame Anwältin und weinende, sehr emotionale Frauen sind ihr bestimmt nicht fremd. Sie hatte auf alle Fälle ein Gespür dafür, dass mir nicht nach Smalltalk zumute war und sich auf Informationen über den Ablauf der „Ehe-Auflösungs-Zeremonie“ beschränkt.
Mein Mann saß als „Kläger“ mit der Anwältin auf der einen Seite des Tisches, ich alleine auf der anderen. Hätte man ihn Antragsteller genannt und hätten wir nebeneinander gesessen, hätte ich mich nicht ganz so aussätzig gefühlt. Der Richter verlas die Akte. Nach der Passage mit der gegenseitigen Verzichtserklärung auf Unterhalt, machte er ein paar Anmerkungen auf Kosten von Männern, die sich den Haushalt führen lassen und dann die Frauen ohne finanzielle Unterstützung sitzen lassen. Von meinem Mann wollte er daraufhin wissen, ob er auch so einer wäre, wobei er wohl nicht wirklich eine Antwort erwartete. Doch was für eine unerwartete Wendung! Die Tatsache, dass da jemand war, der mich nicht automatisch als die schuldhafte Ehebrecherin abstempelte, hat mir geholfen, mich besser zu fühlen. Es hat mich ein wenig abgelenkt von meinem Schmerz und mir sogar ein leises Schmunzeln entlockt.
Ab diesem Punkt waren die Gründe für das Ende meiner Ehe nicht mehr wichtig. Jetzt war es besiegelt und das bedeutete: endgültig Abschied nehmen. Wir haben nicht kirchlich geheiratet und deshalb einander auch nicht gesagt: „Bis dass der Tod uns scheidet“. Aber genau davon bin ich durchaus ausgegangen. Und auch wenn nach einer freieren Definition dabei nicht der physische Tod gemeint ist, sondern das Sterben der Liebe, des Vertrauens oder des Glaubens an ein gegebenes Versprechen, ich hatte einen Verlust erlitten und es tat weh. Draußen vor dem Gericht wechselten wir noch ein paar kurze Abschiedsfloskeln, die Hände fest in den Hosentaschen verankert. Zu mehr waren wir beide nicht im Stande. Schade, aber es war so. Ich wollte nur noch weg und mein Auto kam mir vor wie eine Zufluchtsstätte. Und dann, dort angekommen, durfte ich endlich meine Anspannung loslassen. Der Sturzbach an Tränen war nicht mehr aufzuhalten. Kein leises Schniefen mit ein paar salzigen Tränchen. Nein, ein lautes, befreiendes Rausheulen und Wegschluchzen meines ganzen Kummers über das, was ich verloren hatte.
Eine liebe Freundin hatte mir angeboten, dass ich zu ihr kommen könnte, wenn ich nach der Scheidung jemanden bräuchte. Sie meinte, sie wäre für alles bereit, egal ob ich mich betrinken, lachen oder weinen wollte, vollkommen egal, wir würden genau das machen. Ich war mir nicht sicher, ob ich das Angebot in Anspruch nehmen würde, weil mir vielleicht mehr nach allein sein zumute wäre. Doch nach meinem Ausbruch war ich dankbar für ihre Gesellschaft. Nach einem langen Spaziergang und weisen Worten über das Leben und seine Widrigkeiten war ich wieder hergestellt und bereit für mein neues Single-Leben.
Johanna - Hilfe oder Wahnsinn
Ich muss zugeben, eine zweite Scheidung zustande gebracht zu haben, weckte gemischte Gefühle in mir. Einerseits dachte ich: „Ganz toll, wie kaputt muss man sein um zweimal zu scheitern“. Andererseits hörte ich aber auch ein Stimmchen, das flüsterte: „Macht nix, du hast zumindest den Mut bewiesen, es auch zuzugeben!“
Für das Wochenende nach meiner Scheidung hatte ich mich für einen Workshop bei einer Schamanin angemeldet, mit dem Titel „Zeit für Weiblichkeit“. Ich hatte keine klare Vorstellung von dem, was mich dort erwarten würde. Die Broschüre mit dem Programm lag schon Monate bei mir zu Hause und ich hatte sie schon längst vergessen. Ich suchte in einem Stapel von Papieren nach etwas anderem, als sie mir wieder in die Hände fiel. Mir gefiel die Idee, nach der Scheidung etwas für meine Weiblichkeit zu tun, was auch immer das sein sollte. Mit anderen Frauen mein Leid zu teilen und mich für die Zukunft inspirieren zu lassen, konnte nie verkehrt sein. Ich rief die angegebene Nummer an, um die Details abzuklären und zu fragen, ob überhaupt noch ein Platz frei wäre. Ariana, eine aus Peru stammende Schamanin, hatte schon am Telefon eine so herzliche Art, dass ich auf alle Fälle hingehen wollte. Ich schrieb mir auf, was ich alles brauchen würde. Die Sache war beschlossen. Ich hatte mich angemeldet für ein neues Kapitel in meinem Leben.
Es würde meine erste Berührung mit dem Schamanismus sein und ich war sehr neugierig auf das Wochenende. Außer mir nahmen nur zwei weitere Frauen an dem Kurs teil. Wir waren also zusammen mit unserer Kursleiterin Ariana zu viert. Der Seminarraum war gut ausgestattet mit Kissen, Fellen und Decken, damit wir es uns gemütlich machen konnten. Es gab Trommeln und Klanginstrumente in allen Größen und Formen und jede Menge Kristalle, Federn und Kerzen. Eine kleine Schatzkammer, in der man gut hätte stöbern können, aber ich wollte nicht zu neugierig sein. Der Raum war in dem Sinn nicht schön, aber aufgrund der Feuerstelle und den ungewöhnlichen Gegenständen herrschte eine ganz besondere Atmosphäre.
Letztendlich kann ich nicht sagen, was genau es war. Ob Ariana, die Stimmung, das ganze Ambiente, irgendetwas brachte uns Frauen innerhalb kürzester Zeit dazu, unsere innersten Geheimnisse zu offenbaren. Vielleicht war die Not groß genug und wir nutzten diesen Rahmen um das Ventil zu öffnen. Jede Frau brachte etwas anderes mit und die eigene Geschichte auszubreiten war genauso schmerzlich, wie die Verletzungen der anderen Frauen zu hören. Es wurde viel geweint. Das Akzeptieren und offene Teilen unserer Traurigkeit hatte etwas sehr Tröstliches. Es war der Einstieg in ein langes Wochenende. Eine Depressive, eine sexuell Frustrierte und dazu ich, die ich gar nicht wusste, welche Überschrift mir auf die Stirn geschrieben war. Nachdem die letzten Tränen getrocknet waren, ging die Arbeit richtig los. Es wurde getrommelt, gefühlt, meditiert, aufgeschrieben und ausgesprochen, hinterfragt und reflektiert. Harte Arbeit. Wir bearbeiteten unsere Glaubenssätze und sollten deren Auswirkungen auf unser Leben benennen. Wir machten Feuer und verbrannten all das, was wir nicht mehr brauchten und schrien unseren Schmerz in die Welt hinaus. So ging das zwei Tage bis spät in die Nacht hinein. Es war Februar und ich fand mich bei Eiseskälte barfuß vor einem Erdloch wieder, kniend und mit den Händen in der Erde. Würde ich hier noch mehr Einzelheiten verraten, müsste ich ernsthaft befürchten, dass ihr an meinem Verstand zweifelt. Und doch fühlte es sich richtig und absolut stimmig an.
Als wir uns Samstagabend verabschieden wollten, bat Ariana, uns zu überlegen, ob wir am nächsten Tag eine schamanische Familienaufstellung machen wollten. Sie würde noch so viel Unterdrücktes und Unausgesprochenes wahrnehmen und dies wäre ein Weg, der uns vieles davon aufzeigen könnte. Ich war hundemüde und einfach zu erschöpft um mir darüber Gedanken zu machen. Worauf ich keine Lust hatte, war, wieder ein sehr altes Thema aufzugreifen. Sexueller Missbrauch. Ich bin eine der Dunkelziffer-Frauen. Ich wurde nicht vergewaltigt. Also zumindest nicht bis zum Äußersten. Aber das Betatschen meiner gerade wachsenden Brüste und Genitalien von einem