Christina Kreuzer

Ammerseeherzen


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Streitberger, der keltische Druide war auferstanden!

      Kapitel 1

      Der von allen für tot geglaubte Massenmörder Angus Streitberger versteckte sich am Ufer des Ammersees. Sein Leben bestand seit Wochen aus Enthaltsamkeit und Regeneration. Nachdem er am Strand halbtot aufgewacht war, sammelte er mit letzter Kraft Kräuter, wie Salbei, Johanniskraut und Spitzwegerich für seine schmerzenden Schusswunden und Prellungen. Dabei weihte er jedes Büschel mit einem geheimen Druidenspruch. Die Verletzungen ließen ihn schwer atmen, behinderten den alten Mann. Er konnte sich kaum aufrecht halten. Sein linker Oberschenkel war glatt durchschossen und an der Hüfte fehlte ihm ein faustgroßes Stück Haut. Außerdem hatte er am ganzen Körper schwere Prellungen und Schürfwunden. „Wie an Gold sich nie Rost ansetzt, so flieht der Spitzwegerich jede Fäulnis und faules Fleisch!“ Die Heilkunst von Pflanzen und Sternen, die er als Druide auswendig gelernt hatte, leisteten ihm jetzt gute Dienste. Sein Oberschenkel heilte schnell, doch die Wunde an der Hüfte entzündete sich immer wieder und wollte sich einfach nicht schließen.

      Aus Ästen, Sträuchern, weggeworfenen Plastiktüten und einem großen Stück Segeltuch, das eines Tages am Strand angespült wurde, baute er sich im dichten Wald zwischen Herrsching und Breitbrunn einen Unterstand. Sein Scramasax, ein höllisch scharfes Jagdmesser, das er immer in einer kleinen Ledertasche am Gürtel trug, hatte er Gott sei Dank nicht im Wasser verloren. Das Messer war außer den Fetzen, die seinen zerschundenen Körper verhüllten, alles, was er noch hatte. Immer wieder schleppte er sich in den sicheren Wald, um nicht in die Sichtweite der Polizeihubschrauber zu geraten, die dauernd um den Ammersee kreisten und wahrscheinlich nach ihm suchten. Er musste aufpassen, sich weiterhin versteckt halten und ganz vorsichtig sein. Mit trockenem Holz, einem gefundenen Feuerstein, einem rostigen Stück Flacheisen, das im Sand am Ufer lag und trockenen Zunder aus alten Vogelnestern, fiel es Angus nicht schwer, ein fast rauchloses Feuer zu entfachen, das nur zur Zubereitung seiner mageren Mahlzeiten brannte. Nachts versuchte er mit Tannenzweigen und trockenen Moos der Kälte zu trotzen. Als er endlich wieder einigermaßen laufen konnte, klaute er in Buch, einer kleinen Gemeinde am Ammersee, auf einem Campingplatz, ein Hemd, eine Hose und ein paar alte Badeschlappen. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Kleidungsstücke dazu, die die Badegäste an den Stränden des Ammersees vergessen hatten. Er ernährte sich von kleinen Fischen und zahlreichen Fröschen. Vogeleier, Wildkräuter und essbare Blumenblüten verwandelten die kargen Speisen zu einem wahren Festessen. Einmal kratzte er sogar ein zusammengefahrenes Eichhörnchen von der Hauptstraße zwischen Breitbrunn und Inning. Nur langsam kam seine alte Stärke zurück. Die Schusswunden verheilten gut und bei seinen Streifzügen durch die Wälder am Ammersee Ostufer humpelte er kaum noch. Nur die Wunde an der Hüfte bildete immer wieder wildes Fleisch, das er sich mit dem Scramasax mehrmals selbst entfernte. Angus Streitberger trieb ein großes Ziel an, ließ ihn keinerlei Schmerzen spüren. Rache! An Hauptkommissar Dippold und seiner kleinen widerspenstigen Kollegin! Sie hatten sein Lebenswerk zerstört, ihn gedemütigt und verletzt. Die Rachegedanken rumorten in seinem kranken Gehirn. Nur wie sollte er Rache nehmen? Er besaß fast nichts mehr! Kein Geld, keine Papiere und seine wertvolle goldene Sichel ging bei seiner Flucht verloren. Mehrmals hatte er in den Abendstunden den Kienbach zwischen Andechs und Herrsching nach der geliebten goldenen Sichel abgesucht. Die hätte er zu Geld machen können. Doch seine Suche blieb erfolglos.

      Angus verhielt sich in seinem Versteck im Wald ruhig und so unauffällig wie möglich. Der Run der Urlauber, Badegäste und Windsurfer auf die schönsten Uferstreifen des Ammersees nahm bei Föhn und sonnigen Wetter bedenkliche Ausmaße an. Demnächst würden auch noch die neugierigen Schwammerlsucher dazu kommen. Angus wusste, früher oder später würde man ihn und sein Lager doch entdecken. Schon bald nahten kältere Nächte und er hatte weder genug zu essen, geschweige ein Dach über dem Kopf. Er musste hier weg. Angus beschloss in den nächsten Tagen an die Südseite des Ammersees zu übersiedeln. Dort gab es weniger Touristen und ein großes Naturschutzgebiet, die Schwedeninsel.

      Angus lag tagsüber am Ufer des Ammersees in der Sonne, geschützt durch Schilf und Gras und verfolgte die Sprünge und Kapriolen einiger Windsurfer auf dem Wasser, die gefährlich nahe an seinem Lager in einem alten VW-Bus campten. Angus ging es immer besser, aber er war noch lange nicht im Vollbesitz seiner Kräfte um seinem einäugigen Totengott Gollmac zu dienen. Wäre dieser Hauptkommissar Dippold mit seiner jungen Kollegin Juliane von Jettenbach nicht gewesen, dann wäre er längst am Ziel seiner Träume. Nur ein Totenschädel hatte ihm noch zur Unsterblichkeit gefehlt. Er könnte jetzt in der Anderswelt seinem Totengott huldigen, stattdessen lag er verwundet und geschwächt am See seiner keltischen Urahnen. Diese verfluchten Schnüffler! Sie hatten seine Ehre beschmutzt. Sie hatten keine Ahnung mit wem sie sich da angelegt hatten, wussten nichts über seine Stärke und seine Macht. Sie wussten gar nichts über ihn. Sie hielten ihn immer noch für tot, ertrunken in einem Bach, im Wasser abgetrieben und verschollen im See. Innerlich lachte Angus über die beiden unwissenden Ermittler. Er dagegen kannte alle Schwachstellen der beiden Polizisten. Er hatte der hübschen Kommissarin, während der Gefangenschaft in der Höhle unter dem Kloster Andechs, jede Menge Auskünfte entlockt. Sie hatte ihm ihr ganzes Leben preisgegeben. Dazu alles was sie über seinen Todfeind Kommissar Dippold wusste, vor seinen Füßen ausgebreitet. Er brauchte nur noch darauf treten. Seine Rache würde fürchterlich sein.

      *

      In der Nacht bevor Angus Streitberger sein ärmliches Lager, zwischen den kleinen Fichten, angeflogenen Birken und Haselnusssträuchern verließ, entzündete er am Ufer des Sees ein loderndes Feuer. Er brachte Belenus dem Sonnengott ein Tieropfer. Er kam sich erbärmlich und armselig vor, denn er hatte für die lange Reise seines Sonnengottes nur eine verletzte, magere Wildente, die er ihm opfern konnte. Feierlich, um Mitternacht, trennte er der quakenden Ente den Kopf mit seinem Messer ab und fing das Blut in einem Plastikbecher auf. Er weihte das Tier, entriss ihm das noch zuckende kleine Herz und schlang es hastig hinunter. Angus schmatzte und fühlte, wie sein Körper die kleine Stärkung aufnahm. Das gesammelte Blut schmierte sich der Druide ins Gesicht und in die Haare. Danach tanzte er singend um das Feuer und sprang immer wieder durch die Flammen. Nach altem Glauben reinigte er seinen Körper und neutralisierte die negativen Energien. Erst im Morgengrauen sank der erschöpfte Druide nieder und träumte von Lebenskraft, vom Kreis der Seelen, der keinen Anfang und kein Ende hat.

      In der nächsten Nacht brach er zur Schwedeninsel auf. Er lief am Ufer des Ammersees bis zum Ortsanfang von Herrsching entlang. Kein Mensch war um diese Zeit unterwegs, alle Häuser stockdunkel, kein Lichtschein von fahrenden Autos. An der Abzweigung zur Fachhochschule benutzte der Druide die spärlich beleuchtete Seepromenade, vorbei am Segelclub und kam in den Kurpark.

      „Huhu!“ Angus zuckte zusammen. Er schaute sich um und sah einen Mann auf einer der Parkbänke aufgeregt winken. „Huhu!“ Schwerfällig stand der höchstens 20-jährige auf. Offensichtlich war er betrunken, denn er wankte schwankend auf Angus zu. „Hallo Opi! Hey du …! Hast vielleicht fünf Euro für mich?“

      Die rechte Hand des Druiden umfasste blitzschnell den Griff seines Scramasax. Wollte ihn etwa dieser kleine, angetrunkene Wicht aufhalten? „Verschwinde!“, zischte Angus, den zwei Köpfe kleineren Halbstarken in der schwarzen Lederjacke an. „Geh mir aus dem Weg!“

      „Hey du … du alter Tattergreis, rück schon die Kohle raus, oder ich mach dich alle!“ Drohend stand der Jüngling vor ihm. Zweimal versuchte Angus an ihm vorbei zu gehen, doch jedes Mal torkelte der Bursche auf den Druiden zu und versperrte ihm den Weg. „Haha, kommst nicht vorbei, alter Sack! Du Mummelgreis kommst hier nicht…“ Das letzte Wort brachte er nicht mehr über die Lippen. Erstaunt schauten seine Augen nach unten auf seinen Brustkorb, in dem plötzlich ein Messer steckte.

      Bevor der Sterbende zu Boden ging, griff Angus den Mann unter die Arme und setzte ihn neben seiner leeren Bierflasche auf die Parkbank. „Huuhuuu!“, unterbrach ein Waldkauz die Stille im Kurpark. „Du schwacher, kleiner Mensch! Wieso legst du dich ausgerechnet mit Angus, dem Pförtner der Anderswelt an“, waren die letzten Worte, die der junge Mann in seinem Leben hörte. Der Druide setzte sich kurz neben die Leiche, sah sich um und sein Blick fiel auf die Boote am Steg des Segelclubs, die in der leichten Dünung des Sees hin und her dümpelten. Kurzerhand packte Angus den Toten an der Lederjacke und schleifte ihn zur Anlegestelle der Segelboote. Achtlos ließ er den Körper einfach auf