Christina Kreuzer

Ammerseeherzen


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Abtransport neben dem Steg am Ufer stand. Die Kajüte war nicht gesichert. Mit letzter Kraft zerrte er die Leiche über den Anhänger ins Schiff und bahrte den Oberkörper auf dem Kajüten Tisch auf. Er zog behutsam das Messer aus der Brust des Toten und beugte sich schmatzend über ihn. Wie ein Vampir stürzte sich der Druide auf den austretenden Blutschwall und saugte schlürfend das dampfende, noch warme Blut auf. Dann fiel er im Blutrausch, wie eine wilde Bestie über den Leichnam her.

      *

      Gestärkt von einem köstlichen Mahl, enterte Angus Stunden später seelenruhig ein Ruderboot beim Bootsverleih an der Seepromenade und ruderte damit zur Schwedeninsel. Das Boot überließ der Druide gleich nach seiner Ankunft wieder dem See. Um sich nicht zu verraten, ließ er es einfach abtreiben. Die Insel im Naturschutzgebiet war Sperrgebiet und niemand würde ihn hier stören. Bis zum Sonnenaufgang verbrachte er die Zeit am Ufer und starrte auf das Wasser. Der Vollmond spiegelte sich bis zum Morgengrauen im See, die kleinen Wellen glitzernden und brachen sich wie Millionen Edelsteine am Ufer. Der einäugige Totengott Gollmac meinte es gut mit ihm. Er hatte ihn ins Paradies geführt. Diese Ruhe! Die leichte Brise säuselte in den Blättern der halbhohen Bäume und als die Sonne aufging, veranstalteten die Vögel ein einzigartiges Konzert. Der Druide war glücklich! Angus, der Druide fing leise zu Summen an und träumte von Rache, Unsterblichkeit und Reichtum.

      Am folgenden Tag richtete sich Angus Streitberger auf der Halbinsel im Ammersee häuslich ein. Er entdeckte die Reste eines Gebäudes, einen gemauerten Grundriss, versteckt unter alten Balken und Brettern. Daraus baute sich der Druide, einige Meter entfernt zwischen kleinen Bäumen, eine behelfsmäßige Hütte. Er sammelte Pilze, Holz und trocknete Kräuter über einem fast rauchlosen Feuer. Der See versorgte ihn reichlich mit frischen Fisch. Der Herbst konnte kommen. Angus Streitberger genoss die Einsamkeit und vermisste nichts. Seine Wunden verheilten gut und schon bald würde er wieder der alte sein. Nur einmal wurde er in den letzten Wochen gestört. Angus bemerkte gerade noch rechtzeitig einen in den Schilfwiesen umherstreifenden Mann. Er trug ein großes Fernglas, beobachtete anscheinend Vögel und machte sich irgendwelche Notizen. Angus versteckte sich schnell in einem dichten, jungen Birkenbestand, der von hohen Binsen und Gräsern umgeben war. Kurz kam dem Druiden in den Sinn, der Mann könnte ein weiteres Opfer für seinen Totengott Gollmac sein. Der Neugierige würde seinen zerschundenen Körper stärken. Aber dann müsste Angus erneut seinen Standort wechseln. Ihm gefiel es auf der Insel, hier fand er genug Nahrung und er würde in kürzester Zeit wieder zu vollen Kräften kommen. „Hau ab! Verschwinde, sonst zahlst du mit deinem Leben!“, zischte der Druide leise. Als hätte der Mann die Warnung gehört, kehrte er kurze Zeit später um und kam Angus nicht näher. Ungestört verbrachte Angus Streitberger den ganzen Winter auf der Insel.

      *

      An einem nebligen Februarmorgen saß Angus am Ufer und hielt seine Angel ins klare Wasser. Die hatte er aus einen einfachen Haselnussstock, einem Faden von einem alten Fischernetz und einem verrostenden Stück Draht, selbst gebaut. Die Sonne tat sich an diesem Tag schwer den dichten Nebel aufzulösen. Gerade als der erste Fisch gebissen hatte durchdrang der erste Sonnenstrahl die Nebelsuppe und tauchte den ruhigen See in eine silbern glänzende Scheibe. Angus zog den zappelnden Fisch an Land, hackte ihn mit seinem Scramasax den Kopf ab und nahm den Fisch an Ort und Stelle aus. Den Kopf und die Eingeweide warf er zurück ins Wasser. Dabei fiel sein Blick auf etwas Glitzerndes, etwas Goldenes im See, nur drei Meter vom Ufer entfernt. Neugierig watete er ins flache Wasser und sah zwischen Sand und grauen Kieselsteinen einen goldfarbenen Block liegen. Angus dachte, er träumt. Unter Wasser scharrte er mit den Fingern einen schweren Barren aus dem Sand und hob ihn triumphierend in den Himmel. „Gold!“, schrie er zuerst laut. Dann sah er sich nach allen Seiten um und flüsterte leise „Gold!“ Der Barren war echt. Goldstempel und Punzen glänzten in der Sonne. Ein Grinsen erschien in den hohlen Wangen des Druiden. Er konnte es nicht fassen. Sein Gott ließ ihn nicht im Stich. Bald schon würde er fürchterlich Rache nehmen.

      Kapitel 2

      Hauptkommissar Robert Dippold, gebürtiger Franke aus Schweinfurt, Leiter der Kripo Starnberg, parkte seinen alten VW Käfer gut gelaunt vorm Kommissariat. Endlich waren die kalten Tage vorbei und die warme Frühlingssonne kitzelte in seiner Nase. „Hatschi!“

      „Gesundheit Boschi!“ Juliane von Jettenbach stand lächelnd am Eingang des Kommissariats. Nur sie und Revierleiter Sepp Brandl durften den Chef beim Spitznamen rufen. „Guten Morgen! Hast du dich etwa letzte Nacht verkühlt?“

      „Ach geh zu! Wer hat mir denn dauernd die Bettdecke geklaut? Haha!“ Boschi lachte und schaute stolz auf seine hübsche Kollegin, die seit drei Monaten auch seine Freundin und Lebensgefährtin war. Ihre blonden Haare strahlten im Sonnenlicht und Boschi fand den Vergleich der Kollegen mit Britney Spears traf eindeutig auf Jette zu. Sie waren ganz frisch verliebt, beide spürten noch die Schmetterlinge im Bauch und verhielten sich zeitweise wie pubertierende Jugendliche. Ein intimes Verhältnis unter Arbeitskollegen war bei der Polizei zwar nicht so gern gesehen, doch mit den beiden gab es keinerlei Probleme. Dienst blieb Dienst und Jette und Boschi hielten sich eisern daran. Noch wohnten sie nicht zusammen und beide ließen sich die Freiheiten, die jeder brauchte.

      Juliane von Jettenbach, die bei allen nur Jette hieß, schaute Boschi grinsend an. „Mein Teil Bettdecke bestand aus einem einen so kleinen Zipfel.“ Jette zeigte mit ihren Händen ein etwa Handtuch großes Stück.

      „Ach geh zu! Das kann nicht sein! Wo war dann der Rest der Decke? Mein Teil war genauso groß!“ Boschi drehte sich schnell nach neugierigen Beobachtern um und begrüßte Jette mit einem Kuss. Zwar wussten inzwischen alle Kollegen von ihrem Verhältnis, machten sogar hin und wieder eine Anspielung, doch Boschi wollte einfach noch nicht offiziell zu Jette stehen. Schließlich war er glücklich geschieden. Jette dagegen war das egal. Hauptsache sie konnte mit ihrem Traummann zusammen sein.

      „Jette, warst du schon beim Sepp? Gibt es was Neues?“, fragte Boschi dann ganz diensteifrig.

      „Nix los Boschi! Es gab letzte Nacht nur einen Einbruch in einer Lagerhalle in Gauting. Den Fall hat „Meise“ schon übernommen“. Meise war der Spitzname von ihrem Kollegen Frank Maisetschläger, ein junger Kommissar, frisch von der Polizeischule und als zukünftiger Schwiegersohn von Oberstaatsanwalt Franz Höglmeier ein Beamter mit Aufstiegschancen. Er war bei den Ermittlungen in ihrem letzten Fall als Verstärkung nach Starnberg versetzt worden und war ein Meister im Beschaffungswesen. Ihm oder vielleicht doch dem Schwiegervater war es zu verdanken, dass sich das Kommissariat technisch auf dem neuesten Stand befand. Frank Maisetschläger war karrieregeil und hoffte durch eine einhundertprozentige Aufklärungsrate auf eine schnelle Beförderung. Jedenfalls musste er seinem Schwiegervater und zuständigen Oberstaatsanwalt jeden Tag beweisen, dass er gut genug für seine Tochter ist. Für Boschi war er nichts anderes als ein Arschkriecher. Er konnte diesen Typ Mensch einfach nicht leiden. Außerdem war Meise Nichtraucher und meckerte dauernd herum, wenn Boschi im Büro rauchte. Meise hatte ihm sogar ein Raucherbankerl besorgt, das aber meist einsam und verlassen vor der Inspektion stand. Dagegen fand Jette Frank eigentlich ganz sympathisch.

      „Für einen Einbruch bekommt er aber keinen Orden vom Höglmeier“, murmelte Boschi in seinen Dreitagebart. „Komm Jette, machen wir erst mal Frühstück!“

      *

      Kurz darauf saßen Jette und Boschi mit Josef Brandl, dem Revierleiter der Polizeiinspektion Starnberg, beim zweiten Frühstück im Büro des Kommissariats, bei Butterbrez`n und dampfenden Kaffee. Sepp Brandl stand kurz vor der verdienten Rente und schwärmte gerade davon, was er in seinem Ruhestand alles unternehmen wollte.

      Boschi grinste den Revierleiter, den guten Geist der Inspektion, während seiner Aufzählung an. „Hast du nicht etwas vergessen Sepp? Du wolltest doch abnehmen. Jetzt schwärmst du uns von einer Kreuzfahrt und riesigen Buffets vor. So wird das nix!“

      Sepp sprang beleidigt auf, richtete die Hose über seinen Bauch und strich sich die viel zu langen Haare über seine Halbglatze. „Jette, hilf mir! Schau her! Ich bin doch nicht …“ Das Diensttelefon unterbrach seine Rechtfertigung. Das Display zeigte die Nummer von Kollege Frank Maisetschläger. Sepp stellte den Apparat gleich auf Lautsprecher. „Frank, was gibt`s?“

      Sie hörten Kommissar Maisetschläger