Christina Kreuzer

Ammerseeherzen


Скачать книгу

geslippt und ich bin dann direkt hierhergefahren.“

      Boschi grinste und versuchte damit seine Unsicherheit zu überspielen. Er schaute fragend zu Jette.

      Otto Rasand fiel Boschis Reaktion sofort auf. „Äh, sorry. Slippen sagen wir Segler, wenn ein Boot zu oder aus dem Wasser verbracht wird. Eigentlich kann nur der Einbrecher die Leiche in meiner Kajüte versteckt haben, oder?“

      „Sicher nicht Herr Rasend. Der Tote ist bereits mumifiziert. Er liegt schon etwas länger in ihrem Schiff“, stellte Jette fest. „Er muss also in der Nacht vor dem … äh, slippen an Bord gebracht worden sein. Wann genau haben sie das Schiff hier abgestellt?“

      „Das war an einem Sonntag Mitte Oktober. Äh, ja, wie gesagt, am Tag vorher habe ich die Yacht saubergemacht und geschrubbt.“ Herr Rasand holte sein Handy aus der Hosentasche und öffnete den Terminkalender. „Genau, das war am Samstag, den 9. Oktober und Sonntag, den 10. Oktober habe ich dann die Yacht hier untergestellt.“

      „Danke Herr Rasand! Das ist vorerst alles. Wenn wir noch Fragen haben, werden wir nochmal auf Sie zurückkommen. Die beiden Beamten nehmen noch Ihre Aussage und Personalien auf“, bedankte sich Boschi beiläufig. Die Aussage schien ihm glaubhaft und brachte ihn nicht viel weiter. Er wollte schnell zurück an den Tatort, zu Dr. Reiter. Jette folgte ihm.

      Frank Maisetschläger hatte sich inzwischen ein wenig erholt und wartete, wachsweiß, unten an der Leiter. Jette blieb bei Frank. Boschi stieg nochmal nach oben zur Kajüte. „Dr. Reiter, wir fahren jetzt. Kommissar Maisetschläger bleibt noch da, bis Sie fertig sind und die Leiche abgeholt wird. Können Sie uns schon was sagen?“

      Dr. Reiter drehte sich um und zeigte auf den Toten. „Eine sehr interessante Leiche haben wir hier. Wissen Sie Herr Kommissar, unser Körper besteht ja hauptsächlich aus Wasser. Wenn es jetzt andauernd trocken ist, keine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht, dann kann der Körper eines Toten nicht verwesen. Er mumifiziert. Die Bakterien, die die Verwesung beeinflussen brauchen Feuchtigkeit. Das ist wie bei einem guten Südtiroler Speck. Der ist auch nichts anderes wie mumifiziertes Fleisch. Die Organe des Toten schrumpeln zusammen, wie ein verdorrter Apfel und bleiben erhalten. Der Vorgang kann mehrere Wochen dauern, je nachdem wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist.“

      „Ach geh zu!“ Boschi war fasziniert und beschloss insgeheim Speck in Zukunft von seiner Speisekarte zu streichen. „Wie ist er gestorben?“

      „Das kann ich nur vermuten Herr Kommissar. Sehen Sie selbst!“ Dr. Reiter zeigte auf das große Loch im Brustkorb des Opfers. „Das Herz fehlt!“

      „Allmächd! Nicht schon wieder!“ Boschi dachte sofort an seinen letzten Fall, als die Mafia mehrere Menschen wegen ihrer Organe ermordete. „Stammt die Leiche noch von … haben wir was übersehen?“

      „Ich kann Sie beruhigen Herr Dippold. Dieses Herz wurde bestialisch herausgerissen. Arterien und Gewebe sind fransig, regelrecht zerfetzt. Sonst sehe ich im ersten Moment keine anderen Verletzungen. Ein paar kleine Schürfwunden am Rücken, keinen Einschuss oder sowas. Ich nehme an, der Täter hat den Mann in den Brustkorb gestochen und erst später hier abgelegt. Dafür spricht auch das wenige Blut hier in der Kajüte. Außerdem fand ich Bluttropfen draußen an Deck.“

      „Mein Gott! Hatte der Tote irgendwelche Papiere bei sich?“

      „Ja!“ Dr. Reiter reichte Boschi einen Personalausweis, bereits eingetütet in Plastikfolie. „Benjamin Sattler, 23 Jahre, aus München. Übrigens, Herr Dippold, bei „Ötzi“ erfolgte die Mumifizierung aufgrund von…“

      „So jung!“, unterbrach ihn Boschi. „Ich hätte ihn viel älter geschätzt! Leider habe ich sehr wenig Zeit Dr. Reiter!“ Boschi verabschiedete sich schnell, bevor er sich noch einen Vortrag über die Gletschermumie und andere medizinische Besonderheiten anhören musste. Dr. Reiter liebte es stundenlang davon zu erzählen. „Danke, das hilft uns schon mal weiter.“

      Jette und Frank standen am Eingang der Halle und warteten. Der Leichenwagen fuhr gerade auf den Hof und Polizeiobermeister Sascha Meier spannte gerade ein rotweißes Polizei-Absperrband um das Grundstück der Halle. „Frank, Sie bleiben mit Meier und Müller da bis Dr. Reiter fertig ist“, ordnete Boschi an und zündete sich eine seiner filterlosen Zigaretten an. Jette hasste seine Qualmerei, liebte aber den Tabakgeruch auf seiner Haut. „Komm Jette, wir müssen nach München. Das Opfer hat einen Namen!“ Während sie zum Auto gingen, informierte Boschi Jette über die Personalien des Opfers und die erste Diagnose von Dr. Reiter.

      „Wie? Es fehlt das Herz?“ Auch Jette erinnerte sich mit Schaudern an ihren letzten Fall.

      „Ja, aber das Herz wurde diesmal brutal aus Brustkorb gerissen und nicht operativ entfernt. Dr. Reiter hat es bisher nicht gefunden!“

      „Verrückt! Boschi, was macht der Mörder mit dem Herz? Sammelt er Trophäen?“ Jette dachte sofort an Angus Streitberger, der Totenschädel auf eine silberne Scheibe gesetzt hatte und damit irgendwelche Geister beschwören wollte.

      „Kann sein. Vielleicht fiel der Täter nach dem Mord in einen Blutrausch. Vielleicht empfindet er Lust an quälen und töten. Jedenfalls ermitteln wir wiedermal gegen einen verrückten Killer“, stellte Boschi fest.

      *

      In der Kaulbachstraße in München schloss am späten Abend der Antiquitätenhändler Hans Köberlin sein Geschäft ab und ging eilig in Richtung Englischer Garten. Der untersetzte, nur 1,60 Meter große Mann mit dreißig Kilogramm Übergewicht und schütterem Haar schwitzte stark, wirkte nervös und unsicher. Wenn das, was er gerade am Telefon erfahren hatte, wirklich stimmte, dann kam das einer Sensation nahe. Er hatte sofort seinen besten Kunden informiert und den Auftrag bekommen, das Angebot umgehend zu sichten und zu kaufen.

      *

      Jette und Boschi waren in München bei der Meldeadresse von Benjamin Sattler angekommen. Schon unterwegs hatten sie von Sepp Brandl erfahren, dass der junge Mann schon seit Oktober letzten Jahres vermisst wurde und in einer Wohngemeinschaft gelebt hatte. Ein Mitbewohner hatte letztes Jahr eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Die WG lag an der Landsberger Straße in einem kleinen Hinterhof. Ein junger Mann öffnete den beiden Kommissaren die Tür. Boschi zeigte seinen Dienstausweis und fragte nach dem Zimmer von Benjamin Sattler. Der Mann, der sie eingelassen hatte, entschuldigte sich aber gleich wieder und verschwand schnell in einer der vielen Zimmertüren. Er ließ Jette und Boschi einfach im Flur stehen, um eine Minute später mit einem prall gefüllten Koffer wieder zu erscheinen. „Das sind Bennys Sachen. Sein Zimmer haben wir schon wieder vermietet. Auf Wiedersehen!“, erklärte er kurz und knapp, drängte die überraschten Kommissare ins Treppenhaus und knallte vor ihren Nasen die Eingangstür ins Schloss.

      „Hallo? Was war das jetzt?“ Boschi war perplex und Jette sprachlos. „So sind wir noch nie abserviert worden, Jette!“ Boschi klingelte noch mehrmals, klopfte und schlug schließlich gegen die Tür, doch niemand machte mehr auf.

      „Boschi, hör auf! Das hat doch keinen Sinn! Ohne Durchsuchungsbeschluss kommen wir da nicht mehr rein. Warte, ich mach das gleich!“ Jette zog ihr Handy aus der Hosentasche und rief im Büro von Oberstaatsanwalt Höglmeier an.

      „Scheiße!“, fluchte Boschi und trat verärgert mit dem Fuß gegen die Tür. „Jette, das dauert doch wieder ewig bis der „Dipferlasscheißa“ in die Gänge kommt!“

      *

      Hans Köberlin wartete am Monopteros im Englischen Garten in München auf seinen geheimnisvollen Anrufer. Die Dämmerung setzte langsam ein und nur eine ältere Frau ging mit ihrem Hund spazieren. Sonst war niemand zu sehen. Die ersten Nebelschwaden zogen durch den Park und Hans fröstelte. Irgendwie fühlte er sich beobachtet.

      „Sind Sie allein?“, fragte plötzlich jemand hinter ihm.

      Der Antiquar drehte sich erschrocken um. „Mann! Wo kommen Sie jetzt her?“ Vor ihm stand plötzlich ein alter Mann mit langen grauen Haaren und hielt ihm einen länglichen Gegenstand entgegen, der mit einem schmutzigen Lumpen umwickelt war. Hans Köberlin wusste sofort, dass vor ihm der fremde Anrufer stand. „Ist es das? Zeigen Sie her?“

      Der