Andre Rober

Ackerblut


Скачать книгу

      In seinem Auto suchte der Mann,

      der in der vorletzten Nacht unbehelligt in der Rechtsmedizin seinen Job verrich­tet hatte, eine geeignete Stelle, um zu telefonieren. Während der Fahrt kam dies für ihn nicht in Frage, denn wegen eines dummen und vermeidbaren Zufalls, von der Polizei unter die Lupe genommen zu werden, konnte er sich nicht leis­ten. In Freiburg hatte er am heutigen Tag schon einmal ver­sucht, seine beiden Kollegen zu erreichen, doch nun war er unterwegs in Richtung Kaiserstuhl, um sicherzugehen, dass seine Anrufe aus unterschiedlichen Funkzellen erfolgten – alles, um für den unwahr­schein­lichen Fall eines Auffliegens seiner Partner schwieriger zu orten zu sein. Jetzt sah er ein Schild, das auf den lokalen Golfclub hinwies, also setzte er den Blinker, bog links ab und suchte sich eine Stelle am hin­teren Ende des geschot­terten Platzes. Dort parkte er rück­wärts im Schatten einer Buche, vergewisserte sich, dass er al­les gut einsehen konnte und stellte den Motor ab. Dann zog er das Prepaidhandy aus seiner Jackentasche und drückte die Wahlwieder­holung. Doch auch diesmal melde­te ihm le­dig­lich die freundlich klingende Frauenstimme, dass die Gegenstelle derzeit nicht zu erreichen sei. Stirn­runzelnd steckte er das Mobiltelefon ein, startete den Wa­gen und bog wieder auf die Hauptstraße.

      Als der riesige Faun Autokran den Renault Sattel­schlep­per einige Zentimeter anhob, trennte sich dieser wie er­wartet nicht von dem darunter eingeklemmten Au­to­wrack. Mit größter Vorsicht begutachteten die Ber­gungs­­spe­zia­listen der Feuerwehr die verkeilten Fahrzeuge und setzten hier und da einen gezielten Schnitt mit der Hy­drau­likschere, bis das Auto wieder zurück in seine ur­sprüng­liche Position sackte. Nachdem die Arbeiter sich und ihr Gerät in Sicherheit gebracht hatten, hob der Kran die Zug­maschine um etwa dreißig Zentimeter an, ohne dass sich der PKW darunter bewegte. Nach dem Okay der Feuer­wehr­männer hob der Kranfahrer den LKW weiter an und schwenkte die Ladung im Zeitlupentempo weg von den Trüm­mern des anderen Autos. Imke Gellert stand etwas ober­halb des Unfallortes und beobachtete die Ber­gung. Sämt­liche Unfallfahrzeuge waren schon in Richtung Titi­see-Neustadt abtransportiert worden. Auch die beiden an­deren Sat­tel­schlepper hatte man auf Tieflader gehoben und weg­ge­bracht. Der rumänische Auflieger stand etwas ab­seits und wartete darauf, abgeholt zu werden. Für die Zugma­schine stand ein weiterer Tief­lader bereit, der die Überreste in eine zertifizierte Fach­werkstatt bringen würde, um die genaue Unfallursache zu ermitteln. Interessiert verfolgten Im­ke und einige Kollegen, wie der Kran den R370 behut­sam weiter anhob und ebenso auf dem Tieflader wie­der absetzte. Während die schwere Ladung von Spezial­isten ge­sichert wurde, traten die Bestat­ter an die Reste des PKW. Ausgerüstet mit schulterlangen Gummihandschu­hen, lan­gen Schürzen und OP-Masken machten sie sich daran, die Überreste der Verunglückten in zwei Plastik­säcke zu pa­cken. Auch kleinere Teile wurden in mühsamer Arbeit aus dem Wrack geborgen. Metall­streben und Pedalerie wurden auf Zeichen der Bestatter von den Feuerwehrmännern zer­schnitten oder weggeflext, damit alle Gliedmaßen und ab­ge­rissenen Leichenteile ein­gesam­melt werden konnten. Im­ke wusste: Diese Arbeit brach­te auch die Hartgesottensten des Berufsstandes an ihre psychischen Grenzen. Nicht nur, dass entsetzlich entstellte, unkenntlich zugerichtete Körper­teile eingesammelt werden mussten. Für eine erste Iden­tifikation war es auch er­for­derlich, die Kleidungsstücke nach persönlichen Gegen­stän­den der Opfer zu durch­su­chen. Im besten Fall konnte ein Portemonnaie mit einem Aus­weis oder Führerschein sicher­gestellt werden. Aber auch Schlüssel oder Handys wur­den in nummerierte Tüten gepackt, um sie später zuor­dnen zu können. Zur gleichen Zeit, wie die Bestatter ihrem trauri­gen Metier nachgingen, machten sich Feuerwehrleute am Heck des Wagens zu schaf­fen, um das, was einmal der Kof­ferraum gewesen war, aufzustemmen und die Inhalte zu sichern. Kurz nachdem sie einen Teil des Daches weg­gebogen hatten und den Raum darunter in Augenschein nahmen, rief einer der Feuerwehrleute in Imkes Richtung:

      »Wir bräuchten hier mal jemanden von der Polizei!«

      Sie hob die Hand und ging hangabwärts, neugierig, was die Männer wohl gefunden hatten, das ihre Beurteilung er­forderte. Am Wrack angekommen, folgte sie mit ihren Blik­ken dem Zeigefinger des Feuerwehrmannes, der sie gerufen hatte. In dem Durcheinander von gequetschtem, defor­miertem Blech, Plastik und Filz konnte sie auch matt­glän­zende Metallteile erkennen. Schnell wurde ihr klar, dass es sich hier um zwei oder drei sehr stark beschädigte Alu­minium­koffer handelte. Einer war derart aufgerissen, dass Im­ke einen Teil des Inhaltes sehen konnte. Vor ihr lagen zwei Faustfeuerwaffen und sie konnte auch eine Ma­schi­nenpistole erkennen. Wegen der 9mm Patronen, die rund um eine aufgerissene Munitionsschachtel lagen, war sie so­fort sicher, dass es sich nicht um Softair oder Gotcha Waffen handelte. Ihr lief es kalt den Rücken herunter.

      »Stopp!«, rief sie laut. »Die Arbeiten sofort einstellen, tre­ten Sie bitte alle von dem Fahrzeug zurück! Wir brauchen die Spurensicherung und die Kriminalpolizei!«

      Sarah konnte die Freude in ihrem Gesicht nicht gänzlich un­­terdrücken, als sie die Tür zu ihrem Büro öffnete. Ihr Part­ner Bierman, der an dem rechten der beiden sich ge­gen­überstehenden Schreibtische in eine Akte vertieft war, nahm zunächst keine Notiz von ihr. Sie schloss die Tür und blieb provokativ, ohne ein Wort zu sagen mit der Klinke in der Hand stehen. Es dauerte immerhin eine halbe Minute bis Bierman ein wenig irritiert aufschaute.

      »Lassen Sie mich raten, Sie möchten mir sicher etwas mit­teilen.«

      Sarah nickte.

      »Nichts Großartiges, aber ich freue mich darüber«, sagte sie.

      »Na, dann mal los.« Wirklich neugierig klang Bierman al­ler­dings nicht.

      Sarah zog ihre Heckler&Koch aus dem Halfter und ließ sie mit dem Abzugsbügel an ihrem Zeigefinger baumeln.

      »Aha, Sie haben den Schießtest bestanden und Ihre Waffe er­halten. Dann kann ich Ihnen mein Leben ja nun beden­kenlos anvertrauen.«

      Ob diese Feststellung einen etwas spöttischen Unterton ent­­hielt oder Bierman einfach ein wenig belustigt auf ihre kindliche Freude reagierte, konnte Sarah nicht entscheiden, dazu war ihr der Kollege einfach noch zu undurchsichtig. Als er aber gratulierte und jetzt sind wir ein vollwertiges Team hinzufügte, war sie sich sicher, dass er sie nicht hatte ver­äppeln wollen.

      »Sechsunddreißig aus der vier mal zehn Serie. Zwei neu­ner, eine acht«, teilte Sarah ihr sehr respektables Ergeb­nis mit. »Und der schlechteste Schuss bei allen Übun­gen ei­ne ein­­zige sechs.«

      »Nicht schlecht«, antwortete Bierman und Sarah ging an ihren Schreibtisch, auf dem immer noch zwei ungeöffnete Papp­kartons standen.

      »Ich sollte mich wohl so langsam mal häuslich ein­richten«, stellte sie mit einem gespielt sorgenvollen Gesicht fest.

      Gerade als sie die Pistole wieder in das Gürtelhalfter ge­steckt und einen der beiden Kartons geöffnet hatte, klin­gel­te das Telefon.

      »Gröber«, nuschelte Bierman und das angewiderte Gesicht sprach Bände. Doch während des Gesprächs hörte er dem Res­sortleiter aufmerksam zu und legte schwungvoll den Hö­rer auf.

      »Das häusliche Einrichten muss warten. Wir treffen uns im Besprechungszimmer mit den anderen. Er will ein Kurz­brie­fing mit uns machen. Anscheinend hat es bei einem Un­fall im Höllental einen Waffenfund gegeben.«

      Sarah sah sich das Chaos auf ihrem Schreibtisch an, das sie so gerne in eine geordnete Arbeitsstätte überführt hätte. Nach eingehender Betrachtung der Gesamtsituation ent­schied sie, dass die Seite ihres Partners auch nicht besser aus­sah.

      »Okay, dann lassen Sie uns gehen«, sagte sie, zog einen Col­­leg­eblock aus dem Durcheinander und steuerte wieder die Tür an. Bierman stand auf und folgte ihr zu dem Be­sprechungsraum, wo sich bereits der gleiche Kreis einge­funden hatte, wie bei ihrer Begrüßung zwei Tage zuvor.

      »Ich möchte es ganz kurz halten«, kündigte Ressortleiter Grö­ber an, nachdem Sarah, Bierman und die Kollegen Po­lo­­cek, Berner und Pfefferle am Konferenztisch Platz ge­nom­­men hatten.

      »Wie Sie vielleicht