Andre Rober

Ackerblut


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melde mich mit jedem neuen Zwischenergebnis«, ver­sprach er zum Abschluss. Auf dem Weg nach oben sah Sa­rah erschrocken auf ihre Armbanduhr.

      »Oh«, sagte sie. Ich habe in zehn Minuten meinen Termin auf dem Schießstand, schaffen wir das noch?«

      Bierman ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

      »Jep«, sollte das einzige sein, was er dazu sagte.

      Als Polizeimeisterin Imke Gellert

      mit ihrem Partner Sven Baldas mit Blaulicht auf der B31 Richtung Höllental fuhr, hatte sie bereits ein flaues Gefühl in der Magengegend. Sie wusste nicht viel über den Unfall, zu dem sie gerufen wor­den waren, doch das Wenige reichte, um sich ein Schre­ckens­bild auszumalen. Ein Vierzigtonner hatte, aus Titisee kommend, nicht weit hi­n­ter der berüchtigten Nadelöhr­kurve an Fahrt aufge­nommen und schließlich in der Kehre, kurz bevor die Stra­ße zweispurig wurde, die Mittellinie über­fahren und dabei ein bergauf fahrendes Fahrzeug fron­tal getroffen. Im An­schluss seien noch mindestens drei wei­tere Fahrzeuge in den querstehenden Auflieger gerast. Über Tote und Verletz­te war noch nichts bekannt. Da Imke und Sven gerade in Kap­pel auf Streife waren, würden sie aller Wahr­schein­lichkeit nach die ersten Einsatzkräfte am Unfall­ort sein, die freiwilligen Feuerwehren des Dreisamtales viel­leicht ausge­nommen. Jedoch konnte Imke immer, wenn sie konzentriert ein vorausfahrendes Fahrzeug überholte, im Rückspiegel ein ganzes Meer von Blaulicht erkennen. Die Feuerwehr und Rettungswagen aus Freiburg waren also kurz hinter ihnen. Bei Buchenbach registrierte Imke, dass ihnen keine Fahrzeuge mehr entgegen kamen, so dass es einfacher wurde, die anderen Autos zu überholen. Un­mit­telbar hinter ihnen fädelten sich zwei Wagen der frei­will­ligen Feuerwehr Buchenbach ein und blieben prak­tisch in ihrem Wind­schatten. Kurz vor dem Ortsschild Fal­ken­steig ver­lang­sam­te sich der Verkehr deutlich und beim Gast­hof Zu den zwei Tauben kam die Blechkolonne vollends zum Stillstand. Da die Straße offensichtlich in beiden Richtungen vollständig blockiert war, konnte sie es wagen, zügig auf der Ge­gen­spur an dem Stau vorbeizufahren. Über Funk hör­ten Imke und Sven, dass sich auch aus Hinterzarten und Titisee Ein­satzkräfte der Unfallstelle näherten. Aber auch sie hatten den Ort des Geschehens noch nicht erreicht. Als sie auf Hö­he der St. Oswald Kapelle die ersten Autos wenden sah, muss­te sie Tempo wegnehmen und nutzte die Chance, das Radio einzuschalten. Ein Sprecher verkündete gerade, dass laut eines Staumelders die Höllentalstrecke durch einen quer­­stehenden LKW blockiert sei und riet Ortskundigen, das Gebiet zu umfahren. Es sei noch nicht abzuschätzen, wann die Unfallstelle geräumt sei, da die Rettungskräfte noch nicht vor Ort seien. Dann verwies er noch auf die SWR3-Stauhotline und spielte anschließend Budapest von George Ezra ein. Imke schaltete das Radio aus. Erfreulich, wie schnell solche Informationen mittlerweile die Auto­fahrer erreichten.

      An der Unfallstelle erwartete sie ein schreckliches Bild, das der nüchtern vorgetragenen Meldung aus dem Rundfunk auf das Schlimmste entgegenstand. Gott sei Dank hatten sich etliche Menschen eingefunden, die nicht bloss gafften, sondern tatkräftig Hilfe leisteten. Am Straßenrand lagen mehrere Personen, an deren Seite Helfer Verbände anlegten oder einfach nur gut zuredeten. Bei zwei auf dem Boden liegenden Verletzten wurden Wiederbelebungs­maßnahmen durchgeführt. An einem Autowrack versuchten Helfer durch die geborstene Windschutzscheibe und das Seiten­fenster, die eingeklemmten Insassen zu versorgen.

      »Mein Gott«, entfuhr es Imke. »Schlimmer als ich dachte.« Entgegen der Informationen, die sie bei ihrer Alarmierung erhal­ten hatten, waren mindestens sechs Fahrzeuge in den Auf­lieger und ineinander geprallt. Bei einigen Trümmer­haufen konnte sie nicht einmal sagen, um wie viele Autos es sich da­bei handelte. Sie konnte sich denken, dass es auf der an­deren Seite ähnlich aussehen musste.

      »Fordere Rettungshubschrauber an. DRF, ADAC, Schwei­zer Rettungsflugwacht. Alles was zu kriegen ist. Das hier gleicht einer Katastrophe!«

      Sie fuhr den Wagen auf die Wiese, stieg aus und versuchte in dem Chaos zu entscheiden, wo sie beide am dring­end­sten gebraucht wurden.

      »So, sehen Sie sich Ihre neue Waffe erst mal an.«

      Sarah nahm die schmucklose Pappschachtel mit der Auf­schrift Heckler&Koch vom Waffenmeister entgegen. Sie trat an den Schießstand, stellte die Schachtel vor sich ab und öffnete den Deckel. Vorschriftsmäßig hielt sie die Mündung stets in Richtung des fünfundzwanzig Meter entfernten Ku­gelfangs, während sie die Pistole begutachtete. Sie kam ihr etwas kleiner und ein wenig leichter vor als die P225, die sie in Flensburg und zuletzt in Husum bei sich getragen hatte.

      »Sagen Sie mir, was Sie sehen.« Der Waffenmeister war ne­ben Sarah getreten und beäugte jede ihrer Bewegungen. Sie hob die Augenbrauen ein wenig. So, wie es aussah, wollte er wirklich auch die Basics überprüfen, die Art, wie sie die Waffe nahm, ob sie die Sicherheitsregeln beachtete und jetzt auch noch diese Frage. Sie widerstand dem Versuch, über­mäßig selbstsicher und cool zu reagieren, sondern antwor­tete sachlich.

      »Halbautomatische Waffe mit Griffstück aus Kunststoff. Of­fene, feste Visierung, beidseitiger Schlittenfanghebel. In­nenliegender Hahn, demnach Double Action. Stangen­ma­gazin, so, wie es aussieht, zweireihig.«

      Sie zog den Schlitten zurück, drückte den Fanghebel nach oben und sah in das Patronenlager.

      »Waffe ist ungeladen, Magazinschacht und Patronenlager sind leer.«

      »Gut! Wie liegt sie in der Hand? Ich habe das kleinste Griff­stück montiert.«

      Sarah nahm die Waffe in Anschlag, bediente den Fang­he­bel, worauf der Schlitten nach vorne schnellte. Dann er­tas­te­te sie den Magazinlöseknopf, legte den Zeigefinger ent­lang des Abzugsbügels und bewegte die Finger, die das Griff­stück umfassten, einige Male.

      »Ich denke, das passt. Ich komme an alle Bedienelemente heran und der Griff fühlt sich gut an«, antwortete sie. »Kann es sein, dass sie etwas leichter ist als die P225?«

      Der Waffenmeister bestätigte ihre Vermutung.

      »Etwa einhundert Gramm. Das spielt aber nur im unge­la­denen Zustand eine Rolle. Die P225 fasst maximal acht Pa­tronen. In die P2000 bekommen Sie sechzehn rein. Voll­ge­laden haben die beiden fast das identische Ge­wicht.«

      Sarah nickte. Sie nahm eines der beiden Magazine aus der Schachtel und sah es sich an.

      »Wo liegt der Visierpunkt auf die fünfundzwanzig Me­ter?«, fragte sie.

      »Bei dieser hier etwa zehn Zentimeter unter Ziel. Habe sie selbst eingeschossen.«

      Er spannte eine Zielscheibe in die entsprechende Vorrich­tung und ließ sie mittels elektrischen Seilzuges bis ans Ende der Bahn fahren.

      »Gehen Sie mal in den Anschlag und drücken Sie einige Ma­le ab. Dann haben Sie das Gefühl für den Double Action Abzug.«

      Nachdem Sarah den leeren Schießstand mit einer Anzahl von metallischem Klicken erfüllt hatte, trat der Ausbilder an ei­nen Tresor und kam mit einem 50er Päckchen 9mm Luger, zwei Gehörschützern und einer Schießbrille zurück.

      »Wie fühlt es sich an?«, fragte er.

      »Gut«, antwortete Sarah kurz.

      »Na, dann machen wir mal ein wenig Lärm.«

      Er händigte ihr die Utensilien aus und setzte seinen eige­nen Gehörschutz auf.

      »Waffe mit fünf Schuss laden!«

      Sarah öffnete das Pappschächtelchen und stellte die kleine Kunststoffpalette auf die Ablage. Sie drückte fünf Messing­patronen in das Magazin, schob es in den Griff und zog den Schlitten durch.

      »Bereit?«

      »Bereit!«

      Sarah nahm die Waffe in beide Hände, hielt sie im fünf­undvierzig Grad Winkel nach unten geneigt vor sich und wartete.

      »Dann Feuer frei!«

      Sie hob die Pistole