Andre Rober

Ackerblut


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über die menschenleere Kreu­zung und zog sich im Laufen Einmal­handschuhe an. Am Eingang zur Rechtsmedizin angekom­men studierte er die Zutritts­kontrolle. Ein müdes Lächeln huschte über sein Ge­sicht. Er förderte ein Lederetui aus sei­ner Jackentasche zu­tage und wählte eine Karte von der Größe einer EC-Karte aus. Diese zog er einmal langsam durch den Schlitz der elek­tronischen Zugangskontrolle. Da­nach schob er die Kar­te in einen kleinen Apparat im Taschenrechnerformat und beobachtete das Spiel der auf der Front rot blinkenden LEDs. Eine nach der anderen wech­selte die Farbe, bis die ganze Reihe grün leuchtete. Das Gerät verschwand wieder in seiner Innen­tasche, die Karte zog er abermals durch den Schlitz der Zutrittskontrolle. Als ein leises Summen die Entriegelung des Schlosses anzeigte, stieß er die Glastür auf und trat in das Dunkel des Raumes.

      Die beiden Männer in dem

      schwarzen Land Rover warte­ten geduldig, bis das Fahrzeug, das ihnen eben am Telefon beschrieben wurde, um die Ecke bog und, die Geschwin­digkeitsbegrenzung von 30km/h peinlich ge­nau einhaltend, an ihnen vorbeischlich. Erst als die Fah­rerin an der nächsten Kreuzung den Blinker rechts setzte, startete der Mann hinter dem Steuer des Gelände­wagens den Motor und fuhr los. Nicht dass er damit ge­rechnet hätte, dass die Fahrerin des vorausfahrenden Wa­gens ihn sonst bemerkt hätte – sie war ja schließlich kein Profi – aber die Macht der Gewohn­heit ließ sich nicht so leicht abschütteln. Ohne sich dem Auto weniger als fün­fzig Meter zu nähern, folgte er dem Zielobjekt Richtung Süden. Das Lörracher Kenn­zei­chen ließ darauf schließen, dass die Verfolgte entweder den Weg über den Schauins­land nach Todtnau oder über die Au­tobahn in Richtung Lörrach einschlagen würde. Beide Strecken boten mehrere Optionen, den Auftrag mit ge­ringem Risiko zu erledigen. Sollte es nicht während der Fahrt ge­lingen, würden sie die Mit­arbeiterin der Rechts­medizin bis nach Hause verfolgen und dort einen alter­nativen Plan ent­wickeln.

      »Autobahn«, sagte sein Beifahrer, als der Fiat am Basler Tor rechts auf die Ausfallstraße in Richtung Eugen-Keidel-Bad abbog. Tatsächlich fuhr der Wagen vom Zu­bringer Süd auf die A5 nach Basel. Außer der Verfolgten war kein Auto zu sehen. Der Fahrer fasste einen Entschluss.

      »Wir nehmen eine Notausweiche. Die Rastplätze stehen um diese Zeit voll mit LKW.«

      Der Beifahrer nickte und bediente das Navi in der Mittel­konsole.

      »In etwa zwölf Kilometern«, sagte er und drehte sich zum Rücksitz. Er öffnete einen Koffer und entnahm ihm eine Po­lizei­kelle. Er testete kurz die Beleuchtung und nickte dem Fahrer aufmunternd zu. Einige Minuten fuhren sie schwei­gend weiter, dann setzte der Fahrer zum Überholen an. Rechtzeitig vor der Nothaltebucht ließ der Beifahrer die Sei­ten­scheibe hinunter und schwenkte die Kelle, während der Fahrer sukzessive die Geschwindigkeit verringerte. Auf­merk­sam beobachtete er im Rückspiegel, wie die Fahrerin des Pandas ebenfalls langsamer wurde und ihnen gehorsam über den Seitenstreifen in die Haltebucht folgte. Kaum war der Land Rover zum Stillstand gekommen, stie­gen die bei­den Männer aus und gingen betont langsam auf den Opel zu. Während der Fahrer so tat, als würde er auf einem No­tiz­block das Kennzeichen notieren, trat der Bei­fahrer an die Fahrertür. Das Fenster hatte die Frau bereits herunter­ge­kurbelt, im Schein seiner Taschenlampe meinte der Mann zu erkennen, dass sie leicht nervös, jedoch nicht ängstlich war.

      »Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?«

      »Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich habe mich ge­nau an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten.«

      »Ihr rechtes Rücklicht ist kaputt. Führerschein und Fahr­zeugpapiere bitte.«

      Der Mann wählte bewusst einen nicht sehr freundlichen, aber auch nicht unverschämten Ton. Die Frau nahm ihre Hand­tasche vom Beifahrersitz und kramte eine Weile darin herum. Schließlich fand sie ihr Portemonnaie und zückte einen rosafarbenen Euro-Führerschein, den sie dem Mann hin­hielt. Während er diesen entgegennahm, versuchte Mi­chelle Schneider, sich aus der Situation herauszureden.

      »Sehen Sie, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich natürlich an eine Tankstelle gefahren und hätte eine neue Birne ge­kauft. Aber ich habe das nicht bemerkt und der TÜV ist gerade mal vier Monate her. Können Sie nicht…«

      »Die Fahrzeugpapiere«, unterbrach der Mann, behielt den Führerschein in der Linken und streckte die Rechte Mi­chelle entgegen.

      »Die müssen wohl im Handschuhfach sein…«, stotterte sie, löste den Sicherheitsgurt und beugte sich hinüber zum Bei­fahrersitz.

      »Stop!«

      Michelle hielt inne.

      »Steigen Sie bitte aus.«

      Sie zögerte einen Moment, seufzte hörbar, stieg aus, schlug die Tür zu und blieb daneben stehen.

      »Hören Sie, bitte, die Papiere sind im Handschuhfach und es ist doch nur ein kaputtes Rücklicht. Ich…«

      »Öffnen Sie bitte den Kofferraum.«

      »Den Kofferraum? Aber ich…«

      »Den Kofferraum, jetzt!«

      Der scharfe Ton veranlasste Michelle sich in Bewegung zu setzen und um das Auto herumzugehen. Um die Frau nicht unnötig nervös zu machen, folgte der Mann ihr in ge­bührendem Abstand. Ohne zu bemerken, dass beide Rück­lichter rot leuchteten, öffnete sie den Kofferraum­de­ckel, wandte sich dem Mann wieder zu und sagte in leicht trotzi­gem Ton:

      »Bitte schön, wie Sie wünschen.«

      Der zweite Mann, den sie über die Diskussion mit dem ver­meintlichen Polizisten völlig vergessen hatte, tauchte laut­los hinter ihr auf. Noch bevor sie auch nur bemerkte, dass er hinter ihr stand, holte er mit einem Totschläger aus und traf mit dem Hartgummi präzise eine Stelle hinter und ober­halb der Ohrmuschel. Sofort sank sie bewusstlos zu­sam­men und schlug hart auf den Asphalt. Unmittelbar darauf schritt der zweite zur Fahrertür, lehnte sich hinein und schaltete das Licht aus. Anschließend durch­such­ten die beiden Männer, ohne sich abzusprechen, Koffer­raum, Handtasche und Pas­sa­gierraum nach Dokumenten oder Aufzeichnungen, die sie vielleicht aus der Rechts­me­dizin mitgenommen hatte. Als sie nach professioneller Erle­digung wieder am Heck des Wagens zusammentraten, frag­te der Beifahrer:

      »Raubmord oder Sexualverbrechen?«

      Der Angesprochene überlegte kurz.

      »Sexualverbrechen. Ist unter diesen Umständen wahr­schein­­licher.«

      Der Beifahrer nickte und schritt zur Tat. Er zog sich ein Paar alte Lederhandschuhe über, packte die bewusstlose Frau unter den Achseln und schleppte sie an den Rand der Parkbucht.

      »Dort drüben im Gebüsch?«

      Der Fahrer sah kurz auf.

      »Ja, dort ist gut. Wälze sie ein wenig hin und her, die Spu­ren müssen auf wildes, gewaltsames Handeln hin­deuten.«

      Der Beifahrer legte die Frau an der bezeichneten Stelle ab, wälzte sie in die eine und in die andere Richtung, knickte einige Zweige und schleifte sie noch einige Male über den Boden. Während er in der Folge der Frau mit Gewalt die Blu­se zerriss und den BH mit einem Taschenmesser auf­schnitt, trat der Fahrer an den Kofferraum des Land Rover, wählte einen von drei identisch aussehenden Alu­mi­nium­koffern aus und öffnete ihn. Er nahm eine Packung mit Kon­domen, packte eines aus und stülpte es über einen sehr stattlichen Plastikpenis. So ausgerüstet ging er hinüber zu sei­nem Partner, der soeben einen Schuh der Frau ins Ge­büsch geworfen hatte und jetzt dabei war, ihre Jeans mög­lichst bru­tal herunterzureißen.

      Das grün-weiße Licht der Hinweise zu den Notausgängen reichte ihm aus, um sich in dem Gebäude zu orientieren. Das Nachtsichtgerät hatte er im Auto gelassen. Er mochte die­ses Gadget nicht. Es war schwer und er musste seine Bril­le absetzen, um es zu tragen. Natürlich verfügte es über eine einstellbare Dioptrie-Korrektur, jedoch musste er, wenn er das Gerät absetzte, zunächst seine Brille her­vorkramen und aufsetzen. Und das konnte ihn, wenn die Um­stände