Andre Rober

Ackerblut


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er und Sarah stiegen aus.

      »KTU? Rechtsmedizin?«, fragte er den Polizisten, der an der Motorhaube des Sprinters lehnte und mit einem Camcorder die Menge filmte.

      »Noch nicht da!«, antwortete dieser ebenso knapp, ohne sein Auge von dem Okular des Gerätes zu nehmen.

      »Da drüben liegt sie.«

      Er zeigte auf den Wassergraben, der sich wenige Meter hin­ter den Fahrzeugen erstreckte und auf beiden Seiten in der Entfernung verlor.

      »Sie?«, fragte Sarah und nahm die von Bierman angereich­ten Latexhandschuhe entgegen.

      »Die Leiche. Ist aber offensichtlich ein Mann.«

      »Wer hat die Leiche gefunden?« Sarah zupfte den weißen Latex zurecht.

      »Zwei Frauen, die sich hier kennengelernt haben. Die eine Ende dreißig, die andere ein Teenager. Waren beide auf der De­mo. Die Jüngere hat in dem Gerangel wohl einiges abbe­kommen und wurde von den Sanis in die Uniklinik ge­bracht. Die andere wollte sie begleiten.«

      Bierman hob die Augenbrauen.

      »Aussage? Personalien?«

      »Personalien sind erfasst. Aussagen sind mager. Haben den Leichnam von da drüben aus entdeckt. Die Ältere hat nicht lange gefackelt und sofort den Notruf gewählt. Dann ist sie in den Graben gesprungen, hat den Toten irgenwie rausge­wuchtet und sofort mit der Wiederbelebung begonnen.«

      »Und uns so den Fundort kontaminiert und verwüstet.« Bier­man schien die sofortige Reanimation nicht gutzu­hei­ßen, auch wenn sie die Person unter Umständen gerettet hät­te. Er trat zu dem Leichnam und sah, die behand­schuh­ten Fäuste in die Hüften gestemmt, nach unten. Sarah bezog neben ihm Stellung, versuchte den Lärm im Hintergrund auszublenden und begutachtete ebenfalls die Situation. Die Person, die mit aufgerissenen Augen und ebensolchem Hemd vor ihnen lag, schätzte sie auf etwa einen Meter fünf­undsiebzig groß. Sie war, soweit der olivgrüne Parka und die braune Cordhose eine Beurteilung zuließen, normal ge­baut. Die Haare waren mittelblond und relativ lang. Sofort fiel ihr auf, dass die eine Hand zur Faust geballt war und etwas Gras und ein kleines Stöckchen umfasst hielt.

      »Er war noch nicht tot, als er herunterfiel«, lenkte sie Bier­mans Aufmerksamkeit auf ihre Beobachtung. »Er hat noch versucht, sich festzuhalten.«

      Biermann nickte und förderte einen Teleskopkugel­schrei­ber zutage. Er zog ihn aus und deutete auf eine Stelle, wo am Rand des Kanals in dem grünen Bewuchs etwas braune Erde und deutliche Spuren von Fingern zu sehen waren.

      »Dort hat er sich festgekrallt.«

      Sarah besah sich die Stelle genau und kam zu demselben Schluss wie ihr Partner.

      »Gestolpert, gestoßen oder zusammengebrochen?« Bierman sah vor sich auf den Boden. »Können Sie Kampf­spuren erkennen?«

      Auch Sarah sah hinunter zu ihren Füßen und versuchte, An­zeichen für eine gewaltsame Auseinandersetzung zu fin­den, konnte aber keinerlei auffällige Spuren in dem moos­igen Bewuchs erkennen.

      »Ich sehe nichts«, sagte sie und schaute sich auch das wei­tere Umfeld an. Doch außer den Knieabdrücken neben der Leiche, die offensichtlich von den gescheiterten Rettungs­ver­suchen der engagierten Krankenschwester stammten, war nichts zu erkennen.

      »Warten wir auf die KT. Mal sehen, was die sagen.«

      Kaum hatte Bierman ausgesprochen, näherten sich zwei Fahr­zeuge. Ein großer Kastenwagen mit Behörden­kenn­zei­chen und dahinter ein ziviler Mercedes Kombi. Sarah folgte ihrem neuen Partner, der den Mitarbeitern der KT zuwink­te, aber an dem Wagen vorbeiging und auf den Kombi zu­hielt.

      »Kommen Sie, Frau Hansen, ich stelle Sie unserem Rechts­mediziner vor.«

      Neugierig beobachtete Sarah, wie ein graumelierter End­vierziger dem Wagen entstieg und breit lächelnd auf ihren Partner und sie zukam.

      »Tag, Schwarz!« Bierman schüttelte dem sympathisch wir­kenden Mann trotz seines Latexhandschuhs die Hand.

      »Einen schönen guten Tag, Herr Bierman«, erwiderte dieser und richtete seinen Blick sofort auf Sarah.

      »Ihre langersehnte neue Kollegin?«

      Sarah sah Bierman lächeln.

      »Ja, endlich. Darf ich Ihnen Frau Hansen vorstellen? Frau Han­sen, Dr. Schwarz.«

      Noch bevor Sarah ihren Latexhandschuh abstreifen konnte, ergriff der Rechtsmediziner ihre Hand und schüttelte sie mit einem kräftigen Griff.

      »Herzlich willkommen!«, sagte er. »Und, hat er Sie an Ih­rem ersten Tag schon mal so richtig vor den Kopf gesto­ßen?«

      Leicht verlegen sah Sarah ihren neuen Partner von der Sei­te an. Als sie sich jedoch sicher war, dass der Hinweis auf seine zurückhaltende, wortkarge Art bei Bierman ein Lä­cheln hervorrief, wagte sie eine kesse Antwort.

      »Ständig«, sagte sie. »Wenn ich mir vorstelle, dass wir von jetzt an ein Team sind…«

      Bierman lächelte immer noch, wechselte jedoch sofort das Thema.

      »Zu dem Toten können wir noch nichts sagen. Wie Sie se­hen, ist die KT gerade erst eingetroffen. Es deutet aber ei­ni­ges darauf hin, dass der Verstorbene noch gelebt hat, als er in den Graben stürzte. Bin wirklich gespannt, was Sie nach­her sagen.«

      »Nachher? Mein lieber Bierman, Sie schrauben Ihre Erwar­tungen wieder mal viel zu hoch.«

      Schwarz zwinkerte Sarah zu.

      »Das ewige Klischee vom Kommissar, der den Rechts­medi­ziner zur Eile treibt. Herr Bierman erfüllt es, wann immer er mir etwas zum Zerlegen liefert.«

      Bierman, der den leicht verstörten Blick Sarahs bemerkt ha­ben musste, konnte ein Lächeln nicht verbergen als er pa­rierte:

      »So ist er nun mal, unser Doktor Tod. An ihn werden Sie sich ge­nauso gewöhnen müssen, wie an mich.«

      »Der Tote heißt Herbert Meyer.

      Um genau zu sein, Pro­fes­sor Doktor Herbert Meyer. Er ist hier in Freiburg gemel­det und hat, unseren bisherigen Ermittlungen zufolge, einen Lehrstuhl an der Fakultät für Mikrosystemtechnik inne. Nach Verwandten wird derzeit noch gesucht.« Tho­mas Bier­man warf mit Hilfe eines Beamers ein Bild des Per­sonalausweises an die Leinwand, den die KTU ihnen nach akribischer Tatortaufnahme überreicht hatte. Mehrere Stun­den waren Sarah und Bierman auf dem Feld geblieben, um die Informationen aufzunehmen, die Schwarz und die Kol­legen von der Technik schon geben konnten. Erst als klar war, dass nichts auf die Anwesenheit einer zweiten Person hindeutete, hatten sie den Weg ins Präsidium ange­treten. Dort hatte Pfefferle sie abgefangen und ihnen mitgeteilt, dass er selbst sowie Berner und Polocek sie mangels an­derer Arbeit unterstützen würden. Jetzt saßen alle im Be­sprechungsraum und horchten den Aus­führungen Bier­mans.

      »Der Tote weist, sofern das im bekleideten Zustand fest­zustellen ist, keine offensichtlichen äußeren Verletzungen auf, was ebenso wie das Nichtvorhandensein anderer ver­dächtiger Spuren darauf schließen läßt, dass er entweder gestolpert ist, oder aber etwas anderes seinen Zusammen­bruch hervorgerufen hat.«

      »Wie kann es sein, dass keine weiteren Spuren gefunden wur­den?« warf Karen Polocek ein. »Da waren doch an die viertausend Demonstranten!«

      Bierman sah Sarah aufmunternd an, die auch sogleich das Wort ergriff.

      »Die Demonstration fand etwas abseits dieser Stelle statt. Deswegen haben wir die Vermutung, dass Meyer entweder überhaupt nicht an der Demo teilgenommen hat und bereits vorher dort zu Tode gekommen ist, oder aber sich aus der Menschenmenge zurückgezogen hat. Vielleicht weil ihm schlecht geworden ist? Vielleicht, weil er einen Schwindel­anfall hatte? Dr. Schwarz zufolge könnte es sich bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt genau so abgespielt haben. Die genaue Todeszeit und die Ergebnisse der Obduktion wer­den Aufschluss geben.«