Andre Rober

Ackerblut


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Taschenlampe riskierte, entdeckt zu werden, begnügte er sich mit den Gege­benheiten. Zunächst suchte er das zweite Obergeschoss auf. Er zählte die Türen, die auf der linken Seite des Korridors abgingen, und blieb vor der sechsten stehen. Wenn er sich nicht irrte, musste dies das Büro der Frau sein, die eben die Rechts­medizin verlassen hatte. An der Tür oder dem Rahmen war keine elektronische Zugriffssicherung ange­bracht, also drück­te er langsam die Klinke herunter. Der Eingang öffne­te sich und er glitt durch einen schmalen Spalt in den Raum. Als er die Tür schloss war er sehr dankbar über den glücklichen Um­stand, dass unmittelbar gegenüber der Büro­tür in dem Flur einer der Rettungs­weghinweise ange­bracht war, dessen Schein durch das Oberlicht drang und den Raum hinreichend aus­leuch­tete. Er richtete seine Auf­merksamkeit auf den Schreib­tisch, wo mitten auf der Platte ein kleiner Stapel Pa­piere lag. Als er sie aufnahm und nä­her ans Licht hielt, erfüllte sich seine Hoffnung. Es handelte sich um Aus­drucke von Rönt­genbildern, die ganz offen­sichtlich für den morgigen Tag vorbereitet waren. Er faltete die Handvoll Blätter zweimal und steckte sie in seine Sei­tentasche. Dann kniete er sich zu Boden und ertastete den Minitower des Computers. Dort, wo das Stromkabel einge­steckt war, legte er seitlich und hinten seine Hand auf – die Umgebung des Netzteils war kalt. Sie hatte also nicht am PC gearbeitet. Das war ein gutes Zeichen, so musste er sich zumindest hier nicht um die Vernichtung von Spuren kümmern. Er kon­trollierte noch den Postausgangskorb, ließ seinen Blick prüfend durch das gesamte Büro schweifen und trat an­schließend wieder auf den Gang. Sein nächstes Ziel war der Kühlraum, dessen Lokalisierung dank der ord­nungsge­mäßen Be­schriftung des Aufzugstastenfeldes sehr leichtfiel. Ebenso schätzte er den Umstand, dass diese sen­sible Etage durch einen einfachen Knopfdruck anzusteuern war und nicht durch einen Schlüssel gesichert wurde. Die Benutzung der Treppe hätte, wenn auch nur geringfügig, die Gefahr der Entdeckung von außen erhöht. Er wusste: Es war mitunter die Summe der unbedachten Kleinigkeiten, die ein Vorha­ben zum Scheitern bringen konnten. Als sich die Aufzugs­türen wieder öffneten, blickte er im Licht der Notaus­gangsbeleuchtung erst nach links, dann nach rechts. Die Edelstahl-Doppeltür am Ende des Ganges schien der Ein­gang des Kühlraumes zu sein, und als er deren Klinke nie­derdrückte, öffnete sie sich wider Erwarten und im Inne­r­en des Raumes sprangen sechs Neonröhren an. Sofort ließ er den Blick schweifen und schloss die Tür hinter sich, nach­dem er festgestellt hatte, dass der Raum keine Fenster hatte. An den quadratischen Schubfächern dankte er der deut­schen Tugend, alles sorgfältig und sofort zu erledigen, und öffnete die Klappe, die handschriftlich mit Her­bert Meyer beschriftet war. Er zog die Bahre zu etwa einem Drit­tel aus der dunklen Kammer und schlug das weiße Lein­tuch bis zu den Schultern zurück. Mit einem Griff brachte er die Röntgenbilder aus seiner Tasche zum Vor­schein und studierte sie eingehend.

       Genau da, wo es sein soll!

      Er griff erneut in seine Tasche, förderte diesmal ein Cor­du­ra­etui zutage, öffnete dessen Reißverschluss und legte es dem Leichnam auf die Brust. Er entnahm eine 10ml Glas­spritze und schraubte eine großkalibrige Kanüle auf. Dann ging er neben der Bahre in die Knie, griff nach seiner Ta­schenlampe und untersuchte den äußeren Gehörgang der nun auf Augenhöhe liegenden Leiche. So wie es ihm beige­bracht worden war, stach er mit der dicken Nadel am obe­ren Rand durch das Trommelfell und schob sie etwa einein­halb Zentimeter tief ein. Als er behutsam an dem Kolben zog, füllte sich dieser langsam mit einer Mischung aus einer trü­ben, gelblichen Flüssigkeit und Blut. Er schraubte die Spritze vorsichtig ab, und beließ die Kanüle im Gehörgang. Mit seinen Fingern nestelte er in seiner Tas­che bis er ein unspektakuläres, in etwa der Größe eines Zigarettenpäck­chen entsprechendes Käst­chen herausholte. Er drückte auf einen Knopf und fuhr da­mit einige Male an der vollen Sprit­ze entlang. Nichts ge­schah. Ob es richtig funktionierte? Er hielt das Gerät an das Ohr des verstorbenen Herbert Mey­er und sofort begann eine grüne LED rhythmisch zu blinken. Damit war klar, dass der Detektor in seiner Hand sehr wohl funktionierte, er bei seinem ersten Versuch den gesuchten Gegenstand aber noch nicht in seine Spritze ge­saugt hatte. Er schnalzte mit der Zunge und sah sich um. An der Wand links der Kühl­fächer befand sich ein Edel­stahlwaschbecken, in das er, ohne zu zögern, die Spritze ent­leerte, bevor er sie wieder vor­sichtig an die Kanüle schraubte, die sich noch immer im Ohr des Toten befand. Er schob die Nadel noch etwas tiefer ein und füllte die Spritze erneut. Abermals nahm er den Detektor zur Hand und prompt blinkte er grün, als er ihn an der Spritze vorbei­führte. Neugierig hob er das Gefäß gegen das Licht, doch im inneren der Flüssigkeit war nichts zu erkennen. Zu­frieden schraubte er einen Verschluss auf die Glasspritze, zog die Kanüle aus dem Gewebe und verstaute beides in dem Etui. Schließlich riss er ein Papiertuch aus dem mit Kimberly Clark beschrifteten Handtuchspender, verzwir­belte ein Ende und reinigte damit das Ohr der Leiche. Er deckte Kopf und Schultern wieder zu und schob Meyer zurück in die dunkle, kalte Röhre. Zu guter Letzt spülte er noch das Edelstahlbecken mit etwas Wasser durch und verließ den Kühlraum.

      Ungeduldig tippte der Mann auf das Lenkrad des Land Rover. Nachdem die Tat reibungslos und ohne Zeu­gen ab­ge­laufen war, wollte er die Parkbucht so schnell wie mö­glich verlassen, um in einer anderen Funkzelle Bericht er­stat­ten zu können. Die Handvoll Autos, die während der letz­ten zwanzig Minuten an ihnen vorbeigekommen waren, hatten die beiden unbeleuchteten Autos in der Parkbucht offensichtlich nicht interessiert, respektive nicht einmal be­merkt. Das Stück Stoff, an dem sie die Hände der To­ten kräftig gerieben hatten, um so Textilfasern unter den Finger­­nägeln zu plat­zieren, packte sein Beifahrer in den Kof­fer. Diese scheinbare Gegenwehr des Opfers sollte bis ins Detail das Szenario des Sexualmordes untermauern. Der Koffer samt seinem Inhalt würde später so gründlich ver­nich­tet werden, dass keinerlei Spuren zurückblieben. Und in dem Ersatzkoffer, den sie in Empfang nehmen würden, würden ein anderer Stoff, Kondome einer anderen Marke und auch ein Hartgummipenis eines anderen Kalibers zu finden sein. Überhaupt jedes Ausrüstungsteil würde sich in Größe, Material, Hersteller oder Funktionsprinzip von jenem un­ter­schei­den, das sich im aktuellen Koffer befand. Der Aus­­tausch würde am morgigen Tag an einer unschein­baren Adresse in Stutt­gart erfolgen.

      Hinter sich nahm er eine Bewegung wahr. Der Kofferraum­deckel schloss sich langsam unter leisem Summen. Noch ehe er ins Schloss schnapp­te, öffnete sich die Beifahrertür und sein Partner stieg ins Auto. Wortlos startete er den Wagen und fuhr wie­der auf die Autobahn auf.

      Die Suche nach dem Röntgenraum hatte nur sehr kurz ge­dau­ert und wie er vermutet hatte, fand er dort einen PC-Tower, dessen Netzteil noch ein wenig wärmer war, als die der drei anderen Geräte. Er verfolgte die Kabel zu einer der vier Tastaturen und steckte den feuer­zeuggroßen Brute-Force-Generator wieder ein. An dem Bildschirm klebte ein pink­farbener PostIt, der ihm freundlicherweise Login und Passwort der Anlage verriet. Er fuhr das Gerät hoch, orien­tierte sich. Das endgültige Löschen der Bilder war innerhalb weniger Minuten erledigt und eine Wiederherstellung wäre nicht einmal ihm selbst möglich gewesen. Dann durch­such­te er den Rechner nach einer Backup Software und stieß prompt auf ein Programm, das in regelmäßigen Intervallen auf einen Server und zusätzlich auf eine NAS-Platte sicher­te. Diese beiden Medien von Spuren zu beseitigen würde etwas aufwän­diger sein. Zuerst versuchte er es mit dem Network Assisted Storage Device. Es gelang ihm, ein Netz­laufwerk zu ver­binden und so konnte er nach den Siche­rungs­files suchen und mit ihnen genau so verfahren wie mit den lokalen Daten zuvor. Eine Verbindung zum Server her­zustellen, er­wies sich als schwieriger und er musste den Pass­­wort­knacker zur Ermittlung des Administratorenkenn­worts doch noch zum Einsatz bringen. Erwar­tungs­­gemäß dauerte es aber nur zehn Minuten, bis er sich auf­schalten konnte. Auf die mangelnde Fantasie der Menschen bei der Passwortwahl war einfach Verlass! Auch auf dem Server vernichtete er alle Spuren der Bilder, sah sich auf dem Gerät noch ein wenig um und loggte sich be­friedigt aus dem Sys­tem aus.

      »Wenn Sie da drinnen

      gleich von Mr. Bond heftigst be­schmust werden, lassen Sie es am besten einfach gesche­hen… Widerstand ist ohnehin zwecklos.«

      Mit einem leicht verlegenen Lächeln im Gesicht versuchte Sarah,