Taschenlampe riskierte, entdeckt zu werden, begnügte er sich mit den Gegebenheiten. Zunächst suchte er das zweite Obergeschoss auf. Er zählte die Türen, die auf der linken Seite des Korridors abgingen, und blieb vor der sechsten stehen. Wenn er sich nicht irrte, musste dies das Büro der Frau sein, die eben die Rechtsmedizin verlassen hatte. An der Tür oder dem Rahmen war keine elektronische Zugriffssicherung angebracht, also drückte er langsam die Klinke herunter. Der Eingang öffnete sich und er glitt durch einen schmalen Spalt in den Raum. Als er die Tür schloss war er sehr dankbar über den glücklichen Umstand, dass unmittelbar gegenüber der Bürotür in dem Flur einer der Rettungsweghinweise angebracht war, dessen Schein durch das Oberlicht drang und den Raum hinreichend ausleuchtete. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Schreibtisch, wo mitten auf der Platte ein kleiner Stapel Papiere lag. Als er sie aufnahm und näher ans Licht hielt, erfüllte sich seine Hoffnung. Es handelte sich um Ausdrucke von Röntgenbildern, die ganz offensichtlich für den morgigen Tag vorbereitet waren. Er faltete die Handvoll Blätter zweimal und steckte sie in seine Seitentasche. Dann kniete er sich zu Boden und ertastete den Minitower des Computers. Dort, wo das Stromkabel eingesteckt war, legte er seitlich und hinten seine Hand auf – die Umgebung des Netzteils war kalt. Sie hatte also nicht am PC gearbeitet. Das war ein gutes Zeichen, so musste er sich zumindest hier nicht um die Vernichtung von Spuren kümmern. Er kontrollierte noch den Postausgangskorb, ließ seinen Blick prüfend durch das gesamte Büro schweifen und trat anschließend wieder auf den Gang. Sein nächstes Ziel war der Kühlraum, dessen Lokalisierung dank der ordnungsgemäßen Beschriftung des Aufzugstastenfeldes sehr leichtfiel. Ebenso schätzte er den Umstand, dass diese sensible Etage durch einen einfachen Knopfdruck anzusteuern war und nicht durch einen Schlüssel gesichert wurde. Die Benutzung der Treppe hätte, wenn auch nur geringfügig, die Gefahr der Entdeckung von außen erhöht. Er wusste: Es war mitunter die Summe der unbedachten Kleinigkeiten, die ein Vorhaben zum Scheitern bringen konnten. Als sich die Aufzugstüren wieder öffneten, blickte er im Licht der Notausgangsbeleuchtung erst nach links, dann nach rechts. Die Edelstahl-Doppeltür am Ende des Ganges schien der Eingang des Kühlraumes zu sein, und als er deren Klinke niederdrückte, öffnete sie sich wider Erwarten und im Inneren des Raumes sprangen sechs Neonröhren an. Sofort ließ er den Blick schweifen und schloss die Tür hinter sich, nachdem er festgestellt hatte, dass der Raum keine Fenster hatte. An den quadratischen Schubfächern dankte er der deutschen Tugend, alles sorgfältig und sofort zu erledigen, und öffnete die Klappe, die handschriftlich mit Herbert Meyer beschriftet war. Er zog die Bahre zu etwa einem Drittel aus der dunklen Kammer und schlug das weiße Leintuch bis zu den Schultern zurück. Mit einem Griff brachte er die Röntgenbilder aus seiner Tasche zum Vorschein und studierte sie eingehend.
Genau da, wo es sein soll!
Er griff erneut in seine Tasche, förderte diesmal ein Corduraetui zutage, öffnete dessen Reißverschluss und legte es dem Leichnam auf die Brust. Er entnahm eine 10ml Glasspritze und schraubte eine großkalibrige Kanüle auf. Dann ging er neben der Bahre in die Knie, griff nach seiner Taschenlampe und untersuchte den äußeren Gehörgang der nun auf Augenhöhe liegenden Leiche. So wie es ihm beigebracht worden war, stach er mit der dicken Nadel am oberen Rand durch das Trommelfell und schob sie etwa eineinhalb Zentimeter tief ein. Als er behutsam an dem Kolben zog, füllte sich dieser langsam mit einer Mischung aus einer trüben, gelblichen Flüssigkeit und Blut. Er schraubte die Spritze vorsichtig ab, und beließ die Kanüle im Gehörgang. Mit seinen Fingern nestelte er in seiner Tasche bis er ein unspektakuläres, in etwa der Größe eines Zigarettenpäckchen entsprechendes Kästchen herausholte. Er drückte auf einen Knopf und fuhr damit einige Male an der vollen Spritze entlang. Nichts geschah. Ob es richtig funktionierte? Er hielt das Gerät an das Ohr des verstorbenen Herbert Meyer und sofort begann eine grüne LED rhythmisch zu blinken. Damit war klar, dass der Detektor in seiner Hand sehr wohl funktionierte, er bei seinem ersten Versuch den gesuchten Gegenstand aber noch nicht in seine Spritze gesaugt hatte. Er schnalzte mit der Zunge und sah sich um. An der Wand links der Kühlfächer befand sich ein Edelstahlwaschbecken, in das er, ohne zu zögern, die Spritze entleerte, bevor er sie wieder vorsichtig an die Kanüle schraubte, die sich noch immer im Ohr des Toten befand. Er schob die Nadel noch etwas tiefer ein und füllte die Spritze erneut. Abermals nahm er den Detektor zur Hand und prompt blinkte er grün, als er ihn an der Spritze vorbeiführte. Neugierig hob er das Gefäß gegen das Licht, doch im inneren der Flüssigkeit war nichts zu erkennen. Zufrieden schraubte er einen Verschluss auf die Glasspritze, zog die Kanüle aus dem Gewebe und verstaute beides in dem Etui. Schließlich riss er ein Papiertuch aus dem mit Kimberly Clark beschrifteten Handtuchspender, verzwirbelte ein Ende und reinigte damit das Ohr der Leiche. Er deckte Kopf und Schultern wieder zu und schob Meyer zurück in die dunkle, kalte Röhre. Zu guter Letzt spülte er noch das Edelstahlbecken mit etwas Wasser durch und verließ den Kühlraum.
Ungeduldig tippte der Mann auf das Lenkrad des Land Rover. Nachdem die Tat reibungslos und ohne Zeugen abgelaufen war, wollte er die Parkbucht so schnell wie möglich verlassen, um in einer anderen Funkzelle Bericht erstatten zu können. Die Handvoll Autos, die während der letzten zwanzig Minuten an ihnen vorbeigekommen waren, hatten die beiden unbeleuchteten Autos in der Parkbucht offensichtlich nicht interessiert, respektive nicht einmal bemerkt. Das Stück Stoff, an dem sie die Hände der Toten kräftig gerieben hatten, um so Textilfasern unter den Fingernägeln zu platzieren, packte sein Beifahrer in den Koffer. Diese scheinbare Gegenwehr des Opfers sollte bis ins Detail das Szenario des Sexualmordes untermauern. Der Koffer samt seinem Inhalt würde später so gründlich vernichtet werden, dass keinerlei Spuren zurückblieben. Und in dem Ersatzkoffer, den sie in Empfang nehmen würden, würden ein anderer Stoff, Kondome einer anderen Marke und auch ein Hartgummipenis eines anderen Kalibers zu finden sein. Überhaupt jedes Ausrüstungsteil würde sich in Größe, Material, Hersteller oder Funktionsprinzip von jenem unterscheiden, das sich im aktuellen Koffer befand. Der Austausch würde am morgigen Tag an einer unscheinbaren Adresse in Stuttgart erfolgen.
Hinter sich nahm er eine Bewegung wahr. Der Kofferraumdeckel schloss sich langsam unter leisem Summen. Noch ehe er ins Schloss schnappte, öffnete sich die Beifahrertür und sein Partner stieg ins Auto. Wortlos startete er den Wagen und fuhr wieder auf die Autobahn auf.
Die Suche nach dem Röntgenraum hatte nur sehr kurz gedauert und wie er vermutet hatte, fand er dort einen PC-Tower, dessen Netzteil noch ein wenig wärmer war, als die der drei anderen Geräte. Er verfolgte die Kabel zu einer der vier Tastaturen und steckte den feuerzeuggroßen Brute-Force-Generator wieder ein. An dem Bildschirm klebte ein pinkfarbener PostIt, der ihm freundlicherweise Login und Passwort der Anlage verriet. Er fuhr das Gerät hoch, orientierte sich. Das endgültige Löschen der Bilder war innerhalb weniger Minuten erledigt und eine Wiederherstellung wäre nicht einmal ihm selbst möglich gewesen. Dann durchsuchte er den Rechner nach einer Backup Software und stieß prompt auf ein Programm, das in regelmäßigen Intervallen auf einen Server und zusätzlich auf eine NAS-Platte sicherte. Diese beiden Medien von Spuren zu beseitigen würde etwas aufwändiger sein. Zuerst versuchte er es mit dem Network Assisted Storage Device. Es gelang ihm, ein Netzlaufwerk zu verbinden und so konnte er nach den Sicherungsfiles suchen und mit ihnen genau so verfahren wie mit den lokalen Daten zuvor. Eine Verbindung zum Server herzustellen, erwies sich als schwieriger und er musste den Passwortknacker zur Ermittlung des Administratorenkennworts doch noch zum Einsatz bringen. Erwartungsgemäß dauerte es aber nur zehn Minuten, bis er sich aufschalten konnte. Auf die mangelnde Fantasie der Menschen bei der Passwortwahl war einfach Verlass! Auch auf dem Server vernichtete er alle Spuren der Bilder, sah sich auf dem Gerät noch ein wenig um und loggte sich befriedigt aus dem System aus.
»Wenn Sie da drinnen
gleich von Mr. Bond heftigst beschmust werden, lassen Sie es am besten einfach geschehen… Widerstand ist ohnehin zwecklos.«
Mit einem leicht verlegenen Lächeln im Gesicht versuchte Sarah,