Andre Rober

Ackerblut


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sahen sich an und in ihren Blicken war das Mitgefühl für die Bestatter zu erkennen. Obwohl sie selbst im Job immer wieder mit furchtbaren Situationen kon­frontiert wurden, dieser An­blick stellte das meiste bei Weitem in den Schatten.

      Berner wandte sich mit der Beweismitteltüte an seine Kollegin, die außer einem etwas gequältem Schlucken äu­ßer­lich nicht auf die Szenerie reagierte.

      »Eine G&J HFP im Kaliber 9mm«, sagte Polocek. »Und«, sie drehte die Tüte in Berners Hand etwas ins Sonnenlicht, »die Seriennummer ist entfernt. Professionell, würde ich sagen. Sieht nach Flex mit anschließender Säurebehandlung aus.«

      Auch Berner sah sich die Waffe genauer an.

      »Sie haben noch mehr?«, fragte er, nachdem er Polocek mit einem Nicken zugestimmt hatte.

      »Da drüben in dem Plastikcontainer«, antwortete der blei­che Kol­lege und deutete auf eine transparente Ikea-Box.

      Die beiden Ermittler gingen zu der Box, in der weitere Beu-­ tel mit Fundstücken aus dem Fahrzeug lagen. Gut sichtbar war eine MaPi 5 , ebenfalls von G&J und eine weitere HFP. Nach kurzer Begutachtung durch Polocek war klar, dass auch bei diesen beiden Waffen die Seriennummern mit handwerklichem Können entfernt worden waren.

      »Zumindest ist eines sicher», meinte Berner trocken. »Grö­ber hat uns nicht umsonst hergeschickt. Waffen mit ver­schleierter Herkunft, eine davon fällt unter das Kriegs­waf­fengesetz… Hier ist etwas oberfaul, wenn du mich fragst.«

      Karen Polocek antwortete nicht, sondern untersuchte das Magazin der Maschinenpistole. Durch die Tüte hindurch drückte sie zwei Patronen heraus.

      »Megafaul, würde ich sagen«, gab sie schließlich von sich. »Das Magazin ist abwechselnd mit Vollmantel und Hohl­spitz­geschossen geladen. Da weiß jemand, was er tut.«

      Berner nahm die Munition ebenfalls in Augenschein.

      »Eine Waffe für Notsituationen. Für den ungeplanten Ein-satz, wenn man nicht weiß, ob man hohe Durchschlagskraft oder hohe Mannstoppwirkung braucht. Mir wird ganz an­ders, wenn ich daran denke, was die beiden vorgehabt ha­ben könnten.«

      »Auf alle Fälle waren es Profis. Personenschutz? Behör­de?«, stellte Polocek in den Raum.

      »Werden wir herausfinden. Auf keinen Fall deutsche Be­hörde. Der Wagen war meines Erachtens einmal ein Land Ro­ver. Unsere Behörden fahren G-Klasse oder M-Klasse be­zie­hungsweise gepanzerte Limousinen von Audi, BMW oder Mercedes. Keine ausländischen Fabrikate.«

      Berner runzelte die Stirn.

      »Organisiertes Verbrechen? Russische Mafia? Das kann ja hei­ter werden.« Polocek hatte kaum ausgesprochen, als ei­ner der Mitarbeiter der Spurensicherung mit zwei weiteren Tüten auf sie zukam.

      »Das dürfte Sie sicher interessieren.«

      Er übergab der Ermittlerin die beiden durchsichtigen Be­weis­mittelbeutel. Noch bevor sie sie in den Händen hielt, war ihr klar, dass es sich bei dem Inhalt um Ausweise han­delte. Als sie diese genauer untersuchte, musste sie un­will­kürlich schnauben. Berner, der hinzugetreten war, sah sich die Do­ku­mente ebenfalls an und erkannte sofort den Grund für Polo­ceks Reaktion. Sie hatten Diplomatenpässe in der Hand, aus­gestellt von der Republik Polen.

      »Das wird ja immer besser«, murmelte er. »Jetzt haben wir aber was an der Backe!«

      Seinem Gesicht nach zu urteilen, sah er bereits Berge von Pa­pierkram, die es zu erledigen galt. Doch zunächst pfiff er die Kollegen von der SpuSi zurück.

      »Stopp, Leute! Es handelt sich um Diplomaten. Wir dürfen hier zunächst keine Beweismittel mehr sichern, bis wir das Einver­ständnis des polnischen Konsulates oder Unterstüt­­zung der polnischen Behörden haben!«

      Allgemeines Stöhnen bei den Einsatzkräften zeugte von dem Unmut, den diese Nachricht auslöste. Denn nicht nur die Spurensicherung würde bis auf Weiteres vor Ort blei­ben müssen, auch für die Bergungseinheiten, die Feuerwehr und die uniformierten Kollegen bedeutete der Fund, dass der Einsatz jetzt ein offenes Ende hatte. Ja, selbst die Stra­ßensperre und die Umleitung mussten weiter bestehen, bis der Unfallort vollständig geräumt war. Berner wandte sich an eine junge Kollegin, die interessiert in der Nähe stand.

      »Haben Sie in Ihrem Fahrzeug einen Scanner?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Aber in dem Kastenwagen dort drüben ist einer.«

      Sie folgte Berner zu dem Fahrzeug, während Po­locek ihr Mobiltelefon zückte.

      »Ja, Helen? Wir schicken dir gleich zwei polnische Diplo­ma­tenpässe per Mail. Die Inhaber sind unter den To­des­opfern hier beim Unfall im Höllental. Kontaktiere doch bitte die Behörden und sag uns Bescheid, wie das weitere Vorge­hen ist. Super, danke!« Sie gesellte sich zu Berner, der gera­de mit Gummihandschuhen dabei war, die Pässe wieder in die Tüten zu packen.

      »Jetzt heißt es warten«, meinte sie und setzte sich auf die Trittstufen des Kastenwagens. Sie beobachteten, wie alle an den Arbeiten Beteiligten etwas Entspannung suchten, sich im Schatten hinsetzten, eine rauchten, oder mit den Handys ihre Familien oder Lebensgefährt*innen anriefen.

      Polocek griff in ihre Tasche, förderte eine Tüte Eu­kalyp­tusbonbons zutage und bot ihrer Kollegin und Nico Berner davon an. Beide griffen zu, und als sie sich selbst eines der Bonbons in den Mund schob, registrierte sie, dass im Radio des Polizeiwagens John Lennons Imagine lief – was in einem krassen Kontrast zu den schrecklichen Bildern stand, die sie immer noch im Kopf hatte. Nachdem sie alle schwei­gend auch noch What a wonderful World, My Day, Crocodile Rock und Somethin‘ Stupid gehört hatten, klingelte Poloceks Telefon.

      »Das ist Helen«, informierte sie. »Das ging jetzt aber ver­dammt schnell.« Mit dem Mobiltelefon am Ohr stand sie auf und entfernte sich einige Meter von dem Einsatz­fahr­zeug. Als sie nach wenigen Minuten zurückkam, war­tete Nico Berner bereits mit neugierigem Blick.

      »Es wird immer bizarrer«, begann Polocek. »Die Polen ha­ben nach ein paar Minuten zurückgemeldet, dass es kei­ne Diplomatenpässe mit diesen Seriennummern gäbe und dass die Nummern auch nicht in den Algorithmus passten, mit de­nen die echten Ausweise erstellt würden.« Sie klappte das Handy zu und ließ es in ihre Tasche fallen.

      »Sie behaupten, dass es sich nur um Fälschungen handeln kann und lassen uns deswegen freie Hand bei der Bear­beitung des Falles.«

      Nico Berner zerbiss den letzten Rest seines Bonbons.

      »Oder aber sie verleugnen ihre Mitarbeiter, deren Mission angesichts der sichergestellten Waffen mehr als zweifelhaft war. Beides höchst nebulös. Ich wette, dass weder Finger­ab­drücke noch DNA-Vergleiche etwas bringen.« Er wandte sich an die wartenden Kollegen.

      »Okay Leute, es geht wieder los! Wir machen da weiter, wo wir vorhin aufgehört haben!«

      Von der Anstrengung des Tages gezeichnet, aber mit er­kennbar hoffnungsvoller Stimmung, begaben sich die Helfer wieder auf ihre Positionen und nahmen die Arbeit wieder auf. Auch Berner und Polocek fanden sich bei dem zer­störten Land Rover ein, beobachteten die KTUler bei der Arbeit und nahmen Fundstücke in Augenschein. Einer der Beamten, der am Kofferraum zugange war, rief die beiden zu sich.

      »Bevor wir das eintüten, wollen Sie sicher schon mal einen Blick darauf werfen!«

      Bei näherem Hinsehen wurde den Ermittlern klar, dass ihr Kollege von einem der Aluminiumkoffer sprach, dessen De­ckel durch den Unfall weggerissen worden war. Trotz der Wucht des Aufpralls lagen einige Gegenstände gut sicht­bar auf dem Boden des Behältnisses. Neben zwei Paar Gummi­handschuhen, einem Paar aus Wildleder und di­verser Stoff­fetzen zog eine Tüte die Aufmerksamkeit der bei­den Po­lizisten auf sich. Darin befand sich, deutlich zu erkennen, ein Hartgummipenis mitsamt darübergestülptem Kondom. Beides war blutverschmiert, desgleichen ein Paar Latex­hand­schuhe, die ebenfalls in der Tüte lagen.

      »Was zum Teufel ist das?«, zischte Polocek und Berner