Erschienen 2018
Stand 30.4.2019
Alle Rechte vorbehalten
Druck und Bindung epubli
(Holzbrinck Digital Content Group)
Printed in Germany
Vorwort
Evelyn und Robert lernen sich als Kinder kennen und lieben. Ihre Beziehung –immer wieder unterbrochen- dauert ein volles Jahrzehnt. Dann wird Evelyn Opfer eines mysteriösen Unfalls. Plötzlich scheint die Welt auf dem Kopf zu stehen. Die Personen, die Evelyn und Robert am nächsten stehen, verwandeln sich in ihre unerbittlichsten Feinde. Im Netz von Täuschungen und Lügen geht die Liebe verloren, aber immer wieder erscheint Evelyn unerwartet in Roberts Welt. Jahrzehnte später begibt sich Robert auf die Suche: Was war wirklich? Was ist wirklich?
„Es fällt mir schwer, diese Geschichte aufzuschreiben. Nicht, dass ich Mühe hätte, mich zu erinnern, nein, meine Erinnerungen sind weder unscharf noch unvollständig, noch zweifelhaft. Sie sind wie viele kurze Filme, die ich vor meinem inneren Auge beliebig aufrufen und abspulen kann. Aber aus heutiger Sicht erscheint mir diese Geschichte sinnlos, wie ein Gegenstand, der mit viel Mühe aus Eis geschnitzt wurde, um bereits vor seiner Fertigstellung wieder zu schmelzen. So viel Anstrengung für nichts!
Zwei Küsse, zwei Frauen
Diese Geschichte beginnt im frühen Sommer des Jahres 1957 in Kronstadt an der Donau. Zu Ostern war ich von der Grundschule in die Oberschule übergetreten und fuhr seither morgens mit dem Schulbus zum Edwald-König-Gymnasium in der Innenstadt. Der Bus fuhr auch das Mädchengymnasium an und war ganz überwiegend mit Mädchen besetzt, die sich erstaunlich viel zu sagen hatten. Bald hatte ich ein paar ausgemacht, die interessanter erzählten als die anderen und mir deshalb besonders attraktiv vorkamen. Leider beachteten mich diese, ausnahmslos deutlich älter als ich, überhaupt nicht. Ich war Luft für sie. Einige schüchterne Versuche, ein Gespräch zu beginnen, endeten kläglich: „Was weißt du denn schon, Kleiner“, war eine der netteren Antworten auf meine Annäherungsversuche.
Das Viertel, in dem meine Familie wohnte bestand im Kern aus Einfamilienhäusern. Am äußeren Rand entlang der Mondstraße, wo sich auch die Bushaltestelle befand, war es mit Wohnblocks bebaut. Inmitten dieser Blocks war ein großer Sandkasten eingerichtet, in dem die Kinder des Viertels bei trockenem Wetter spielten, vor allem die Mädchen.
Eines frühen Abends,auf dem Weg von einem Freund nach Hause zum Abendessen, kam ich wie oft an diesem Sandkasten vorbei. Es war ein sonniger Tag. In Sand tummelten sich heute besonders viele Kinder. Dass die älteren Mädchen im Bus mir keine Beachtung schenkten, so ging es mir durch den Kopf, war enttäuschend. Kurzentschlossen setzte ich mich auf eine Bank am Rand des Spielplatzes, um Lage und Aussichten zu überdenken.
Damals machte ich mir ernsthaft Gedanken darüber, wie ich (sobald ich alt genug war) die Frau fürs Leben finden würde. Meine naive Vorstellung lief darauf hinaus, dass es in dieser Welt eine und nur eine Frau gab, die für mich bestimmt war. Aber wie sollte ich sie finden? Dabei fiel mir das Märchen von den zwei Königskindern ein, die nicht zusammenkommen konnten, weil sie durch tiefes Wasser getrennt waren. Mann und Frau konnten sich offenbar finden und am Ende immer noch verfehlen. Aber schon das Finden schien eine unlösbare Aufgabe. Was könnte ich beispielsweise tun, wenn die Frau, die darauf wartete, von mir gefunden zu werden, Chinesin war?
Ich befragte meine Mutter, die mit meinem Vater sehr glücklich zu sein schien. Meine Mutter erklärte mir: „Du brauchst die richtige Partnerin nicht zu suchen. Im rechten Moment wird sie einfach da sein. Vielleicht ist sie schon (noch unerkannt) längst in deiner Nähe. Ich selber habe deinen Vater seit meinem vierten Lebensjahr gekannt, aber erst zwanzig Jahre später als den Richtigen erkannt. Du musst also einfach Geduld haben.“ Die meisten Mädchen im Sandkasten, den ich jetzt genauer in Augenschein nahm, schienen zwischen vier und fünf Jahre alt zu sein. Meine Mutter war sechs Jahre jünger als mein Vater, jedenfalls gab sie sich so aus. Sechs Jahre war offenbar der ideale Altersunterschied zwischen Mann und Frau.
Mit einem Schlag realisierte ich, dass meine künftige Frau eines der kleinen Mädchen sein könnte, die im Sandkasten spielten, und die ich bisher praktisch nicht wahrgenommen hatte. Vom Alter her würde es passen. Ich fasste die Kinder jetzt genauer ins Auge. Ein Mädchen fiel mir auf, das einen kleinen, ziemlich ungezogenen Bruder dabeihatte. Der Kleine hatte nichts Konstruktives im Sinn. Er wollte nur kaputt machen, was die anderen Kinder gebaut hatten. Seine Schwester hinderte ihn daran, geduldig und konsequent, und ließ sich gleichzeitig von ihrem eigenen Bauwerk nicht ablenken. Und wenn es dem bösen Buben doch einmal gelang, ein Sandgebilde zu beschädigen, half sie beim Wiederaufbau. Mir fiel auf, dass ihre Hände sich sehr geschickt und zielbewusst bewegten. Diese Hände zogen mich in eine Art hypnotischen Bann. Konnte dieses Mädchen, das etwas Besonderes an sich hatte, für mich bestimmt sein? Ich musste es wissen. Das war mir ganz plötzlich äußerst wichtig. Unmöglich noch Jahre zu warten. Ich wandte mich bittend an Gott, forderte ihn auf, mir meine Lebenspartnerin zu offenbaren, bot ihm als Gegenleistung an, nie wieder an ihm zu zweifeln. Plötzlich senkte sich eine Art Kraftfeld auf mich nieder, durchdrang mich, und ich wusste ohne irgendeinen Zweifel, dieses Mädchen wird die Mutter deiner Kinder sein.
Ich überlegte, welchen Nutzen ich von diesem Wissen hatte und stellte überrascht fest, dass dieses Kind ja viel zu jung für mich war. Ich konnte auf viele Jahre hinaus nichts mit ihm anfangen. In meinen Jugendjahren war ich damit von Liebesabenteuern ausgeschlossen. Ich musste warten, bis das kleine Mädchen volljährig war, bevor ich mich ihm nähern konnte und dann wäre ich schon vierundzwanzig Jahre alt. Meine Jugend wäre bereits vorüber. Ich versuchte, der göttliche oder engelhafte Präsenz, die ich noch immer spürte, zu überreden, eine andere ältere Gefährtin für mich auszusuchen, oder mir zumindest eine zweite Gefährtin zuzuweisen, mit der ich (als ihr Ritter) meine Jugendjahre teilen würde. Ich war damit einverstanden, die Partnerin zu wechseln, wenn ich für Beruf und kinderreiche Familie gereift war. Es entspann sich eine Diskussion mit und. gegen zwei Stimmen, von denen ich nicht sicher war, ob sie in meinem Kopf redeten oder außerhalb von mir. Für ein paar Momente hatte ich den Eindruck, dass die engelhafte Stimme dem Vater des Sandkastenmädchens gehörte, der -so stellte ich mir vor- von einem Balkon im fünften Stockwerk des nächsten Wohnblocks, auf mich herunterblickte. Etwas Weißes beugte sich über die Balkonbrüstung. Ein Hemd? Flügel? Die zweite Stimme schien aus einem Busch in der Nähe zu kommen. Ich hatte den Verdacht, dass sie meinem Vater gehörte, der mir einreden wollte, ich solle mich dem göttlichen Ratschluss verweigern.
Ich erinnerte mich an die Lotterie der blinkenden Asse, ein Gewinnspiel, das ich vor ein paar Tagen auf der örtlichen Kirmes gespielt hatte. Ich hatte ungefähr fünfmal hintereinander auf das richtige Feld gesetzt, das Feld auf dem das blinkende Licht stehenblieb. Ich hatte dieses Feld mit einem Gefühl absoluter Sicherheit vorhergesehen. Aus dem Kreis der umstehenden Spieler und Zuschauer wurden Stimmen laut, hier sei Betrug im Spiel. Meine Gewinnserie komme durch falsches Spiel zustande. Ich wehrte mich gegen diese Anschuldigung. Wie um Gottes willen sollte ich das Spiel manipulieren? Ich hörte auf, selbst zu setzen, sagte aber noch ein paar Mal das Gewinnfeld korrekt voraus, bis mich der Betreiber des Standes verärgert aufforderte, mich zu entfernen.
Jetzt suggerierte mir die Stimme aus dem Busch, sie kam mir vor wie die Stimme eines Teufels, ich solle die engelhafte Präsenz zu einer Runde blinkende Asse auffordern. Käme das Licht auf einem schwarzen Ass zu stehen, würde das dunkelhaarige Sandkastenmädchen die einzige Frau in meinem Leben sein. Bliebe das Licht auf einem roten Ass stehen, dann würde mir eine andere Frau, eine ältere, blondhaarige zugewiesen. Ich sollte das blinkende Licht so manipulieren, das es sich teilte und auf einem schwarzen und einem roten Ass gleichzeitig zum Stehen kam. Damit würde ich beide Frauen gewinnen. Der Vorschlag kam mir sündhaft vor, aber ich ließ mich überreden, und die engelhafte Präsenz ließ sich auf das Spiel ein. Tatsächlich blieb das Blinken auf einem roten und einem schwarzen Feld stehen. Ich nahm an, der Teufel höchst selbst habe das Spiel manipuliert. Der Engel schien das Ergebnis zu akzeptieren, obwohl es ihm nicht gefiel. Er wirkte verärgert und verschwand. Ich blieb allein auf der Bank zurück. Es dämmerte langsam, und das