Cinzia G. Agostini

CHIARA GEHT IHREN WEG


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Psychoterror durch meine Uroma nieder. Ich muss fünf Jahre alt gewesen sein. Sie ging zum Balkon, stellte sich an die Brüstung und sagte in einem hysterischen Ton:

      »Du undankbares Gör, ich mache alles für dich und du willst mit zu deiner Mutter? Ich werde mich jetzt vom Balkon stürzen! «, die Worte, die folgten, schrie sie fast: »Ich bringe mich jetzt um! « Worauf ich zitterte und zu weinen begann und mit tränenerstickter Stimme sagte: »Bitte liebe Oma, mache das nicht, ich habe dich lieb, ich sag nicht mehr, dass ich meine Mama sehen will. Bitte spring nicht, lass mich nicht alleine! «

      Als mir dieses Bild wieder hochkam, sträubten sich mir die Haare. Jetzt, nachdem ich selber Mutter war, konnte ich ihr Verhalten noch weniger nachvollziehen.

      Meine Kindheit verbrachte ich bis zur Einschulung, von einigen Besuchen bei Verwandten abgesehen, mit meiner Uroma in der Wohnung. Ich durfte weder auf einen Spielplatz noch mit anderen Kindern auf der Straße spielen. Lediglich Weihnachten oder an anderen Feiertagen traf ich meine gleichaltrige Cousine. Als sei das nicht schlimm genug, kam der Teil meines Lebens, der mich bis heute stark beeinflusste. Ich war etwa sechs Jahre alt, ich freute mich sehr, da ich an diesem Tag meine Mutter besuchen durfte. Wir trafen meine Mutter bei einer Tanzveranstaltung, sie hatte kaum Zeit für mich. Ich konnte sie nur aus der Ferne betrachten, denn sie war fast die ganze Zeit auf der Tanzfläche. Nach einer Weile sagte ich zu meiner Uroma: »Schau mal, Mama tanzt die ganze Zeit mit diesem Mann da! «, ich zeigte mit meinem Finger zur Tanzfläche.»Bestimmt heiraten die beiden! «

      Meine Uroma sagte kurz angebunden: »Quatsch! Was erzählst du da? «

      Meine Mutter heiratete ihn ein paar Monate später.

      Auf einmal durfte ich meine Mutter öfter besuchen. Sie richtete sogar ein Bett in einer Nische des Flurs für mich ein. Natürlich freute ich mich, nur der neue Mann meiner Mutter, der gefiel mir nicht. Er führte sich wie ein Despot auf. Schmeckte mir das Essen nicht oder war ich bereits satt, schrie er mich an. Ich musste es aufessen, auch wenn ich mich danach erbrach. Zur Strafe setzte er mich dann in eine mit kaltem Wasser gefüllte Badewanne. Ich musste so lange darin bleiben, bis er entschied, dass ich raus durfte.

      Und dann… wurde es richtig schlimm.

      Er hatte seine Arbeit verloren und bestimmte, dass ich ab sofort mehrmals in der Woche, zu ihnen nach Hause sollte. Er holte mich von der Schule ab, ging mit mir in eine Eckkneipe, betrank sich, dann musste ich mit ihm in die Wohnung. Er sagte eindringlich zu mir:

      »Du weißt, dass deine Mutter dich nicht liebt! Du machst jetzt das, was ich dir sage oder deine Mutter wird von mir erfahren, wie böse du warst! «

      Er befahl mir, mich auszuziehen, dann missbrauchte er mich sexuell. Es folgten drei quälende Jahre. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, denn im Hinterkopf dachte ich, ich sei ein böses Kind!

      Mit wem hätte ich sprechen sollen?

      Mit meiner Mutter?

      Mit meiner Uroma?

      Für beide war ich eine Belastung.

      Ich entschied daher meinen lieben Onkel Hans anzurufen, er war der Einzige, der immer gut zu mir war.

      Verzweifelt schrie ich in den Telefonhörer: »Du musst mich hier sofort rausholen!«

      Wo diese Kraft herkam, weiß ich bis heute nicht, denn ich war immer ruhig und brav, niemals lehnte ich mich auf. Offensichtlich ahnte er etwas, er stellte keine Fragen, sondern stand am nächsten Tag vor unserer Tür. Ich war so glücklich ihn zu sehen, ich klammerte mich an ihn. Er sagte ruhig und freundlich:

      »Chiara, ich treffe jetzt deine Mutter, ich muss mit ihr sprechen, damit ich dich mitnehmen darf. «

      Ich nickte ihm stumm zu und wartete ungeduldig auf seine Rückkehr. Als er wieder kam, nahm er meine Tasche und wir liefen zum Bahnhof. Wir bestiegen den Zug nach Hamburg und fuhren zu seinem Zuhause. Er war für mich da! Dafür bin ich ihm bis heute dankbar. Ich verlebte bei ihm die zwei schönsten Jahre meiner an sonst so kalten und traurigen Kindheit.

      Löste das Verlassen werden als Kind meine heutigen Zweifel aus? Vermischten sich alte Gefühle mit diffuser Angst, Carlotta könne es auch so ergehen? War das mein wunder Punkt, den Peter kannte und jedes Mal berührte, sofern ich mich trennen wollte? Aktivierte er absichtlich meine Zweifel, weil er sich sicher wähnte, dadurch unsere Trennung zu verhindern?

      »Chiara? Bist du noch dran? «

      »Entschuldige Katharina, aber als du sagtest, dass Onkel Hans im Krankenhaus liegt, da schossen mir gerade so viele Erinnerungen durch den Kopf! «

      Das traf mich nun sehr, ausgerechnet mein lieber Onkel im Krankenhaus.

      Sie beruhigte mich und sagte, dass alles soweit in Ordnung ist. Ich solle mir keine Sorgen machen, doch hörte in meiner Stimme nicht nur die Sorge um meinen Onkel. Ich konnte es nicht verbergen. Sie fragte:

      »Chiara, was ist los bei dir? Dich bedrückt etwas, nicht nur, dass dein Onkel im Krankenhaus liegt. Ich spüre da doch noch etwas anderes? «

      »Katharina, ich habe ein Problem, bitte sage meinem Onkel nichts, das würde ihn nur aufregen. «

      »Was ist los, Kleines? «

      Ich überlegte, wie ich es ihr sagen soll. »Ich möchte mich von Peter trennen, ich kann nicht mehr, es geht schon wieder los. Er betrügt mich, und Geld fehlt auch schon wieder. « Ich schluckte den dicken Kloß, der in meinem Hals steckte einfach runter und sprach weiter: »Diesmal will ich es durchziehen! Es tut mir um Carlotta leid, aber meine Seele ist so schwer und ich möchte nicht so eine griesgrämige, alte Zicke werden, die durch die Enttäuschungen diese Falten am Mundwinkel bekommt! «

      »Tja Chiara, ich kann dir nur eins sagen, der Peter, der ändert sich nicht mehr! Du weißt, ich hatte auch so einen Mann! Ich habe lange gebraucht. Mein Sohn war bereits vierzehn Jahre alt, als ich es endlich geschafft hatte mich zu trennen. Ich habe zu lange gewartet. Er hatte auch ständig Affären und dann war er weg und unsere Villa ebenfalls. Ich musste mit Mitte vierzig noch einmal von vorne anfangen, aber ich bin froh, dass ich das getan habe, sonst hätte ich nie deinen wundervollen Onkel kennenlernen können. Ich habe nichts bereut. «

      »Sag mal Katharina, wie ist das eigentlich so, wenn man einen Mann kennenlernt, der schon viel älter ist, kann das gut gehen? «

      »Na, Onkel Hans ist zwanzig Jahre älter, aber ich habe es nie bereut. Er ist der passende Deckel für mich, also, ich kann dir nichts Gegenteiliges dazu sagen. Wieso fragst du, Kleines? «

      »Ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll, weißt du. Ich weiß selber noch nicht so genau Bescheid. «

      »Hast du jemanden kennengelernt? Machst du dir Vorwürfe wegen Peter? «

      »Nein! Also kennengelernt ist irgendwie der falsche Ausdruck, also, ich kenne diesen Mann schon seitdem wir eingezogen sind. « Ich stockte mein Atem beschleunigte sich. »Es ist mein Nachbar! Ja! Was soll ich sagen, weißt du, der hört mir zu, wenn ich mit ihm spreche. Er betrachtet mich nicht als Sexmäuschen, sondern behandelt mich respektvoll, unterhält sich mit mir. Stell dir vor, ich sage ihm, dass ich so gerne tanzen gehen möchte und er geht mit mir tanzen. Einfach so – ohne Gegenleistung. Er bekommt mit, dass ich daran Spaß habe und möchte mir eine Freude machen. Dann vor kurzem, hatte ich ihn etwas gefragt, einfach nur, um mal zu hören, wie er so tickt. «

      Da unterbrach mich Katharina: »Ich schätze, er benötigt solche Spielchen nicht, dem geht es um dich, nicht um Macht! «

      Ich konnte nur noch bejahen und erzählte ihr von dem Gespräch im Restaurant. »Ich fragte ihn wie er das findet, so mit anderen Frauen, also konkret, wenn er mit einer zusammen wäre und dann noch ein Abenteuer… «

      So redete und redete ich, und es sprudelte alles nur so aus mir heraus, ich erzählte ihr, von ihm. Was er beruflich macht, dass er so ganz anders als Peter sei, aber, schon älter. Ich hätte keine Ahnung wie alt, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich durch Maurice eine neue Sichtweise zu meinem Leben bekommen hätte. Ich stellte fest, dass das Leben, welches ich führe, nur für einen schön