wie er die Wand anbrabbelte. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihn an der Hand zu nehmen und zum Bett zu führen.
Wahrscheinlich würde er den Weg allein zurückfinden, er konnte ja nicht ewig so stehen bleiben. Auf Zehenspitzen schlich ins Schlafzimmer und schlüpfte unter die noch warme Bettdecke. Bevor sie überhaupt damit beginnen konnte, Schäfchen zu zählen, war sie auch schon wieder eingeschlafen.
Allmählich verblassten die Träume und Sophie erwachte. Erneut griff ihre Hand ins Leere und Sophie setzte sich auf. Zwei Stunden waren seitdem vergangen und Nick lag noch immer nicht neben ihr. Schwungvoll schlug sie die Decke zurück, umrundete das Bett und lief ins Wohnzimmer. Er hatte seine Position kaum verändert, es war beinahe schon unheimlich. Zögernd griff sie nach seiner Hand, die nun eiskalt in ihrer lag.
„Bitte Nick“, flüsterte sie, „komm zurück ins Bett.“
Wie in Trance drehte er sich um und ging mit einem entrückten Gesichtsausdruck an ihr vorbei. Sie folgte ihm und beobachtete jede seiner Bewegungen. Wie geschickt er schlafwandelte, ohne ein einziges Mal anzuecken, dachte sie erstaunt.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er tief und fest schlief, legte sie sich neben ihn. Beim Frühstückstisch würde sie das Thema Schlafwandeln ansprechen. Hoffentlich konnte sie sich damit abfinden, dass die Nächte unruhiger für sie wurden, sobald sie zusammengezogen waren.
Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die anderen. Erst als die Morgenröte über der Stadt aufzog und den Himmel in ein Flammenmeer verwandelte, schlief sie wieder ein.
Sophie stellte hastig den Wecker aus und drehte sich auf die andere Seite. Zärtlich strich sie Nick durch das Haar, um ihn zu wecken.
„Guten Morgen“, sagte sie und küsste ihn. Nick wirkte etwas angeschlagen.
„Warum ist die Nacht nur so kurz?“, seufzte er. „Ich fühle mich, als hätte ich kein Auge zugemacht.“
Das war genau das Stichwort, um das Thema anzusprechen. „Warum hast du mir eigentlich nie erzählt, dass du schlafwandelst?“, fragte sie.
„Schlafwandeln? Wie kommst du denn auf die Idee?“
„Na hör mal, du hast geschlagene zwei Stunden im Wohnzimmer in der Ecke gestanden. Du warst nur mit Boxershorts bekleidet, dein Körper war eiskalt.“
„Sophie, du hast wirklich eine blühende Fantasie. Bis jetzt hat sich noch nie jemand darüber beschwert, dass ich nachts durchs Haus geistere.“
„Dann bin ich eben die Erste“, erwiderte sie. „Ich hatte Durst und bin in die Küche gegangen, um ein Glas Wasser zu trinken. Dort habe ich ein merkwürdiges Flüstern gehört und dich dann im Wohnzimmer entdeckt. Falls du mir nicht glaubst, das Glas steht noch neben der Spüle.“
„Gut“, Nick klopfte auf die Decke, „dann lass uns in die Küche gehen.“ Mit einem Satz war er auf den Beinen und lief voraus. Sophie folgte ihm. „Siehst du, ich hatte recht, da steht kein Glas.“ Er deutete auf die Spüle.
„Aber … aber das kann nicht sein“, stammelte sie verwirrt. „Ich könnte schwören, dass ich wach gewesen bin. Deine Hände haben sich eiskalt angefühlt und ich schmecke noch immer das Wasser auf meiner Zunge.“ Sie versuchte ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, doch ihre Stimme klang wenig überzeugend.
Nick musterte sie nachdenklich. „Manchmal spielen uns die Sinne einen Streich, wenn wir die Grenzen der Belastbarkeit erreicht haben. Du hast ziemlich lebhaft geträumt, nicht mehr und nicht weniger. Es besteht kein Grund zur Sorge.“
Er zog sie zu sich heran und küsste ihren Scheitel. „Lass den Tag heute ruhig angehen und nimm dir deine wohlverdiente Auszeit. Ich kann nachvollziehen, wie sehr dich das belastet, aber das wird schon wieder. Geh dich erst einmal frisch machen, ich werde in der Zwischenzeit Kaffee kochen und den Tisch decken.“ Er gab sich Mühe, sie mit seiner lockeren Art zu trösten und das Gewesene zu überspielen.
„Danke, du bist ein Schatz.“
Sie lächelte ihn an und verschwand im Badezimmer. Dort hockte sie sich auf den Toilettendeckel und versuchte zu begreifen, was da vor sich ging. Wieso war das Glas verschwunden? Das ergab doch alles keinen Sinn. Sie hatte Nick gesehen, sich über sein Verhalten gewundert. Litt sie tatsächlich unter Halluzinationen?
Sobald Nick die Wohnung verlassen hätte, würde sie sich im Internet über psychische Krankheiten informieren. Mit solchen Dingen hatte sie sich zwar noch nie beschäftigt, aber sie wollte endlich begreifen, was mit ihr nicht stimmte.
Sie duschte kurz, zog sich an und setzte sich zu Nick an den Frühstückstisch. Sie hatte ihre liebe Not damit, ihr aufgewühltes Innerstes vor ihm zu verbergen. Zum ersten Mal überkamen sie ernsthafte Bedenken, dass das gemeinsame Leben mit einem angehenden Psychiater anstrengender werden könnte, als angenommen. Aber die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass man sich mit der Zeit daran gewöhnen und ganz unbefangen miteinander umgehen würde. Leider war Geduld noch nie ihre Stärke gewesen.
„Ich komme nach der Uni wieder zu dir“, sagte er. „Du kannst ja schon ein paar Dinge auf einen Zettel schreiben, die verpackt werden sollen. Und während du die Füße hochlegst und Anweisungen erteilst, stopfe ich die Kartons voll. Na, was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht so recht …“, zögerte sie. „Es ist mir unangenehm, anderen beim Arbeiten zuzusehen.“
„Ach was“, widersprach Nick und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Du gibst nur ungern die Kontrolle ab. Stimmt’s oder habe ich recht?“
„Wirst du mich jetzt immer analysieren?“, fragte sie mit einem Seufzer.
„Nein, natürlich nicht.“ Er musterte sie mit ernstem Blick. „Es sei denn, du lässt dich privat versichern. Dann können wir gerne über meinen Stundensatz verhandeln.“
„Du bist unmöglich“, erwiderte sie lachend.
Nick stand auf, stellte das Geschirr in die Spüle und verabschiedete sich von ihr. „Ruh dich aus und lasse mal alle Fünfe grade sein. Ich helfe dir nachher beim Packen, versprochen. Hab einen schönen Tag, Liebes.“
„Danke Nick, du auch.“
Sie stand am Fenster, winkte ihm ein letztes Mal zu und sah dem davonfahrenden Wagen hinterher. Dann war sie mit ihren Sorgen wieder allein.
3
Das gleichmäßige Motorengeräusch ließ Sophie schläfrig werden. Die sommerliche Landschaft flog an ihr vorüber, während sie ihrer Müdigkeit nachgab und die Augen schloss. Nick hatte natürlich nicht lockergelassen und sie wieder und wieder dazu ermutigt, an dieser Tour teilzunehmen. Es war ihr schon immer schwergefallen, ein klares Nein auszusprechen. Wurde sie um einen Gefallen gebeten, gab sie meistens nach, wenn auch nur mit Widerwillen.
Inzwischen war sie bei Nick eingezogen und das Großprojekt im Architekturbüro gehörte der Vergangenheit an. Sie hatte eine Woche Urlaub eingereicht, um die Seele baumeln zu lassen. Nach wie vor gab es Tage, an denen es ihr schlecht ging und sich die Realität mit etwas anderem vermischte. Im Internet war sie nicht fündig geworden. Keine der klassischen psychischen Erkrankungen hatte in dieses Schema gepasst und ihre Erleichterung darüber war grenzenlos gewesen.
Bedauerlicherweise war heute wieder einer dieser typischen Tage. Am liebsten wäre sie im Bett liegen geblieben und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen, während Nick voller Elan aufgesprungen war, um das Frühstück vorzubereiten. Sie hatte sich noch ein paar Minuten Ruhe gegönnt und war dann gähnend ins Badezimmer getappt.
Jetzt allerdings, in Maikes Gegenwart, riss sie sich zusammen, denn vor ihr wollte