schützend vor den Oberkörper und hielt den Atem an. Panik machte sich breit.
Ein Schatten baute sich vor ihr auf und lehnte sich lässig an den Türrahmen.
„Nick? Was machst du denn hier?“, nuschelte sie. Ihre Zunge fühlte sich wie ein unförmiger Klumpen an und klebte am Gaumen.
Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und musterte sie belustigt.
„Wie bist du überhaupt in die Wohnung gekommen?“
Sie konnte nicht mehr klar denken. Auf keinen Fall hätte sie Nick einen Schlüssel anvertraut, da war sie sehr eigen. Ein zweiter Schatten gesellte sich dazu. Maike! Nicks Ex legte ihre Hände lasziv auf seine Schultern und küsste ihn leidenschaftlich. Sophie konnte nicht begreifen, was da vor sich ging. Wieso erwiderte Nick diesen Kuss mit einer Intensität, die sie nie bei ihm vermutet hätte?
„Warum tust du mir das an?“, stammelte sie bestürzt.
Er hob seinen Kopf. „Weil du wahnsinnig bist, mein Schatz.“
„Ich bin nicht verrückt“, widersprach sie heftig. Mit zwei Fingern kniff sie sich in den Oberschenkel. Sie spürte den Schmerz, das konnte kein Traum sein. „Verlasst auf der Stelle meine Wohnung“, rief sie fassungslos. „Raus, sofort!“
Sie versuchte, ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, doch die Stimme wollte ihr einfach nicht gehorchen. Sie sprang entschlossen auf, um die beiden hochkant aus ihrer Wohnung zu werfen. Dabei verhedderten sich ihre Beine in der Bettdecke und sie stürzte auf das Parkett. Schlagartig wurde es dunkel.
„So, dann erzählen Sie einmal, unter welchen Beschwerden Sie in letzter Zeit leiden.“ Der Arzt musterte sie aufmerksam über den Rand seiner Brille hinweg.
Stockend berichtete Sophie von ihren beängstigenden Erlebnissen, bei denen sie anscheinend unter Wahnvorstellungen litt. Am Morgen war sie neben dem Bett aufgewacht und hatte einige Minuten gebraucht, um sich zu orientieren. Sie konnte nicht begreifen, was sich in dieser Nacht abgespielt hatte. Der Hausschlüssel steckte von innen im Schloss, Nick konnte also unmöglich auf herkömmlichen Weg in die Wohnung gelangt sein.
Inzwischen musste sie sich eingestehen, dass ihr Problem größer war, als sie angenommen hatte. Besorgt hatte sie einen Termin beim Hausarzt vereinbart und hockte nun in der Praxis, um ihr Innerstes nach außen zu kehren.
Der Arzt räusperte sich. „Ich werde ihnen ein pflanzliches Präparat verschreiben und Sie sollten sich in nächster Zeit unbedingt schonen. Ihre Werte sind in bester Ordnung, wahrscheinlich macht Ihnen der berufliche Stress zu schaffen. Für die nächsten fünf Werktage sind Sie krankgeschrieben.“
„Aber das geht nicht“, widersprach sie. „Wir arbeiten an einem wichtigen Projekt und der Termindruck lässt uns keine Wahl.“
„Wenn Sie sich keine Auszeit nehmen, Frau Thiel, wird sich an der jetzigen Situation nichts ändern. Sie kennen mich inzwischen schon eine Weile und ich bin bekannt dafür, Krankschreibungen äußerst sparsam auszustellen.“
Mit strengem Blick schob er den Schein über den Schreibtisch in ihre Richtung. Zaghaft nahm sie diesen an sich und verließ die Arztpraxis.
Ihr Chef zeigte wenig Begeisterung, dass sie sich hatte krankschreiben lassen. Die Reaktion war zwar zu erwarten gewesen, aber schon aus einer gehörigen Portion Trotz heraus überlegte sie, alle fünf Tage in Anspruch zu nehmen. Sie hatte ja noch etwas Bedenkzeit.
Die Frage war nur, was sie jetzt mit ihrer freien Zeit anstellte? Gedankenverloren steuerte sie das elterliche Reihenhaus an. Sie brauchte dringend eine Vertrauensperson, mit der sie über alles reden konnte. Ihre Mutter war Freiberuflerin und um diese Zeit meist zu Hause.
„Na, meine Kleine, was treibt dich denn hierher?“, fragte ihre Mutter an der Tür und nahm sie zur Begrüßung in den Arm. „Du kommst genau richtig, ich habe gerade eine Kanne Kaffee aufgesetzt.“ Sophie folgte ihrer Mutter in die Küche. „Musst du heute nicht arbeiten?“
„Nein, ich bin krankgeschrieben“, antwortete Sophie.
„Etwas Ernstes?“, fragte ihre Mutter besorgt.
„Eigentlich nicht, aber ich möchte trotzdem mit dir darüber reden.“
„Gut, setzen wir uns ins Wohnzimmer.“
Mit der Tasse in der Hand ließen sie sich auf der bequemen Couch nieder.
„Wo ist Papa?“
Ihre Mutter seufzte. „Er hat Frühschicht und muss anschließend Überstunden schieben.“
„Woher kenne ich das nur, die Arbeitswelt hat uns fest im Griff“, antwortete Sophie.
„So, und jetzt erzähl. Was bedrückt dich?“ Ihre Mutter nickte ihr aufmunternd zu.
„Wo fange ich bloß an?“ Sophie nippte am heißen Kaffee. „Manchmal habe ich das Gefühl, unter Halluzinationen zu leiden, und hin und wieder treten als Begleiterscheinungen auch Unwohlsein und Übelkeit auf. Letzte Nacht dachte ich wirklich, dass Nick und seine Verflossene wild knutschend in meinem Schlafzimmer stehen. Am nächsten Morgen bin ich dann neben meinem Bett aufgewacht, ich muss wohl rausgefallen sein. Es macht mich wahnsinnig, nicht zu wissen, was mit mir geschieht.“
„Spätzchen“, erwiderte ihre Mutter sanft, „kann es vielleicht sein, dass du dich selbst unter Druck setzt? Es ist eine sehr unglückliche Konstellation, dass Nick mit seiner Exfreundin immer wieder unterwegs ist. Aber du musst lernen, damit umzugehen.“
„Du hast gut reden, Mama.“
„Ich weiß, das Leben ist ziemlich kompliziert.“ Ihre Mutter Christine strahlte Zuversicht aus und kleine Lachfältchen umspielten ihre Augen. Sie war noch immer eine wunderschöne Frau, auch wenn erste graue Strähnchen im kastanienbraunen Haar sichtbar wurden.
„Vertrau darauf, dass Nick die richtige Wahl getroffen hat. Es gibt ein Sprichwort: Aus einer schönen Schüssel isst man nie allein. Vielleicht trifft das auch auf Maike zu. Die Beziehung der beiden ist endgültig vorbei, und sobald du das akzeptiert und verinnerlicht hast, wird es dir seelisch auch wieder besser gehen.“
„Ich weiß doch auch, dass ich mit meiner Eifersucht total übertrieben reagiere. Ständig habe ich Angst, dass Nick mir ansieht, was ich denke, dass er mein Verhalten analysiert.“
„Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Psychiater sind auch nur Menschen. Du solltest auf den Rat deines Arztes hören und dich schonen. Nur weil du krankgeschrieben bist, geht die Welt nicht unter. Es ist an der Zeit, dass dein Chef eine weitere Kraft einstellt.“
„Mama, du hast ja recht. Es tut gut, mit dir darüber zu reden.“
„Dafür bin ich doch da, du kannst immer zu mir kommen“, erwiderte Christine.
„Übrigens, Nick hat mich gefragt, ob ich zu ihm ziehen will“, platzte Sophie mit der Neuigkeit heraus.
„Na also, wusste ich’s doch. Er meint es tatsächlich ernst, und das freut mich für dich. Bist du denn schon bereit für diesen Schritt?“
Sophie schluckte. „Ja, wahrscheinlich schon. Der Gedanke daran ist noch so frisch, so ungewohnt … Aber ich freue mich, ihm endlich ganz nah zu sein.“
„Das wird schon. Lass dir alles in Ruhe noch einmal durch den Kopf gehen und wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich.“
„Danke Mama, du bist die beste.“
„Na, das will ich doch hoffen.“
„Ich werde jetzt nach Hause fahren und mich noch ein wenig ausruhen. Wir sehen uns.“
„Mach’s gut, meine Kleine.“
Nachdem Sophie das Elternhaus verlassen hatte, fühlte sie sich schon bedeutend wohler und lief leichtfüßig zu ihrem Polo. Eine leichte Brise strich über ihre Haut, die Sonne strahlte vom