die Garderobe gewechselt. Sie trug einen langen dunkelbraunen Rock und eine grüne Bluse, die, wie Thomas mit einem kundigen Blick feststellte, eine lange Knopfleiste auf dem Rücken hatte. Die Bluse brachte Amelies pralle Brüste deutlich zur Geltung und war von bemerkenswerter erotischer Ausstrahlung.
Thomas nahm an, dass die junge Frau diese Wirkung durchaus begriff und möglicherweise sogar bewusst forcierte, und er fragte sich mit prickelnder Spannung, ob er darin nicht den Auftakt zu ein paar leidenschaftlichen Stunden sehen durfte. Nein, davon konnte keine Rede sein, sagte er sich im nächsten Moment. Amelie ist von ihrer Prägung her nicht der Typ, der alle Bedenken schnell über Bord wirft und sich ficken lässt. Sie war eindeutig ein Produkt ihrer Umgebung, und kann sich davon nicht lösen. Man muss Geduld und Raffinesse aufbringen, um ihr zu zeigen, was noch in ihr steckt und wozu sie fraglos imstande ist.
Draußen war es dunkel geworden; die Vorhänge waren geschlossen. Im Kamin brannte ein kleines Feuer. Die Sitzgarnitur lag im Lichtkreis einer Stehlampe. Der kleine Tisch war gedeckt: diesmal war es Tee, wie Thomas enttäuscht feststellte.
Immerhin fragte ihn Amelie diesmal: „Oder hättest du lieber etwas Stärkeres? Ein Bier? Wodka?”
„Wodka mit Bitter Lemmon, wenn es möglich wäre.“
Er sah zu, wie Amelie zwei Gläser füllte, wobei ihm nicht entging, dass sie für sich nur ein Minimum an Wodka einschenkte. Sie kehrte mit den Gläsern zum Tisch zurück, nahm ihm gegenüber in einem bequemen Sessel Platz und meinte: „Ich habe vorhin mit Charlie telefoniert. Er hatte seinen ersten Arbeitstag in London. Er weiß, dass wir uns heute Abend über die neue Möblierung unterhalten, und hat deinen Besuch gebilligt.“
Thomas lächelte. „Hattest du deshalb ein schlechtes Gewissen?“
Amelie wurde verlegen. „Habe ich so spießig gewirkt?“
„Vielleicht ein wenig“, meinte er.
„Aber was ist so schlimm an der Bewahrung echter Werte, an Toleranz, Treue und Familiensinn?“
„Darin ist gar nichts auszusetzen. Aber ich glaube, es geht nur darum, alberne Tabus wegzuräumen und gewisse Fesseln zu lösen, die viele Menschen wie eine Last empfunden haben.“
„So?“, fragte Amelie und hob ihr Kinn. „Was tritt denn an die Stelle der Tabus? Doch nur die Hilflosigkeit, vielleicht auch nur eine große Leere, eine Riesenenttäuschung. Freiheit bedeutet Verpflichtungen einzugehen.“
Er lachte leise. „Ich fürchte, du siehst das Problem zu akademisch.“
„Wie meinst du das, Thomas?“, fragte sie irritiert.
Er zuckte mit den Schultern. „Es ist ein wenig heikel, darüber zu sprechen. Ich neige zur Offenheit.“
„Ich möchte jetzt wissen, was du genau meinst. Mit Charlie kann ich über solche Themen nicht sprechen.“
„Ach ja?“, wunderte sich Thomas. „Charlie ist doch sehr aufgeschlossen.“
„Das meine ich damit nicht“, erklärte Amelie. „Ich bringe es einfach nicht fertig, mit ihm über bestimmte Themen zu sprechen. Ich finde, dass zwischen Mann und Frau gewisse Schranken bestehen bleiben sollten, sonst läuft die Ehe Gefahr, in Gewöhnlichkeit zu versanden, in einer gewissen Vulgarität. Nicht ohne Grund ist die Scheidungsrate in Deutschland so hoch.“
„Es klingt, als wäre sexuelle Offenheit eine ansteckende Krankheit. Vulgarität gehört zum Leben, wie Schmutz, wie Krankheiten, aber auch wie die Luft, die wir atmen.“
„Findest du das wirklich?“
„Unbedingt. Wie alt warst du bei deinem ersten Mal?“
Er war sich der Schockwirkung dieser Frage bewusst, meinte aber zu wissen, dass er mit dieser Methode am ehesten zum Erfolg kommen würde. Amelie gehörte zu den Frauen, die ihre distanzierte Höflichkeit niemals ablegten, und nur dann vergessen konnten, wenn sie merkten, dass ihr Partner damit nicht zu beeindrucken war und selbst viel schwereres Geschütz liebte.
„Bitte?“, murmelte sie. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.
Er lächelte und wiederholte seine Frage.
Brennende Röte schoss in Amelies Wangen. Ihre Augen funkelten zornig. „Ich finde, jetzt gehst du wirklich zu weit. Was hat das mit unserem Gespräch zu tun?“
„Eine ganze Menge“, antwortete Thomas. „Unterhaltungen wie diese führen zu nichts, wenn man abstrakt bleibt, wenn man sich nicht am praktischen Beispiel festhält. Daran lässt sich abmessen, vergleichen und erkennen, was wir richtig oder falsch machen.“
„Von mir ist nicht die Rede!“, meinte Amelie abweisend. „Ich habe nicht das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.“
„Dann frage ich mich, weshalb du so aufgewühlt auf unser Gespräch reagierst.“
„Ich habe eine konservative Erziehung in einem Schweizer Internat genossen. Aber wenn ich im Internet surfe, Reportagen im Fernsehen anschaue, mit Freundinnen oder Arbeitskolleginnen spreche, dann glaube ich, eine prüde und frigide Frau zu sein. In unserer heutigen Welt wird so offen und direkt über die Sexualität gesprochen, überall sieht man nackte Haut. Das können doch nicht die Werte einer zivilisierten Gesellschaft sein!“
„Die Werte des Lebens schafft sich doch jeder Mensch selbst. Da gibt es keine Richtlinien. Erlaubt ist, was gefällt. Wenn du in deiner Ehe restlos glücklich bist, wenn du überzeugt bist, dass Charlie dich niemals betrügen würde, besteht doch gar kein Grund, über andere Menschen zu reden. Nur dein Leben zählt, alles andere hat kein Gewicht.“
Sie schaute Thomas nachdenklich an. „Du kennst Charlie seit Jahren, bist sein bester Freund. Was glaubst du? Kann er mir treu bleiben?“
„Was würdest du denn tun, wenn er mit einer anderen Frau Sex hätte?“, fragte Thomas.
„Ich weiß nicht. Mein Gott, was für ein Thema! Wir sollten es schleunigst abbrechen und wieder über die Einrichtung sprechen“, schlug sie vor.
„Du solltest jetzt nicht das Thema wechseln. Du suchst nach Antworten. Wir müssen weitermachen. Kompromisslos, wie es so schön heißt.“
„Also gut. Ich war vierzehn Jahre alt, als ich entjungfert wurde.“
„Sind es positive Erinnerungen?“
„Thomas! Ich finde, deine Fragen gehen zu weit, sind zu intim.“
„Es sind Prägungen, die dein Leben beeinflussen und somit auch die Ehe mit Charlie. Daher sind die Antworten wichtig.“
„Da bin ich nicht deiner Ansicht!“
Sie schwiegen einige Sekunden, dann entspannte sich Amelie. Sie brachte sogar ein Lächeln zustande. Kurz darauf musste sie lachen.
„Ich kann es nicht fassen“, meinte sie. „Dass ich mit dem besten Freund meines Mannes über solche Dinge spreche ...“
„Der Jammer mit unseren Prägungen ist, dass wir nicht ehrlich miteinander sprechen. Wir teilen unsere Fantasien lieber mit fremden Menschen im Internet als mit dem eigenen Partner“, erwiderte Thomas und betrachtete erneut die Wölbung ihrer Brüste unter der Bluse.
„Das kann ich von mir nicht behaupten. Ich bin immer ehrlich. Wenn es um Dinge geht, die auszusprechen taktlos wären, halte ich lieber den Mund.“
„Dann könnten wir vereinbaren, miteinander ehrlich und offen zu sprechen. Was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht.“
„Dann fange ich an. Ich bin jetzt ehrlich. Okay?“
„Na gut.“
„Ich würde dich jetzt gerne ficken, bis du vor Lust schreist, dein geiler Körper zittert, wie ein Fisch an Land. Was hältst du davon? Wollen wir etwas vögeln?“
Amelie starrte ihm in die Augen. Er registrierte zufrieden, dass sie, trotz ihres hochroten Gesichtes, längst aufgehört hatte, seine Direktheit