June A. Miller

SAOMAI


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Spaß, Teil davon zu sein. Glaub mir!“

      Trotz der Dunkelheit bemerkte Saomai Neills durchdringenden Blick. Ahnte er die wahren Absichten hinter ihrem Vorschlag?

      „Was hast du vor?“, fragte er.

      Sie war verunsichert. Seine Stimme hatte hart geklungen. Argwöhnisch.

      Mit aller Unschuld, die sie aufbringen konnte, entgegnete Saomai: „Ich würde dir gern etwas von Bangkok zeigen. Das Viertel, in dem ich groß geworden bin zum Beispiel. Es würde dir gefallen.“

      Damit hatte sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, das wusste sie. Ausflüge gehörten nicht zu ihrer Vereinbarung. Saomai hatte keine Ahnung, wie Neill diesen Vorschlag auffassen würde. Sie konnte gerade noch die Konturen seines Gesichts erkennen, jedoch keine Regung darin ausmachen. Als Neill nicht antwortete, dachte Saomai schon, er würde ihre Frage unbeantwortet lassen. Doch dann wandte er ihr sein Gesicht zu und sie erkannte am Aufblitzen seiner Zähne, dass er lächelte.

      „Und du denkst also, dass mir die Stäbchennummer da draußen von Nutzen sein könnte, ja?“

      Erleichtert fiel Saomai in sein Lachen ein.

      „Du würdest zumindest nicht verhungern!“

      ****

      Mit einem wütenden Klacken schaltete er das Tonband ab. Das durfte einfach nicht wahr sein! Seit Wochen bearbeitete Saomai Ferguson auf diese unterschwellige Art. Befragte ihn zu seinen Partnern, heuchelte Interesse über seine Bauvorhaben. Und er gab ihr über alles bereitwillig Auskunft!

      Dass sie ihm jetzt das Viertel am Fluss zeigen wollte, konnte nur bedeuten, dass sie Ferguson Flöhe über den Bebauungsplan ins Ohr setzen wollte. Oder ihm erzählte, mit welchen Methoden die Hausverkäufe zustande gekommen waren. Lamom würde durchdrehen, wenn er das hörte. Seit Saomai bei Neill aufgekreuzt war, war der Thailänder unberechenbar geworden. Bestimmt würde er seine Laune über die neueste Nachricht wieder an ihm auslassen. Wenn er nur an Lamoms eisgrauen Augen dachte, fror es ihn bis ins Mark. Auf jämmerliche Weise bedauerte er sich selbst. Wie hatte er seine Seele nur an diesen Teufel verkaufen können? Er verfluchte einmal mehr den Tag, der ihm so zum Verhängnis geworden war. Hätte er geahnt, dass ihn die Nummer mit den Ladyboys in die Fänge von Lamoms Mafia treiben würde, er hätte sich gar nicht erst anquatschen lassen. Er wusste selbst nicht, was an diesem Abend mit ihm los gewesen war, dass er sich darauf eingelassen hatte. Er hatte einen Drink in einer Bar genommen. Danach war er wie angetörnt gewesen. Und dann standen diese drei Grazien vor ihm. Bildschöne Mädchen mit großen, unschuldigen Augen und heißen Figuren. Als sie sich später als Boys entpuppten, war er schon so aufgeheizt, dass ihn eine homosexuelle Erfahrung nicht abschreckte.

      Was soll’s, hatte er gedacht. Hier im Sündenpfuhl Bangkok interessierte das doch niemanden.

      Wie er sich getäuscht hatte!

      Aber wie dämlich konnte man auch sein, diese verlumpten Kinder einen Ort vorschlagen zu lassen, wo man sich mit ihnen vergnügen konnte? Die hatten ihn gefilmt!

      Der blanke Horror kroch in ihm hoch, als er an den Tag zurück dachte, an dem Lamom vor seiner Tür gestanden hatte. Ohne ein Wort zu verlieren hatte er sich in seine Wohnung gezwängt, seinen Laptop auf dem Küchentisch aufgeklappt und ihn gezwungen, den Film anzusehen, in dem am Ende… Er jaulte auf und krümmte sich vor innerer Pein. In dem einer der drei Jungen leblos zu Boden ging, als er von ihm abließ.

      Jetzt weinte er hemmungslos. Um das Kind und um sein eigenes verpfuschtes Leben, das er an Lamom Benjawan verwirkt hatte.

      Sein verschwommener Blick fiel auf das Abspielgerät in seinen Händen und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Wenn er Lamom erzählte, was diese Saomai plante, würde er es ausbaden müssen. Es sei denn…

      Er starrte angestrengt aus dem Fenster.

      Ja genau, das war die Lösung! Er würde das Problem aus der Welt schaffen, ohne dass Lamom davon erfuhr. Nichts einfacher, als den Stadtbummel der beiden durch ein paar Kleinkriminelle stören zu lassen. So sehr stören, dass Ferguson das Weite suchen und sich eine neue Masseuse nehmen würde. Gute Idee! Dann konnte er sich damit vor Lamom brüsten und endlich einmal Lob statt Prügel kassieren!

      Mit flinken Fingern wählte er eine Nummer in den Slums. Nach etlichen Minuten keuchte eine Männerstimme unwirsch in den Hörer.

      „Den Bauvorsteher“, forderte er streng und wartete ungeduldig. Die Jungs vom Bauabschnitt 38 waren genau die richtigen für den Job. Skrupellose Dreckskerle, die vor nichts zurückschreckten, wenn man sie dafür bezahlte. Wenn es sein musste, auch nicht vor einer Frau.

      ****

      Saomai lief wie ein eingesperrtes Tier in ihrer Wohnung auf und ab. Am Nachmittag war sie mit Neill verabredet. Sie würden sich am Memorial Hospital treffen. Ein guter Ausgangspunkt für ihren geplanten Streifzug. Dort konnte Neill sein teures Auto unbehelligt parken. Die Uhrzeit hatte sie mit Bedacht gewählt. Um fünfzehn Uhr war der Schichtwechsel im Krankenhaus vollzogen und die Gefahr gering, auf Ärztekollegen und Schwestern zu treffen. Ihre innere Unruhe wuchs, je näher die Zeiger der Uhr auf die Drei zugingen. Bot sich heute etwa die Gelegenheit, Neill in seinem Bauvorhaben umzustimmen? Ihr Viertel zu retten? Konnte sie doch noch verhindern, dass hier ein Bürohochhaus neben dem anderen hochgezogen wurde! Dass die Klinik einer Schönheitsfarm zum Opfer fiel? Ihr wurde ganz schwindelig.

      Als Saomai am Krankenhaus eintraf, erwartete Neill sie bereits. Lässig lehnte er an seinem Sportwagen. Er trug eine schwarze Anzughose. Das weiße Hemd klebte an seinem Körper, trotzdem er die oberen Knöpfe geöffnet hatte. Er erblickte sie und stieß sich vom Kotflügel ab, um ihr entgegenzugehen.

      Der Mann sieht so unverschämt gut aus, dachte sie. Und dieses Lächeln! Eine Mischung aus jungenhafter Euphorie und Abenteuerlust, ließ Neill deutlich jünger aussehen, als er war.

      „Hallo“, sagte er schlicht, als sie voreinander hielten.

      Er zog Saomai an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.

      Dann musterte er sie von Kopf bis Fuß und pfiff durch die Zähne.

      „So sportlich habe ich dich ja noch nie gesehen.“

      Saomai trug ein olivfarbenes Top, ihre Beine steckten in weißen Shorts, die nackten Füße in hellen Leinenschuhen. Ihr Haar hatte sie im Nacken zu einem dicken Knoten gebunden.

      „Wir haben ja auch ein bisschen Wegstrecke vor uns“, antwortete sie.

      Neckend deutete sie auf Neills schwarze Hose.

      „Du bist nicht ganz so gut vorbereitet, was?“

      „Leider nein. Ich hatte noch einen Termin und nun schwitze ich wie ein Affe in diesem Anzug“, stöhnte er.

      „Ich weiß da was“, rief Saomai und zog ihn mit sich in Richtung Krankenhaus.

      „Willst du mir ein OP-Hemd besorgen, oder was?“

      „Nein, im Erdgeschoss gibt es einen Laden. Da bekommst du zumindest ein T-Shirt.“

      Neill ließ sich nur widerwillig mitzerren. Das Letzte, was er brauchte, war in der Kostümierung eines Krankenhaus-Shops neben dieser Traumfrau herzutrotten. Doch zu seiner Überraschung führte das Geschäft gute Marken. Er behielt die beigefarbene Leinenhose und das blaugestreifte Polo, das er auswählte, gleich an, tauschte seine Anzugschuhe gegen sportliche Sneakers und verstaute seine eigenen Klamotten im Wagen. Nun fühlte er sich deutlich wohler. Der ungewohnte Freizeitdress erinnerte ihn an früher, an die Zeit, als er neu in Bangkok gewesen war und mit seiner damaligen Freundin die Stadt erkundet hatte.

      Ewig her, dachte er. Dann sah er Saomai an und ein lang vermisstes Hochgefühl weitete ihm die Brust.

      Sie erwiderte lächelnd seinen Blick, hakte sie sich unter und sagte: „Na dann, los!“

      „Uh, was ist das denn?“, fragte Neill, als sie einen Schlund passierten, der sich am Westflügel des Krankenhauses in das Erdreich bohrte.

      „Ach, da