Charlotte Maus

Kryptonit


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Mein Berliner Charme wird es richten.“ lachte er.

      Naja. Berliner Charme war leider etwas, was ich noch nie mochte. Ich fand Berliner tendenziell distanziert und aufmüpfig. Die, die ich kennen gelernt hatte, gaben ständig freche Kommentare von sich und meinten dann sie wären ja nur ehrlich. Das hatten dann alle zu akzeptieren. Aber ich würde mich gerne eines Besseren belehren lassen. Trotzdem kam ich nicht umhin seine Aussage zu kommentieren mit:

      „Berliner Charme, ja? Ist die Existenz mittlerweile bewiesen?“

      Er lächelte, aber ich konnte spüren, dass er sich angegriffen fühlte.

      „Bei euch merkt man jedenfalls, dass ihr rheinische Frohnaturen seid. Laut und trinkfest, was? Ich habe vorhin eure Geschichten von den legendären WG-Parties mitgehört. Das klingt auf jeden Fall nach Spaß… und Ärger.“

      Er wirkte versöhnlich und ich beschloss, ihm eine Chance zu geben. Vielleicht war er ja gar nicht so übel und es konnte nicht schaden, neue Kontakte zu knüpfen. Pia und Sarah kamen gemeinsam vom Klo, aber sprachen kein Wort miteinander, als sie sich zu uns gesellten. Raffi stellte die beiden vor.

      „Das sind Pia und Sarah, zwei von drei Mitbewohnerinnen.“

      Pia reichte Chris die Hand. Er nahm sie mit beiden Händen und schüttelte sie freudig, während er sich vorstellte. Das gleiche tat er bei Sarah. Raffi und ich sahen uns abschätzig an. Was waren das nur für seltsame Begrüßungsformen, die der Typ an den Tag legte?

      „Die Reise hat sich schon jetzt gelohnt, wenn ich nach nur drei Stunden solche bezaubernden Damen kennen lerne.“ sagte er und schaute die beiden bewundernd an.

      Wow. Ich bin noch hier. Pia lächelte ihn dankend an und winkte ab. Sarah legte eine Hand auf seine Brust, schaute kokett zu Boden und spielte seine Bemerkung herunter.

      „Ach, du übertreibst. Und eine der bezaubernden Damen ist außerdem schon vom Markt.“

      Pia lehnte sich nickend an mich.

      „Oh, sorry Bro. Ich wollte nicht…“

      „Schon gut, Alter. Das ist bestimmt dieser berühmte ‚Berliner Charme‘, oder?!“

      Wir lachten beide und gingen gemeinsam wieder in den Bus.

      Chris gesellte sich zu uns und wir unterhielten uns über das Leben. Nach und nach legte ich meine Vorurteile ab und musste fest stellen, dass er eigentlich ganz nett war. Er war wie wir Student und liebte das Leben. Wie ich anhand seines Aussehens schon vermutet hatte, war er Surfer versprach sich ein paar windige Tage von unserem Urlaub. Generell war er sehr sportlich und spielte in Berlin in einem Basketballverein. Er schien sehr gut in unsere Gruppe zu passen, flirtete für meinen Geschmack aber etwas zu offensiv mit unseren ‚Damen‘. Diese genossen allerdings die Aufmerksamkeit, also ließ ich alle genießen, was sie wollten.

      Alex hatte auf einem unserer Pinkelstopps anscheinend auch Bekanntschaft mit einem Mitreisenden gemacht, der es ihr direkt angetan hatte. Er war groß, dunkel, breit gebaut und hatte einen gepflegten Bart. Außerdem war er tätowiert bis an die Zähne und dass auf seiner Käppi nicht „Bad Boy“ stand, wunderte mich fast. Er war genau ihr Beuteschema und sie vermutlich seins. Sie passten wie Arsch auf Eimer und flirteten so offensichtlich miteinander, dass es fast schon unangenehm war. Gegen Abend kam sie mit ihm zu uns und stellte ihn uns als Dennis vor. Er war überraschend nett und man konnte gut mit ihm quatschen. Gegen Abend wurde es leiser im Bus und auch wir richteten unsere Plätze schlafgerecht ein. Ich hatte auf Reisen oder wenn ich woanders übernachten wollte, immer mein Kopfkissen dabei. Das hatte mir schon so einige Nächte den Arsch oder besser gesagt den Nacken gerettet.

      Ich hörte Musik und Pia war an meiner Schulter eingeschlafen. Damien Rice sang ‚Cannonball‘ in mein Ohr und ich war glücklich. Wir hatten Deutschland hinter uns gelassen und irgendwie auch unseren Alltag los gelassen. Wir waren einfach wir selbst und hatten schon neue Kontakte geknüpft und trotzdem als Einheit Zeit verbracht. Ich war zufrieden mit unserer Truppe. Vorsichtig schaute ich Pia auf meiner Schulter an, weil ich sie nicht wecken wollte. Sie sah wunderschön aus und schnaubte zufrieden vor sich hin. Ich war so dankbar, diese Zeit mit ihr erleben zu dürfen und lächelte sie selig an. So glitt auch ich langsam ins Land der Träume.

      Als ich nach circa zwei Stunden aufwachte, war es dunkel draußen. Ich kam langsam zu mir und spürte, wie sich verschiedene Schmerzen langsam in meinem Körper ausbreiteten. Ich hatte auf einem meiner Kopfhörer geschlafen und das machte sich nun durch einen fiesen Druck in meiner Ohrmuschel bemerkbar. Ich nahm den Ohrstöpsel heraus und hob vorsichtig meinen Kopf. Der Kopf war so ungefähr das Einzige, was ich überhaupt noch bewegen konnte. Pia hatte mich in die hinterste Ecke des Sitzes gedrängt und ein Bein um mich geschlungen. Mein linkes Bein war dadurch eingeschlafen und fing jetzt langsam an zu kribbeln und zu pochen. Meine Hand war unter Pia eingeklemmt und wenn ich mich befreien würde, würde sie aus dem Sitz rutschen. Der Rest meines Körpers schrie nur ‚Nikotin!‘ Ich hoffte so sehr, das wir bald anhalten würden, damit ich aus meiner misslichen Lage befreit werden konnte. Ich sah mich um beobachtete noch ein paar Minuten die schlafenden Menschen um mich herum. Alex lag halb auf Dennis und er schnarchte leise vor sich hin. Etwas Sabber hatte sich in Alex Mundwinkel gesammelt. Ich musste grinsen. Sascha saß mir gegenüber und hatte eine Hand halb in seinen Hosenbund gesteckt. Neben ihm schlief Raffi. Ich war erstaunt, wie normal er aussah. Er saß gerade in seinem Sitz und hatte den Kopf hinten angelehnt. Seine Hände hatte er auf seinen Beinen liegen und den Mund geschlossen. So wünscht sich jeder beim Schlafen auszusehen, dachte ich, als der Bus von der Autobahn abfuhr und endlich eine Raststätte ansteuerte. Ich drückte Pia vorsichtig von mir weg, um sie zu wecken. Ich gab den Vorwand an, dass sie doch bestimmt auf Toilette musste. Sie bejahte und ich stieß einen innerlichen Freudenschrei aus. Beim Aufstehen, kamen noch Schmerzen und Verspannungen an zwei bis drei Stellen hinzu. Aber das Anstecken der Kippe tat sein Übriges und ich fühlte mich wie neu geboren. Pia erledigte schnell ihr Geschäft und kuschelte sich dann rauchend in meine Arme. Sie zitterte. Es war sehr kühl in dieser Nacht und wir hatten nur T-Shirts an. Ich hielt sie ganz fest umklammert und streichelte ihre Arme, bis wir wieder einsteigen mussten. Das war der letzte Halt, bevor wir endlich an unserem Urlaubsort am Lac de St. Croix ankommen sollten.

      Ich konnte es kaum erwarten.

      Kapitel 4

      „Achtung! Wir sind in etwa dreißig Minuten am Zielort angekommen. Der Bus kann leider nicht bis zum Camp hochfahren, aber euer Gepäck wird mit dem Auto vom Team hoch gefahren. Wenn ihr oben seid, könnt ihr dann erstmal eure Quartiere aufschlagen oder frühstücken. Diese Information wird nicht wiederholt. Ende.“

      Der unglaublich dynamische Reiseleiter sprach mit gelähmter Stimme ins Mikrofon und man konnte ihm ansehen, dass er froh war, dass diese Tortur jetzt ein Ende hatte. „Augen auf bei der Berufswahl“ sagte ich immer. Das war wichtig, wurde aber nicht von Allen berücksichtigt.

      Raffi hatte schon seit anderthalb Stunden jede Minute durchgeplant, wenn wir den Bus verlassen hatten. Dabei wussten wir noch nichtmal was genau auf uns wartete. Er rannte durch den Bus, wie ein eifriges Eichhörnchen auf der Suche nach dem Wintervorrat und suchte alles ab, ob wir etwas vergessen hatten. Pia saß einfach neben mir und strahlte vor sich hin. Sie hielt nervös meine Hand und küsste mich von Zeit zu Zeit. Auf den letzten Kilometern fuhren wir schon am See entlang. Er war perfekt. Er leuchtete im schönsten Türkis-Blau und war umgeben von hohen Bergen. Es war atemberaubend. Pia zeigte ständig mit dem Finger auf etwas und schrie

      „Guck mal da!“

      Ich zuckte jedes mal zusammen.

      Wir stiegen aus dem Bus aus und ich war schockiert. Es war scheiß kalt. Pia stand neben mir und bibberte. Sie drückte sich an mich.

      „Was ist hier los? Ich dachte wir sind im Süden.“ fragte sie zitternd.

      „Keine Sorge! Ihr werdet die morgendliche Kälte noch genießen.“ sagte einer der Teamer, der neben dem Transporter stand und Pia gehört hatte.

      Sie lächelte verlegen und kramte einen Pullover aus ihrer Reisetasche. Das Gepäck wurde derweil bereits in den