Charlotte Maus

Kryptonit


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lachte vor sich hin, während wir gemächlich wieder den Hang hinauf gingen.

      Die Infoshow war sehr aufschlussreich. Die verschiedenen Touren wurden vorgestellt und der generelle Tagesablauf erklärt. Es gab ein Frühstück wie heute, eine Lunchtüte und abends immer warmes, frisch gekochtes Essen. Wir erfuhren einige Tipps, was in der Umgebung gut zu erreichen war und wo wir selbst etwas unternehmen konnten. Danach konnte man sich für die Touren einbuchen. Pia und ich wollten auf jeden Fall die zwei Kanutouren machen und Klettern trauten wir uns auch zu. Alex hatte natürlich die selbstmörderischsten Aktivitäten heraus gesucht und wollte sich die nächsten Tage mit Paragliding, Canyoning und Wildwasserschwimmen in Gefahr bringen. Dennis war total begeistert von ihren Plänen und trug sich direkt mit ein. Die zwei hatten sich echt gefunden.

      Beim Abendbrot saßen wir alle zusammen an unserem Tisch und genossen die kühler werdende Luft, während die Sonne langsam am Horizont verschwand. Der Himmel wurde glutrot und das ganze Camp wurde in ein rotes Licht getaucht. Ich stand etwas abseits vom Tisch, als sich Pia vor mich stellte. Ich legte einen Arm um sie, während ich mit der anderen meine Zigarette rauchte. Wir sahen uns einfach verträumt den Sonnenuntergang an und lächelten vor uns hin.

      „Boah, ist das schön!“ sagte sie.

      „Du bist schön.“ erwiderte ich leise.

      Pia drehte sich um und zog meinen Nacken zu ihrem Gesicht. Ihre Lippen schwebten nur einige Zentimeter vor meinem Gesicht, als sie mir noch einmal tief in die Augen sah. Dann küsste sie mich leidenschaftlich. Sie drückte ihren Körper fest an mich. Ich ließ sie einfach tun, was sie wollte und gab mich ihr hin. Ich umschloss ihren Kopf mit meinen Händen und vergrub sie in ihren Haaren. Ich wollte, dass dieser Kuss nie endet. Aber nach und nach kamen wir wieder im Hier und Jetzt an. Ich hörte wieder die Musik und sah die Menschen, die um uns herum saßen und sich unterhielten. Ich sah, wie Sarah uns abschätzig ansah und mit den Augen rollte. Wir genossen noch die letzten, roten Sonnenstrahlen und gingen dann wieder zu den Anderen an den Tisch.

      „Wie war euer erster Tag im Abenteuercamp?“ fragte Sascha in die Runde.

      „Voll gut.“ fing Raffi an, zu erzählen. „Wir waren am Strand und haben den See eingeweiht. Es war echt witzig. Toby hat sich voll den Sonnenbrand geholt.“

      „Ja, echt witzig…“ nickte ich ironisch vor mich hin.

      Raffi grinste mich frech an.

      „Ich war im Nachbardorf, da hinter dem Hügel.“ erzählte Sascha und zeigte auf einen Berg. „Es ist echt schön dort. Man kann einkaufen und Souvenirs shoppen. Nächste Woche findet ein Jazzfestival dort statt.“

      Das klang wirklich cool und ich nahm mir vor, auch unbedingt einen Ausflug dahin zu unternehmen. Sarah saß beteiligungslos auf der Bank und trank einen Apfelwein. Diese Zurückhaltung war eigentlich nicht ihre Art.

      „Sarah? Wo warst du eigentlich? Wir wollten dich fragen, ob du mit zum Strand kommst, aber haben dich nicht mehr gesehen.“

      Sarah schreckte aus ihrer Gedankenwelt auf und richtete sich auf ihrem Platz auf. Sie versuchte gefasst zu wirken und ihre gewohnte Haltung einzunehmen.

      „Ach, echt? da war ich wahrscheinlich noch im Bad. Ich hatte nachher nach euch Ausschau gehalten, aber ihr wart alle verschwunden. Ich hatte angenommen, dass ihr mich nicht dabei haben wolltet.“

      Sie lächelte, als ob sie einen Witz gemacht hatte, aber an der Art, wie sie ihren Blick abwendete, konnte ich sehen, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, ihre Mimik zu deuten, aber ich konnte nichts erkennen.

      „Nein, das ist doch Quatsch, Sarah! Wir haben echt noch gewartet, um dich zu fragen. Das war wirklich keine Absicht!“ entschuldigte uns Alex.

      „Oh, okay. Ist schon gut.“ versuchte Sarah gefasst zu wirken.

      Aber ich konnte sehen, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie versuchte, das zu unterdrücken, aber kam nicht dagegen an. Sie stand schnell auf und ging schnellen Schrittes zu den Zelten herunter. Alex rief ihr noch „Warte!“ hinterher und rannte ihr nach. Was war mit Sarah los? Hatten wir sie so verletzt damit, dass wir sie nicht gefragt hatten oder steckte etwas Anderes dahinter? Alle am Tisch waren sehr nachdenklich, sagten ein paar Minuten gar nichts. Raffi unterbrach unser Schweigen mit einem theatralischen Gähnen.

      „Ich geh mal schlafen.“ sagte er trocken und verließ unseren Tisch.

      „Ich werde mich auch mal in die Heia auf machen.“ klinkte sich Chris ein.

      Dennis war schon direkt nach dem Essen verschwunden.

      „Was denkt ihr, was mir ihr los ist? Ist sie sauer, weil wir nicht auf sie gewartet haben?“ fragte Pia Sascha und mich nach Rat.

      Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht gab es wirklich etwas anderes, was sie beschäftigte.

      „Keine Ahnung.“ gab Sascha zu. „Sarah ist schwer zu verstehen. Sie ist immer so darauf bedacht, die Haltung zu bewahren und nicht zu verletzlich rüber zu kommen, dass ich kaum einschätzen kann, was sie ärgert und was ihr egal ist.“

      „Ich kenne sie ja von Bergheim noch. Da war sie auch schon ein Buch mit sieben Siegeln. Aber ich denke nicht, dass sie sich die Blöße geben würde zu weinen, nur weil wir sie nicht gefragt haben, ob sie mit zum Strand geht. Dafür ist sie zu stolz.“

      Sarah war wirklich schon immer eine sehr elegante und bedachte Person gewesen. Sie würde sich nicht wegen einer Lappalie so gehen lassen und vor uns allen weinen. Sie machte sowas immer mit sich selbst aus.

      „Ich hoffe, es wird sich alles aufklären.“ sagte Pia skeptisch.

      Wir tranken noch ein Bier und sahen in den Nachthimmel. Dann gingen auch wir in unsere Zelte. Ich lag die halbe Nacht wach und dachte nach. Sarahs Verhalten verunsicherte mich aus irgendeinem Grund, aber ich konnte mir nicht wirklich erklären, was es war.

      Dass ich so wenig geschlafen hatte, machte sich am nächsten Morgen bemerkbar. Ich konnte die Augen kaum öffnen und musste mich zwingen aufzustehen. Die Müdigkeit zerfraß mich fast. Pia hatte mich nicht geweckt. Sie war schon aufgestanden, als ich mein Waschzeug zusammen kramte. Ich machte mich in Boxershorts auf den Weg zu den Sanitäranlagen, als mich jemand am Hosenbund zurück zog. Es war Pia, die mich mit einem gewohnt fröhlichen

      „Morgen, Obielein!“ begrüßte. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und grinste sie müde an. Mit einem Klaps auf den Po schubste sie mich in das Sanitärhäuschen und ging weiter zu unserem Zelt.

      „Wir sehen uns beim Frühstück.“ säuselte sie noch.

      Nachdem ich den Schock der kalten Dusche am Morgen überstanden hatte, Zähne geputzt und meine Haare zurecht gezupft hatte, war ich bereit für den Tag. Ich traf Dennis am Waschbecken, der auch dabei war, seine Haare zu legen. Nur, um dann eine Käppi darauf zu setzen. Wir quatschten etwas und gingen zusammen zum Frühstück. Sarah war noch nicht da. Ich hatte gehofft, dass sie und Alex etwas klären konnten und sie wie gewohnt bei uns sitzen und uns abschätzig ansehen konnte. Dass mir das mal ein Gefühl von Vertrautheit geben würde…

      Wir frühstückten also ohne sie und Alex und Pia gingen danach runter, um das Geschirr zu spülen. Ich unterhielt mich mit Dennis.

      „Hast du überhaupt in deinem Zelt geschlafen?“ fragte ich ihn neugierig.

      „Naja, ein Gentleman genießt und schweigt.“ antwortete er vieldeutig. Die beiden legten wirklich ein rasantes Tempo vor, aber wenn alles passte, warum sollten sie nicht Nägel mit Köpfen machen?

      Ich beobachtete Alex und Pia, die sich beim Spülen aufgeregt unterhielten. Ich fragte mich, ob Alex Pia ins Vertrauen zog, was mit Sarah los war. Ich wusste nicht mal, warum mich das so beschäftigte. Ich kannte Sarah schon lange, ja. Aber nicht besonders gut. Wir hatten nie einen Draht zueinander. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass ich keine Streitereien in unserem Urlaub haben wollte. Ob Pia darin verwickelt war? Vielleicht stellte sich endlich heraus, warum die beiden so im Clinch standen.

      Am