Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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daß sogar Ippolit sich wunderte; aber dann fuhr er auf einmal zusammen und brach in Tränen aus ... Überhaupt befand er sich in diesen Tagen in großer Unruhe und in einer außerordentlichen undefinierbaren und qualvollen Verwirrung. Ippolit behauptete geradezu, er habe nicht seinen Verstand; aber darüber ließ sich noch nichts Sicheres sagen.

      Indem wir alle diese Tatsachen vorführen und es ablehnen, sie zu erklären, beabsichtigen wir nicht, unsern Helden in den Augen unserer Leser zu entschuldigen. Wir sind im Gegenteil durchaus bereit, die Entrüstung zu teilen, die er sogar bei seinen Freunden durch sein Verhalten erweckte. Selbst Wjera Lebedjewa war eine Zeitlang über ihn empört; selbst Kolja war empört; desgleichen selbst Keller, bis er zum Bräutigamsmarschall erwählt war; ganz zu schweigen von Lebedjew selbst, der sogar gegen den Fürsten zu intrigieren anfing, und zwar ebenfalls aus Empörung, die sogar ganz aufrichtig war. Aber davon werden wir noch später zu reden haben. Überhaupt aber sind wir völlig und im höchsten Grade mit einigen sehr kräftigen und in psychologischer Hinsicht sogar sehr tiefsinnigen Bemerkungen einverstanden, welche Jewgeni Pawlowitsch offen und ohne Umstände dem Fürsten gegenüber in einem freundschaftlichen Gespräch aussprach, und zwar am sechsten oder siebenten Tag nach dem Vorfall bei Nastasja Filippowna. Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, daß nicht nur Jepantschins selbst, sondern auch alle, die direkt oder indirekt mit der Familie in Verbindung standen, es für notwendig hielten, alle Beziehungen zum Fürsten vollständig abzubrechen. Fürst Schtsch. zum Beispiel wendete sich sogar weg, als er dem Fürsten begegnete, und erwiderte seinen Gruß nicht. Aber Jewgeni Pawlowitsch fürchtete nicht, sich dadurch zu kompromittieren, daß er den Fürsten besuchte, trotzdem er selbst wieder angefangen hatte, täglich bei Jepantschins zu verkehren, und dort mit sichtlich erhöhter Freundlichkeit aufgenommen wurde. Er kam zum Fürsten gleich am nächsten Tag, nachdem alle Jepantschins aus Pawlowsk weggezogen waren. Beim Eintritt kannte er bereits alle im Publikum verbreiteten Gerüchte, ja er hatte vielleicht selbst teilweise bei ihrer Verbreitung mitgewirkt. Der Fürst freute sich sehr über sein Kommen und begann sogleich von Jepantschins zu reden; dieses schlichte, offenherzige Verfahren löste auch dem Gast die Zunge, so daß auch er ohne Umschweife geradewegs zur Sache kam.

      Der Fürst wußte noch nicht, daß Jepantschins weggezogen waren; er war überrascht und wurde blaß; aber einen Augenblick darauf nickte er verwirrt und nachdenklich mit dem Kopf und gestand, daß es wohl habe so kommen müssen; dann erkundigte er sich schnell danach, wohin sie denn gezogen seien.

      Jewgeni Pawlowitsch beobachtete ihn unterdessen aufmerksam, und alles, was er wahrnahm, das heißt die Schnelligkeit der Fragen, ihre Geradheit, die Verwirrung des Fürsten und gleichzeitig eine gewisse sonderbare Offenherzigkeit, Unruhe und Aufregung, alles dies versetzte ihn in nicht geringe Verwunderung. Er machte übrigens in liebenswürdiger Weise dem Fürsten von allem eingehende Mitteilung; dieser wußte vieles noch nicht, und dies war der erste Bote, der von jener Familie zu ihm kam. Er bestätigte, daß Aglaja tatsächlich krank gewesen sei und drei Nächte hintereinander fast gar nicht geschlafen, sondern immer gefiebert habe; jetzt gehe es ihr besser, und sie befinde sich außer aller Gefahr, aber in einem nervösen, hysterischen Zustand. Ein Glück sei noch, daß in der Familie der vollste Friede herrsche. Aglajas Angehörige seien darauf bedacht, alle Hindeutungen auf die Vergangenheit zu vermeiden, und zwar sogar, wenn sie unter sich seien, nicht nur in Aglajas Gegenwart. Die Eltern hätten schon unter sich über eine Reise ins Ausland gesprochen, die im Herbst, gleich nach Adelaidas Hochzeit, stattfinden solle; Aglaja habe die ersten Mitteilungen darüber schweigend entgegengenommen. Er, Jewgeni Pawlowitsch, werde vielleicht ebenfalls ins Ausland reisen. Sogar Fürst Schtsch. habe vor, dies mit Adelaida zusammen für ungefähr zwei Monate zu tun, wenn seine Geschäfte es ihm erlauben würden. Der General selbst werde in Petersburg bleiben. Jetzt seien sie alle nach ihrem Gut Kolmino, etwa zwanzig Werst von Petersburg, übergesiedelt, wo sich ein herrschaftliches Gutshaus befinde. Die alte Bjelokonskaja sei noch nicht nach Moskau zurückgereist und, wie es scheine, sogar absichtlich noch dageblieben. Lisaweta Prokofjewna habe energisch erklärt, es sei nach allem Vorgefallenen unmöglich, in Pawlowsk zu bleiben; er, Jewgeni Pawlowitsch, habe ihr täglich von den im Ort umlaufenden Gerüchten Mitteilung gemacht. Nach ihrem auf der Jelagin-Insel gelegenen Landhaus überzusiedeln, hätten sie ebenfalls nicht für möglich erachtet.

      »Na ja, und in der Tat«, fügte Jewgeni Pawlowitsch hinzu, »das müssen Sie selbst zugeben: konnten sie es etwa hier aushalten ...? Besonders da sie wußten, was bei Ihnen hier in Ihrem Haus allstündlich vorging, Fürst, und da Sie, trotz der Zurückweisung, dort täglich einen Besuch machten ...«

      »Ja, ja, ja, Sie haben recht; ich wollte Aglaja Iwanowna sprechen ...«, erwiderte der Fürst und nickte wieder mit dem Kopf.

      »Ach, lieber Fürst«, rief Jewgeni Pawlowitsch mit großer Lebhaftigkeit und Betrübnis, »wie konnten Sie nur damals zugeben, daß das alles geschah? Gewiß, gewiß, das kam Ihnen alles so unerwartet ... Ich gebe zu, daß Sie die Geistesgegenwart verlieren mußten und ... außerstande waren, das von Sinnen gekommene Mädchen zurückzuhalten; das lag nicht in Ihrer Macht! Aber das mußten Sie doch begreifen, wie ernst und stark die Empfindungen dieses Mädchens Ihnen gegenüber waren. Sie wollte nicht mit einer andern teilen; wie haben Sie nur einen solchen Schatz wegwerfen und zerstören können!«

      »Ja, ja, Sie haben recht; ja, ich habe mich schuldig gemacht«, sagte der Fürst wieder in tiefem Kummer. »Aber wissen Sie: sie war die einzige, Aglaja war die einzige, die so über Nastasja Filippowna urteilte ... Alle übrigen Menschen urteilten anders über sie.«

      »Ja, das ist ja eben das Empörende, daß gar nichts Ernstes vorlag!« rief Jewgeni Pawlowitsch, der ganz in Eifer geriet. »Verzeihen Sie mir, Fürst; aber ... ich ... ich habe darüber nachgedacht, Fürst, habe viel darüber nachgedacht; ich weiß alles, was früher vorgegangen ist; ich weiß alles, was vor einem halben Jahr geschehen ist, alles, und ... all das war nichts Ernstes! All das war nur ein leichter Rausch des Kopfes, nicht des Herzens, eine phantastische Laune, ein verwehender Rauch, und nur die ängstliche Eifersucht eines ganz unerfahrenen Mädchens konnte das für etwas Ernstes halten ...!«

      Und nun ließ Jewgeni Pawlowitsch ganz ungeniert seiner Entrüstung freien Lauf. Verständig und klar und (wir wiederholen es) sogar mit außerordentlicher psychologischer Einsicht entwarf er dem Fürsten ein Bild der gesamten früheren Beziehungen desselben zu Nastasja Filippowna. Jewgeni Pawlowitsch hatte von jeher die Gabe des Wortes besessen; jetzt aber bewies er geradezu ein hohes Rednertalent. »Die Beziehungen zwischen Ihnen beiden«, begann er, »hatten gleich von Anfang an etwas Unwahrhaftes; und was mit Unwahrhaftigkeit anfängt, das muß auch mit Unwahrhaftigkeit enden; das ist ein Naturgesetz. Ich erkläre mich nicht einverstanden, wenn manche (na, dieser und jener tut es) Sie einen Idioten nennen; ich bin sogar empört darüber; Sie sind zu verständig für eine solche Benennung; aber Sie haben doch soviel Seltsames, daß Sie nicht so sind wie alle Menschen; das müssen Sie selbst zugeben. Ich bin zu der Ansicht gelangt, daß die Grundlage alles Geschehenen sich aus folgenden Momenten zusammensetzt: erstens aus Ihrer sozusagen angeborenen Unerfahrenheit (beachten Sie wohl diesen Ausdruck, Fürst: ›angeborenen‹!); dann aus Ihrer ungewöhnlichen Gutmütigkeit; ferner aus Ihrem phänomenalen Mangel an Gefühl für das rechte Maß (was Sie schon mehrmals selbst zugegeben haben), und endlich aus einer gewaltigen Masse von Resultaten des Denkens, die Sie bei Ihrer außerordentlichen Ehrlichkeit noch bis jetzt für echte, natürliche, unmittelbare Überzeugungen halten! Sie müssen selbst zugeben, Fürst, daß in Ihren Beziehungen zu Nastasja Filippowna gleich von Anfang an etwas relativ Demokratisches (ich bediene mich der Kürze wegen dieses Ausdrucks), sozusagen der zauberhafte Reiz der Frauenfrage (um es noch kürzer auszudrücken) lag. Ich kenne ja genau jene ganze Skandalszene, die sich bei Nastasja Filippowna abspielte, als Rogoschin ihr sein Geld brachte. Wenn Sie wollen, werde ich Sie vor Ihren eigenen Augen sezieren, ich werde Sie Ihnen wie in einem Spiegel zeigen, so genau weiß ich, wie die Sache zusammenhing, und warum sie diese Wendung genommen hat! Sie, ein Jüngling, dürsteten in der Schweiz nach der Heimat; Sie strebten nach Rußland wie nach einem unbekannten verheißenen Land; Sie lasen viele Bücher über Rußland, Bücher, die vielleicht an sich vortrefflich, aber für Sie schädlich waren; Sie kamen mit dem ersten heißen Durst nach Tätigkeit her und stürzten sich sozusagen auf die Tätigkeit! Und siehe da, gleich an demselben Tag teilt man Ihnen die traurige, herzergreifende Geschichte einer